Günther Seiler

Tod auf dem Sockel


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Kundschaft warteten. Die andere dunkle Ladung war geschickt in dem Kühlauflieger versteckt.

      Wenn die Gesichtsfarbe von dem Oberstaatsanwalt Friedo Naujoks bei einem Telefongespräch von einem zarten Rosa in ein dunkleres Rot wechselte und seine Stimme leiser wurde, wussten seine Mitarbeiter, dass konnte nicht gut gehen. Der zuständige Polizeichef von Nienburg an der Weser und Verden an der Aller konnte zwar seine Gesichtsfarbe am Telefon nicht sehen, er hätte aber seinen gefährlich veränderten leisen Ton in der Sprache erkennen müssen. Dazu hätte er den Oberstaatsanwalt aus seiner langen Dienstzeit, pardon Dienstfehde her einschätzen können. Oder es war dem Polizeichef schlicht egal, was die menschlichen Empfindungen seines Telefonpartners anbelangten. Schon eine geschlagene halbe Stunde zog der Polizeichef, wohl aus Frust über seinen Freund in Anführungsstrichen den Oberstaatsanwalt, die ihm seiner Meinung nach weggenommene Kompetenz über die Führung einer Sonderkommision erst leise, dann ätzend, jetzt laut und ohne Barriere eines Selbstschutzes derart vom Leder, dass der Friedo Naujoks in den letzten zehn Minuten nichts mehr am Telefon sagte, sondern nur noch still zuhörte. Friedo konnte den Anstieg seines Blutdruckes sogar an der linken Hand sehen, denn er hielt den Hörer mit der rechten Hand am Ohr. An seiner Schläfe pochte der Puls. Es war wie bei einem Vulkan, wenn der Druck zu groß wurde. Einige Vulkane explodieren förmlich, schleuderten die Lava kilometerweit in die Höhe. Andere wiederum platzten leise mit einem gefährlichen Zischen und die Magma rann blubbernd und alles niederreißend von dem Kegel des Vulkanes zum Tal hinab. Auch jetzt begann sich der Cluster den Weg in das Tal der Gefühle des Friedo Naujoks seine Bahn zu suchen. Früher hätte Naujoks zur ersteren Kategorie der Vulkane gehört, jetzt platzte ihm nur noch langsam der Hemdkragen. Mit einem leisen Plopp flog der haltende Knopf an dem besagten Kragen weg. Der Kragen öffnete sich und seine sonst tadellos sitzende Krawatte zeigte mit dem schiefen Sitz das ganze Elend über den Polizeichef an. Die Krawatte diente Friedo als sein persönlicher Seismograf vor einer bevorstehenden Eruption der Naturgewalten. Sein Hals schwoll an. Er sagte leise ins Telefon: „Nun wird es mir langsam zu bunt mit Ihren Vorwürfen, ich habe die Kompetenz über die Sonderkommission und ich bestimme, wer in dieser Kommission mitarbeitet. Im Übrigen wissen wir ja gar nicht, ob hier bei den zwei Pantomimen eine Straftat vorliegt oder ob eine unbekannte Krankheit die Ursache ist.“ Der Polizeichef antwortete süffisant: „Sehen Sie einmal Herr Naujoks, wie schlecht Sie informiert sind, es liegen schon drei Fälle von, in Wingst wurde eine junge Pantomime ebenfalls tot vor einem Baumsockel gefunden. Sie sollten einmal nicht nur an Ihrer Pfeife saugen, sondern lieber richtige Rückschlüsse ziehen. Sie sollten einmal über den Tellerrand Ihres Zuständigkeitsgebietes schauen. Lassen Sie uns Fachleuten von der Polizei die Arbeit machen und verschanzen Sie sich nicht hinter Ihren Freunden aus dem Justizministerium.“ Er betonte den Ausdruck: uns Fachleute, besonders deutlich und fand seine Wortwahl gut. Friedo Naujoks wusste, dass der Polizeichef ein überzeugter Nichtraucher war und hatte bei einem privaten Spaziergang schon einmal einen Jugendlichen in der Fußgängerzone lautstark zur Schnecke gemacht, weil dieser eine Zigarettenkippe auf die Straße warf. Friedo Naujoks wusste auch, dass der Polizeichef ein fähiger Mann war und er private Probleme mit seiner schwerkranken Frau hatte. Wie auch immer, alles konnte man sich nicht gefallen lassen. Friedo sagte, indem er hörbar dosiert die Luft abließ. „Sie haben eine Stunde Zeit, sich bei mir persönlich hier in meinem Büro zu entschuldigen und in Zukunft friedlich das zu machen, was ich Ihnen anordne. Ich betone ausdrücklich, was Sie am besten wissen sollten. Sie als oberster Polizeibeamter mit Ihren Leuten sind nach dem Gesetz die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. Ich wiederhole, Hilfsbeamte. In dieser Eigenschaft haben Sie meinen Ausführungen strikt Folge zu leisten. Falls Sie nicht in einer Stunde in meinem Büro sind, werden Sie heute Abend noch von dem zuständigen Justizminister von Ihrem Posten als Polizeichef entbunden und in die Provinz zu Fahrzeugkontrollen mit Knöllchenschreiben versetzt. Dort können Sie mit Vergnügen auch alle Raucher verfolgen, die ihre Zigarettenkippen auf die Straße werfen. Dafür werde ich sorgen “, sagte Friedo laut, dabei legte er ohne einen Gruß den Hörer auf die Gabel.

      Friedo Naujoks nahm seine Pfeifentasche, öffnete das Fenster und stopfte sich seine Lieblingspfeife mit einem guten schottischen Tabak, den er das erste Mal rauchte. „So ein Hornochse“, sagte Friedo undeutlich, denn er hatte bereits seine Pfeife in den Mund gesteckt. Seine Sekretärin bekam das Gespräch durch die offene Tür mit und sie kannte ihren Chef schon viele Jahre. Als sie in sein Büro kam, sagte sie: „Früher wären Sie geplatzt und hätten ihn lautbrüllend in die Schranken verwiesen, heute machen Sie es richtig gut, wenn Sie normal reden. So können Sie ihn auch in die Schranken verweisen, auch wenn Sie kurz vor dem Platzen waren.“ Sie lachte laut und stellte ihm eine heiße Tasse Tee mit zwei Keksen hin und legte eine Mappe daneben. „Danke“, sagte er: „Ich meine, so ganz leise war ich nicht. Dabei hat sich mein Knopf am Hemdkragen vor Schreck verabschiedet. Ich brauche bitte die Zeitungsberichte von der neuen Pantomimengeschichte in Wingst.“ „Ist in der Mappe“, sagte sie fröhlich und verließ lächelnd den Raum. Friedo zog an seiner Pfeife, las die Zeitungsberichte durch und wählte aus seinem Dienstregister die Telefonnummer seines Kollegen, den Oberstaatsanwalt in Cuxhaven an. Sie besprachen die Zuständigkeiten ab. Als Ergebnis dieses Telefongespräches bekam Friedo Naujoks eine weitere Leiche zur Obduktion nach Hannover geliefert. Er zog das Verfahren aus dem Cuxhavener Bereich aufgrund dieser Absprache an sich. Die Verfügung würde sein Büro schicken und Friedo Naujoks informierte seine Sekretärin, die alles per Fax sofort erledigen sollte. Friedo stand wieder an seinem Lieblingsfenster, als er Stimmen im Vorzimmer hörte. Seine Sekretärin steckte den Kopf durch die Tür und sagte: „Der Polizeichef ist da, soll ich ihn zu Ihnen lassen?“ Friedo setzte sich, blies seine Wangen auf, als wollte er mit einer imaginären Trompete zum Angriff tröten. Er ließ schließlich die Luft ab und nickte seiner Sekretärin zu. Etwas zögerlich kam ein blasser Polizeichef wie ein Häufchen Elend durch die Tür, klopfte am Türrahmen an und sagte: „Darf man?“ „Wen der wohl mit man meinte, ist er doch selber“, dachte Friedo und sagte: „ Immer rein in die gute Stube.“ Sein Besucher lächelte unsicher und legte ein Paket guten dänischen Tabak auf den Tisch, als er sagte: „Ich möchte mich für mein unbeherrschtes Verhalten höflich entschuldigen und mit Ihnen sozusagen die Friedenspfeife rauchen.“ Dabei deutete er auf den mitgebrachten Tabak hin. „Sie als überzeugter Nichtraucher, das ist für Sie ja ein doppelter Gang nach Kanossa“, erwiderte Friedo sichtlich erstaunt. Er führte weiter aus. „ Erledigt und Schwamm drüber, damit Sie aber für die Zukunft klar sehen, ich bestimme die Musik, denn mein Vorsitz für die Sonderkommission ist von dem Ministerium abgesegnet worden.“ Sein Besucher nickte. Damit war alles in Butter und sie unterhielten sich über die ungeklärten Pantomimenfälle. Juristen können schnell auf den Punkt mit dem Blick für das Wesentliche übergehen, die Sache musste grundsätzlich, wie sie richtig bemerkten, immer zielführend sein sowie bleiben. Als der Besucher fort war, blickte die Sekretärin schon im Mantel durch die Tür in das Büro von Friedo hinein. Sie grinste breit mitwissend. Als sie sich für den Feierabend verabschiedete, sagte sie kurz: „Die Cuxhavener und die Gerichtsmedizin wissen Bescheid, alle Verfügungen sind unterwegs.“ Sie unterzeichnete immer fröhlich selber die Verfügungen, auch wenn sie die Unterschrift des Oberstaatsanwaltes haben sollten. Es war aber alles, sagen wir einmal, fast alles mit ihrem Vorgesetzten Naujoks so abgesprochen worden. Wichtige Alleingänge machte sie nie und das war richtig so. Insofern konnte sich Friedo auf die gute Seele in seinem Büro blind verlassen. Er wünschte ihr einen schönen Feierabend und vertiefte sich in eine dicke Prozessakte für den nächsten Schlachttag vor dem Landgericht in Verden. Es ging um mehrere Morde angeblich im Affekt. Diese Taten soll ein angesehener Landwirt mit einer Axt verübt haben. Friedo gefiel das allzu glatte Geständnis dieses angeblichen Täters nicht. Der hieß in der Presse auch der Beilmörder von Aller und Weser, weil seine Opfer dort von ihm verscharrt, beziehungsweise versenkt wurden.

      Bei den Brunckhorst war die Trauer mit Macht eingekehrt, es herrschte im schönen sommerlichen Garten unter den Bäumen eine greifbare Unfassbarkeit. Michael und Monika Gruber hatten es zuhause nicht mehr ausgehalten und sie waren der Verzweiflung nahe. Monika rief bei Mechthild Brunckhorst an und sie fragte mit tränenerstickter Stimme, ob sie beide für eine kurze Weile zu ihnen nach Worpswede kommen durften. Sie hielten es beide in ihrem Haus in Wingst nicht mehr aus. Mechthild stimmte natürlich zu und sie hatte sofort einen Kursus in ihrem Atelier verlassen. Der nicht zu verstehende Tod aus unbekannter Ursache ihrer Tochter zerrte bis zum Kulminationspunkt an dem