Günther Seiler

Tod auf dem Sockel


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die Solarzellen eingearbeitet wurden. Diese kleine Folie müssen Sie auf der nackten Haut unterhalb Ihres Nackens per Klippverschluss anbringen. Das Tolle war, es handelte sich um eine Folie, die mit einem USB Anschluss versehen wurde. Das Kabel reichte aus, um es vorne in der Kleidung zu tragen, damit Sie als Pantomime auch immer ein geladenes Handy oder ein Musikabspielgerät unbegrenzt an Strommöglichkeiten dabei haben. Sie sind bei Ihren künstlerischen Auftritten unabhängig von dem Stromnetz. Sie produzieren während Ihrer interessanten Auftritte im Freien auch bei bewölktem Wetter Ihren eigenen Strom. Sind wir nicht richtig gut? Doch denken Sie daran, die Folie muss immer einen direkten Kontakt mit der Haut an Ihrem Rücken unterhalb des Nackens haben. Die kleine Antenne muss in den Kragen oder auf dem Rücken getragen werden.

      Daniel war richtig stolz darauf, ein Mitglied einer so wichtigen europäischen Künstlergilde zu sein, die sich wirklich um ihre Mitglieder kümmerten. Der Anfangsärger über die Abmahnung mit dem vielen Geld verflog schnell. Das Geld würde er sicher irgendwann wieder einspielen, da war er ganz sicher. Sein extravagantes Kostüm würde ganz wunderbar schick zur Geltung kommen. Er durfte sogar als Mitglied weltweit neben den örtlichen Zulassungsbestimmungen auf seinen Sockel steigen. „ Das waren doch alles neue und ungeahnte Möglichkeiten“, dachte Daniel. Ich durfte sogar in Sydney in Australien stehen, wo die reichen Touristen sich auf den wichtigen Plätzen tummelten und die gebratenen Tauben fliegen mir nur so in den Mund. Fast, denn ich durfte mich ja über Stunden nicht bewegen, nur wenn es im Federhut klingelte, bewegte ich mich majestätisch langsam zum edlen Spender hin und ich bedankte mich sozusagen von oben herab vom Sockel her.

      Daniel parkte sein altes Auto in der Tiefgarage am Rathaus in Nienburg an der Weser. Er zog sich in noch in dem Parkhaus in einer Ecke um und er schminkte sich. Er war tatsächlich nicht wiederzuerkennen. Zur Kontrolle seiner Schminke blickte er in seinen linken Außenspiegel seines Autos. Er ging in der Richtung zum Marktplatz, auch grüner Platz in Nienburg genannt und stellte seinen mitgeführten Sockel gegenüber der Kirche zum Heiligen Willehad auf, prüfte anhand eines Schminkspiegels nochmals sein Aussehen. Er war mit sich zufrieden. Der Sockel stand fest und die ersten Besucher bewunderten ihn. Einige Passanten kannten ihn schon von vorherigen Auftritten in seiner Heimatstadt Nienburg. Er überlegte sich in der langen Zeit auf dem Sockel, dass er demnächst seine Schwester bitten würde, eine weitere umfangreiche Garderobe für ihn zu schneidern. Bevor er das große Geld im Süden in der Sonne verdienen wollte, träumte er von einem kleinen Fundus, den er über Land zum Besuch von mehreren Städten in einem Wohnmobil deponieren würde. Wie ein berühmter Schauspieler aus dem eleganten Wien würde er an seiner neuen Wirkungsstätte vorher die passende Garderobe auswählen, um dann unter dem Beifall der begeisterten Menge auf seinen Sockel zu steigen, um sozusagen Hof zu halten. Vielleicht würde er sogar einmal nach Brüssel fahren, um auf dem Markt oder sogar vor dem Europaparlament auf seinem Sockel zu stehen, wer weiß, was die nahe Zukunft so alles für ihn bringen würde. Sein großer Traum blieb aber der Süden in Spanien oder Portugal auf den berühmten Plätzen mit den vielen Touristen.

      Einige Besucher des Marktes im kalten Nienburg an der Weser bummelten an ihm vorbei, einige blieben für Fotos an ihm angelehnt stehen und wieder andere gaben ihm einige Münzen in seinen wunderbaren zweiten Federhut, der vor ihm auf der Erde lag. Es lief heute Morgen alles sehr gut, das schien ein lukrativer Tag zu werden. Als gerade zwei Japaner sich neben Daniel stellen wollten und ein weiteres Mitglied der japanischen Gruppe lächelnd und gestikulierend einen der umstehenden Leute bat, ein Foto von allen dreien der Japaner zu machen, knickte Daniel vom Sockel weg und fiel mit dem Gesicht nach vorne um. Er schlug hart auf das Kopfsteinpflaster auf. Die drei danebenstehenden Japaner wichen erschrocken beiseite und einige Frauen schrien auf. Sein Federhut rollte noch über das Marktpflaster und wurde von einer leichten Windbö weiter geweht. Zwei Kinder, die nur den vom Wind rollenden Hut sahen, liefen schnell los und fingen den Hut wieder ein. Die Kinder kamen mit dem Federhut zurück und sie stellten sich zu den Eltern, die den Hut nahmen und ratlos auf den leeren Sockel von Daniel schauten. Eine Marktfrau vom Obststand hatte durch Zufall dem Daniel auf dem Sockel zu gesehen, weil gerade keine Kundschaft an ihrem Stand war. Sie kannte ihn schon in seiner Eigenschaft als Pantomimendarsteller und sie bewunderte ihn, dass er bei kaltem Wind und Wetter in diesem Kostüm so stundenlang fast wie erstarrt auf dem Sockel stehen konnte. Sie sah den jähen Fall von seinem Sockel und sie schrie kurz auf. Sie ging davon aus, dass ihm vom Stehen schlecht wurde und mit ihrer wehenden grünen Schürze kam sie schnell von ihrem Obststand angelaufen und beugte sich zu Daniel auf die Erde. Sie drehte leicht seinen Kopf zu sich, die Augen von Daniel waren geschlossen und sie legte ihn auf die Seitenlage um, wie es die erste Hilfe empfahl. Als Marktfrau hatte sie schon einige Kurse zur ersten Hilfe besucht, denn auf dem Markt kamen ja immer mehr ältere Menschen und da konnte schon einmal etwas passieren. Sie tätschelte seine Wange und rief laut seinen Namen: „Daniel, Junge, was ist los, ist dir schlecht geworden? Hast du Kreislaufprobleme? Hast du zu wenig gegessen und getrunken?“ Sie rüttelte und schüttelte heftig an Daniels Schulter, danach versuchte sie, seinen Puls an der rechten Hand zu fühlen. Daniel hörte sie nicht mehr, er stand schon auf einem anderen Sockel, aber auf keinem irdischen mehr. Er war tot.

      Die Marktfrau von dem Obststand mit dem Namen Erna bemerkte, dass etwas mit Daniel nicht stimmte und sie holte aus der Kittelschürze ihr Handy hervor. Sie wählte jeweils den Notruf der Feuerwehr und der Polizei an. Inzwischen kam ihr Standnachbar angelaufen, der Fischhöker, wie er sich selber nannte. Der sagte ganz trocken in seiner plattdeutschen Sprache: „Ich glaube, der ist tot.“ Mit dem lauten Martinshorn kam der Streifenwagen der Polizei von der einen Seite und von der anderen Seite bog der Notarzt mit dem dahinter folgenden Rettungswagen um die Kirche zum Heiligen Willehad mit ohrenbetäubendem Lärm der Martinshörner ein. Die Blaulichter der Rettungsfahrzeuge sowie des Streifenwagens der Polizei wurden von den Häusern gespenstisch reflektiert. Die Polizisten sperrten den Ort ab, was man so mit zwei Beamten absperren konnte. Die Leute um den Daniel herum wurden immer zahlreicher, der Notarzt stellte seinen Koffer ab und begann mit der sofortigen notfallmäßigen Untersuchung bei Daniel. Die Sanitäter stellten ihr Rettungsfahrzeug quer auf den Platz, öffneten die Heckklappe von ihrem Fahrzeug und holten die Krankentrage aus dem Fahrzeug, die sich nach unten weg selber ausklappte und auf einem Gestell mit Rädern stand. Damit ratterten sie laut über die dicken Marktsteine des Platzes zu Daniel hin. Der Polizeibeamte sah den Arzt an, der nur den Kopf schüttelte und sein Stethoskop in die Notfalltasche steckte. „Nichts mehr zu machen, decken Sie ihn zu“, sagte der Notfallarzt. Der zweite Polizist holte eine Plane aus dem Streifenwagen und deckte Daniel vor allzu neugierigen Blicken zu. In der Menge war ein Raunen und Entsetzen zu hören. Die drei Japaner standen beisammen und sie unterhielten sich aufgeregt in ihrer Muttersprache. „ Was die wohl denken mögen“, dachte Erna, als ihr diese Gruppe auffiel. Von der Polizei war Verstärkung angekommen und die Menge wurde weiträumig zurückgedrängt. Erna und der Fischhöker gingen langsam mit bedrückter Miene zu ihren leeren Ständen zurück. Dort angekommen, unterhielten sie sich mit den anderen Marktbeschickern, die von ihrem Stand nicht wegkonnten, da sie jede Menge an Kundschaft bedienen mussten. Alle sahen aber mit bangen Blicken zum Unglücksort hinüber. Die neuangekommenen Polizeibeamten wurden informiert und sie begannen, die Zeugen zu befragen und die Namen mit den Adressen zu notieren.

      Kapitel 3 Gute Cocktails

      Die Party in Worpswede bei den Brunckhorst war im vollen Gange. Hier waren auch neben Künstlern Kommunalpolitiker eingeladen worden und sogar eine Senatorin aus dem Senat von Bremen war anwesend. Mit dieser unterhielt Enno sich gerade sehr anregend über die Politik auf Landes- und Bundesebene. Enno war an sich ein ruhiger Vertreter, aber manchmal waren doch politische Entscheidungen nur schwer für den Bürger zu verstehen. Die Senatorin kannte natürlich auch Ennos Vater, nicht aus der aktiven Zeit, sondern von vielen seiner Schriften her und von den bewunderten Erzählungen der anderen Mitglieder des Senates auch über die Parteiengrenzen hinweg. Das erfüllte Enno immer mit Stolz. Sie sprachen auch über den aktuellen neuen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven, das war schon ein großes Projekt, was auf die Beine gestellt wurde. „In über hundert Jahren würden dort noch die großen Schiffe ihre Ladungen löschen“, meinte die Senatorin lachend überzeugt. Es war in der Tat ein gewaltiges Jahrhundertprojekt in Norddeutschland und Enno erfreute es, dass er mit einem Teil seines Vermögens für ein gutes Gelingen dazu beitrug, in Zukunft