Günther Seiler

Tod auf dem Sockel


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zu und bückte sich zu ihm. Irgendetwas war dem Geschäftsmann an Dieter aber nicht ganz geheuer und weckte seinen Argwohn. Der Atem ging sehr flach, sehr stoßweise und dann blieb die Atmung ganz aus. „Schnell einen Schminkspiegel“, rief er in die Menge und eine Dame reichte ihm diesen. Den hielt er vor Dieters Nase und Mund, es war aber kein Beschlag durch das Atmen auf dem Spiegel zu erkennen. Der Geschäftsmann nahm sein Handy und rief die Feuerwehr an. Ein Zeitungsreporter war sofort anwesend und dieser machte Fotos. Heinrich der Achte, alias Dieter Kluth war wie sein Vorbild tot.

      Einige Tage später kam der Oberstaatsanwalt Friedo Naujoks diesmal gutgelaunt in sein Büro an und öffnete wie an jedem Morgen sein Fenster, um die frische Luft in diese heiligen Hallen der Rechtsprechung zu lassen. Auf seinem Schreibtisch lag eine Tageszeitung aus Verden an der Aller und der Bezirk des Oberstaatsanwaltes Naujoks reichte eben auch bis zur Pferdestadt Verden an der Aller. Er zog die Zeitung näher zu sich heran. Dabei vergaß er das Fenster wieder zu schließen. In der Zeitung stand auf der ersten Seite die reißerische Schlagzeile: Innerhalb von kurzer Zeit zweiter, mysteriöser Tod eines Pantomimendarstellers. Weiterer junger Mann fällt als Heinrich der Achte verkleidet tot mit dem blutigen Hackebeil von seinem Sockel.

      Friedo Naujoks ließ nachdenklich die Zeitung sinken und sah nachdenklich auf einen neuen roten Aktendeckel auf seinem Schreibtisch. Unbekannter Todesfall Dieter Kluth, Verden an der Aller. Verfasser: Kriminalpolizei Verden an der Aller. Der Oberstaatsanwalt setzte sich auf seinen gepolsterten Stuhl und kramte seine Pfeifentasche aus seinem Aktenkoffer hervor. Er sah ziemlich verdattert von der Zeitung auf seine neue Akte. Er suchte sich seine Lieblingspfeife mit dem großen grünen Kopf einer dezenten Maserung aus. Danach wählte er mit Bedacht von den verschiedenen Tabakspackungen in seiner Tasche einen dänischen Tabak aus. Friedo Naujoks las auch diese Ermittlungsakte aufmerksam durch und in diesem Fall könnte der Alkoholmissbrauch des Dieter Kluth eine Rolle gespielt haben. Die aufnehmenden Beamten deuteten so etwas in diese Richtung zart an. Der Oberstaatsanwalt brannte die Pfeife nachdenklich an und rief seiner Sekretärin durch die geöffnete Tür im Vorzimmer zu, dass auch diese Leiche von Dieter Kluth beschlagnahmt würde und zur Obduktion zur Gerichtsmedizin nach Hannover schnellstens sollte. Sie möge bitte wie gehabt die Papiere zur Unterschrift veranlassen und danach den zuständigen Bestatter informieren. „Alles wie gehabt“, sagte er paffend mehr zu sich selber. Friedo lehnte sich in seinen gemütlich gepolsterten Ledersessel zurück und überlegte. Er hatte bei diesen beiden Fällen der jungen Leute ein sehr mulmiges Gefühl. „Ich muss dringend etwas unternehmen“, dachte er. Friedo Naujoks wollte einen anderen Weg der Sonderkommission als gewohnt gehen. Der Gesetzgeber legte sich im Procedere für Sonderkommissionen nicht eindeutig genau fest. Somit beschloss er, die Sonderkommission Pantomime selber zu führen, dafür brauchte er nur das grüne Licht von seiner oberen Dienststelle. Er griff zum Telefon und rief seinen alten Freund Randolf Hartenstein im Justizministerium an, dieser war Staatssekretär, sowie auch der amtierende Berater des Justizministers von Niedersachsen in Hannover bei der Landesregierung. Friedo Naujoks schilderte seinem Freund Randolf ausführlich die Fälle der beiden toten Pantomimendarsteller und er hatte tatsächlich schon am Telefon die Genehmigung einer Sokobildung bekommen. „Da würde sich aber mein Freund, der Polizeipräsident freuen, wenn er mir einige Beamte abgegeben musste“, dachte Friedo. Das Verhältnis von ihm zum Polizeipräsidenten war gelinde gesagt, sehr angespannt und sie machten sich einen bösen Spaß daraus, sich gegenseitig zu ärgern. Friedo Naujoks freute sich schon auf das Gesicht des Polizeipräsidenten, wenn er von der Sonderkommission unter der Leitung des Oberstaatsanwaltes Friedo Naujoks erfuhr.

      Kapitel 5 Wingst in der Geest

      Am Rande der Gemeinde Wingst lag mit Blick auf die hier typischerweise schöne Geestlandschaft ein sehr schönes großes Haus. Das Haus war im bäuerlichen Stil mit auffallend weißen Kunststofffenstern gebaut worden. Die Wingst selber ist ein Höhenzug aus Mischwäldern und Geestrücken einer eiszeitlichen Moräne. Die Luft war hier sehr gut, denn die Elbe und die Nordsee sind in greifbarer Nähe. Das schmucke Anwesen gehört der Familie Gruber. Herr Gruber fing einmal als Tischler an und spezialisierte sich auf Fenster und Türen in einer gehobenen Fertigungsqualität aus Gießholz. Obwohl es sich um einen besonderen Kunststoff handelte, haben die Produkte ein verblüffendes Aussehen, als wären sie aus einem hochwertigen Holz hergestellt worden. Diese Fenster mussten nicht gestrichen werden und sie schlossen immer zuverlässig, ohne sich jemals in der Form zu verziehen. Insofern war auch nach vielen Jahren ein Klemmen der Fenster und Türen völlig ausgeschlossen. Vorausgesetzt, man behandelte diese pfleglich. Michael mit seiner Ehefrau Monika Gruber gründete und erweiterten die Firma Türen und Luken GmbH mit Sitz in Wingst. Sie beschäftigten in ihrer Fabrik ca. fünfzig Tischler. Sie lieferten ihre Produkte in ganz Europa aus. Die Gruber haben eine Tochter Nina, die gerade vor dem Abitur stand. Nina ging sehr gerne auf das nahegelegene Gymnasium und sie brachte immer nur gute bis sehr gute Zensuren mit nach Hause. Zum Kummer ihrer Eltern möchte sie in Hamburg eine Schauspielschule für Theater und Fernsehkunst besuchen. Diesen Wunsch hatte sie schon seit ihrem achten Lebensjahr. Nina war das einzige Kind der Gruber und sie spielte in ihrer Freizeit mit gutem Erfolg in der plattdeutschen Bühne in Otterndorf hier ganz in der Nähe mit. Sie liebte es, sich zu verkleiden. Einmal im Jahr war in Otterndorf in der Gesamtschule Geesterheide ein Karnevalsfest. Schon Monate vorher probte sie mit ihren Freundinnen verschiedene Kostüme durch. Aus diesem Grunde fuhr sie einmal sogar mit zwei Freundinnen nach Köln, um sich dort zünftig von Profis in einem Karnevalsgeschäft einkleiden zu lassen. Natürlich kauften sich die Freundinnen auch Karnevalskostüme in Köln.

      Zu den Theaterproben fuhr sie mit dem Roller zur Spielbühne. Das Theaterspielen bereitete ihr sehr großen Spaß. Auch wenn ihre Mitschüler sie hänselten und sie mit ihrem Bauertheater belächelten, machte ihr das nichts aus. Sie spielte auch schon in einem ernsten Stück auf plattdeutsch mit. Das war ganz wider Erwarten ein großer Erfolg des Theaters und die Tournee ging sogar bis Ostfriesland. Die Gruber waren auch auf der letzten Party bei den Brunckhorst in Worpswede dabei, denn Monika Gruber töpferte gerne und sie belegte bei Mechthild Brunckhorst schon einige Töpferkurse. Bei dem letzten Umbau wurden die holzaussehenden Plastikfernster der Firma Türen und Luken eingebaut. Theo Brunckhorst zeigte den Besuchern auch gerne diese neue Art der Fenstergestaltung aus Gießholz.

      Michael Gruber kam an diesem Freitag etwas früher nach Hause, denn er wollte noch das Fußballspiel in Wingst ansehen. Um 18 Uhr spielte der TUB-SW, Turn und Bewegung Sportverein Wingst gegen den Fußballclub Bad Bederkesa, FCBB und dieses Spiel durfte Michael sich in keinem Fall entgehen lassen. Er war ein ganz begeisterter Anhänger seines Fußballvereines. Hinterher traf man sich zur Sportnachlese des Spieles, wie es hieß, in dem Sportlerheim seines Vereines. „Hallo Schatz, ich bin da und ich gehe zum Fußball. Wo ist Nina?“, rief Michael halb im Gehen in die Küche. Seine Frau rief zurück: „Viel Spaß Michael, Nina ist bei ihrer Freundin Birte, sie nahm ihren Schminkkasten mit und sie wollten für die Pantomimendarstellung noch üben.“ Seit einer geraumen Zeit war Nina von den Verwandlungen und Darstellungen von zeitgenössischen Figuren ganz begeistert und sie besorgte sich dazu mit ihrer Freundin Birte aus dem Theaterfundus in Bremerhaven alte Kleider und Perücken. Dazu schminkten sie sich ganz passable. Nina wollte auf den Sockel, der für sie die Welt bedeutete, diesmal waren es nicht die bekannten Theaterbretter, die schon so manchen späteren Künstler als Kind faszinierten. Ihr Vater zimmerte für sie in seiner Werkstatt diesen Sockel aus Holz, der ganz pfiffig mit Klappen und Scharnieren ausgestattet war. Ein wirklich gut gemachtes handwerklich einmaliges Stück. Sie wollte auf diesem Podest nicht nur stehen und sich langsam wie ein Roboter bewegen, sondern sie wollte singen und eigene Gedichte vor dem Publikum rezitieren. Sie hatte eine sehr schöne Gesangsstimme und auf Familienfesten konnte sie ihre Darbietungen schon mit Erfolg vorführen. „Nein“, sagte ihre Oma entzückt dabei, „diese Nina, ich sehe sie noch so klein mit einem hübschen Kleidchen, so schüchtern, wie sie war und jetzt trat sie schon fast im Fernsehen auf.“ Dabei zeigte ihre Oma die damalige Körpergröße von Nina an. „ Mutter“, sagte ihre Tochter streng, „jetzt übertreibst du aber.“

      Michael Gruber nahm sein Portemonnaie, seine Schlüssel und sein Handy von der Kommode, danach war er schon aus dem Haus gegangen. Der Spotplatz war nicht weit entfernt und ein paar Jugendliche des Vereines aus Bad Bederkesa liefen schon leicht