Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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wollte, damit keiner von ihnen aus der Reihe tanzte. Unter ihnen befand sich auch die Psychologin Sarah Campbell, die eng mit Dembski zusammengearbeitet hatte und mit ihm befreundet war.

      Dalberg öffnete seinen Laptop und verband ihn mit einem großen LCD-Screen, um die Bilder zu zeigen, die glücklicherweise rechtzeitig in seine Hände gelangt waren, um noch vor anderen auf sie reagieren zu können.

      „Meine Damen und Herren, der vorliegende Fall betrifft einen Mann, der noch vor wenigen Wochen mitten unter uns gearbeitet hat und nun pensioniert worden ist. Sein Büro befand sich nicht weit von hier auf dem nächsten Flur. Das Gesicht, das Sie gleich sehen werden, wird jeder von Ihnen gut kennen. Bitte erschrecken Sie nicht, wenn Sie neben diesem Gesicht auch das einer in bestimmten Kreisen berühmten Person entdecken, weil dies auf den ersten Blick zu falschen Schlüssen führt!“

      Dalberg öffnete auf seinem Computer die Datei, die seinem Sekretariat am Nachmittag aus New York zugesendet worden war und eine umfangreiche Bilderfolge zum Inhalt hatte, die Dembski mit der falschen Lydia Abramovitch alias „Agneschka“ alias „Patricia Stratford“ im „High Times Club“ zeigte. Die Aufnahmen, die Walter Silverman über Umwege an die CIA-Vertretung in New York verkauft hatte, verursachten eine Reihe von erstaunten Lauten im Raum, da natürlich niemand damit gerechnet hatte, ausgerechnet Dr. Dembski, das „menschliche Gesicht von Langley“, auf dem Bildschirm zu sehen.

      „Der Informant, der diese Bilder heute Morgen dem Leiter unserer New York-Vertretung, Howard Doyle, übermittelt hat, hat eine hübsche Summe dafür verlangt. Doyle verriet mir den Namen des Mannes, der möglicherweise dahinter steckt, allerdings werde ich ihn aus verschiedenen Gründen verschweigen. Kennt jemand von Ihnen die Frau, die neben Dembski zu sehen ist?“

      Die Frage hörte sich ein wenig wie die eines Professors an seine Studenten an, der prüfen wollte, ob sie in ihrem Stoff auf dem Laufenden waren. Dabei spielte das fortgeschrittene Alter Dalbergs eine Rolle sowie die 35 Jahre Diensterfahrung, die er auf dem Buckel hatte. Als er nur ratlose Gesichter sah, beantwortete er seine Frage selber:

      „Es handelt sich um die berühmte Agneschka, eine Top-Agentin der Russen, die wir bisher nicht enttarnen konnten, weil sie sich nie lange in den USA aufhielt. Auf der letzten Abbildung, die ich von ihr kenne, war sie zehn Jahre jünger und sah vollkommen anders aus. Ich habe Sie vorhin nicht umsonst vor falschen Schlüssen gewarnt: Kommen Sie bitte nicht auf den verrückten Gedanken, unser Dembski würde ein Verbündeter Moskaus sein!

      Nun, Sie fragen sich jetzt natürlich, worum es überhaupt geht. Wir haben es hier wahrscheinlich mit einem großen Datenleck zu tun, dessen Inhalt offenbar kurz vor der Übergabe an einen bekannten US-Konzern steht. Agneschka tritt hier zur Täuschung im Namen von Independent Internet auf, um die Dateien vorher abzufangen. Da ich über ein solches Leck bisher absolut nichts gehört habe, würde ich gerne von Ihnen beiden erfahren, ob in letzter Zeit etwas Entsprechendes bekannt geworden ist.“

      Bei dem letzten Satz wandte sich Dalberg mit einer Geste an Jonathan Smith und Junius Clark, die als IT-Spezialisten direkten Zugang zu dem CIA-Großrechner GOLIATH hatten. Smith äußerte sich nicht, doch Clark wusste etwas Entscheidendes mitzuteilen, wozu er sich zunächst aber eine Rückversicherung einholen wollte.

      „Sie müssten mich als mein Vorgesetzter von meinem Schweigegebot entbinden, wenn ich in dieser Runde etwas darüber sagen soll. Ich arbeite mittlerweile auf Level D und unterliege der entsprechenden Geheimhaltungsstufe.“

      „Ich entbinde Sie Mr. Clark, aber bitte haben Sie Verständnis dafür, sich unter diesen Umständen nicht offiziell darauf berufen zu können! Sie müssen in diesem Fall der Verschwiegenheit Ihrer Kollegen vertrauen. Vielleicht hilft es, wenn ich Ihnen meine wahren Motive verrate:

      Es geht darum, einen ehemaligen Kollegen vor den schlimmsten Haft- und Verhörmethoden zu bewahren, indem wir die Untersuchungen selber leiten. Ich denke, alle hier sind sich einig, dass Dr. Dembski eine der herausragendsten Persönlichkeiten in Langley war. Er hat sich trotz eines manchmal unmenschlichen Arbeitsumfeldes einen Grundanstand bewahrt, was man von vielen nicht behaupten kann. Bei einem solchen Menschen dürfen nach meinem Empfinden niemals die erweiterten Verhörmethoden angewendet werden, weil dadurch der letzte Glaube an irgendetwas in mir zerstört werden würde!“

      Der letzte Satz erntete zahlreiche Laute der Zustimmung, obwohl immer noch offen war, was Dembski eigentlich verbrochen hatte. Clark brach nun sein Schweigegebot und erklärte:

      „Wenn Agneschka Interesse an Dembski zeigt, haben wir es sicher nicht mit irgendeiner Nebensächlichkeit zu tun. All das könnte mit einem Vorgang in Zusammenhang stehen, der seit längerem hohe Wellen in unserer Abteilung schlägt. Das EDNA-Sicherungssystem hat mehrfach irreguläre Verbindungen zwischen NSA-BRAVEHEART und CIA-GOLIATH angezeigt, weswegen bei uns der Verdacht auf einen Maulwurf in den eigenen Reihen umgeht. Direktor Springfield glaubt, jemand in unserer Abteilung hätte NSA-Dateien in großem Stil abgezweigt.“

      Da Dalberg erwartet hätte, von Springfield, dem Leiter der technischen Beratung, über so etwas umfassend informiert zu werden, zeigte er sich genauso erstaunt wie verärgert über diese Aussage.

      „Gibt es Hinweise darüber, um welche Art von Daten es sich handelt?“, fragte er mit einer Schärfe, in der eine ganz neue Art von Neugierde lag.

      „Wir haben es wahrscheinlich mit dem Kernmaterial von Level C zu tun. Sie werden verstehen, wenn ich darüber nicht leichtfertig Gerüchte verbreiten will. Im weitesten Sinne hat es mit geheimer Datenspeicherung über die Bevölkerung zu tun“, gab sich Clark diplomatisch, indem er einerseits etwas verriet und sich andererseits relativ bedeckt hielt.

      „Welche Schlüsse lässt die Art des Datenmaterials auf die Motive Dembskis zu?“, brachte daraufhin Davids ehemalige Kollegin Sarah Campbell eine entscheidende Frage ins Spiel.

      „Wenn es sich tatsächlich um das betreffende Material handelt, würden Dembskis Motive etwa denen eines Edward Snowden ähnlich sein“, deutete Clark vorsichtig an.

      „Aus meiner Sicht kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen, dass Dembski aus moralischen Erwägungen handelt. Wir alle kennen ihn als den Vorsitzenden der ethischen Kommission, der nach Außen notgedrungen hohle Phrasen gedroschen hat, nach Innen uns aber oft seine großartige Haltung bewiesen hat. Er bekommt eine sehr gute Pension, wodurch finanzielle Interessen auszuschließen sind. Jemand wie er müsste hoch verschuldet sein, um so etwas aus niederen Gründen zu riskieren“, wusste Dalberg eine kurze und zutreffende Einschätzung Dembskis zu skizzieren.

      Dr. Leila Evans, eine Mathematikerin, die in ihrer Abteilung für ihre gute Intuition und ihr logisches Denkvermögen bekannt geworden war, gab daraufhin zu bedenken:

      „Er muss das Material von irgendwem in Langley bekommen haben. Während der letzten fünf Jahre schaffte es niemand mehr von außen in GOLIATH und BRAVEHEART einzudringen, weswegen alle aktuellen Planspiele auf einem internen Leck basieren. Mich würde es übrigens nicht wundern, wenn es bereits Berechnungen von GOLIATH darüber gibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Psychologe und Ethiker, der in den Ruhestand tritt, zu einem Geheimnisverräter wird. Vielleicht sollten Sie einmal die Akte Dembski für uns aufschlagen, falls Sie die erforderliche Berechtigung dafür haben, Mr. Clark.

      Ich möchte vor allem die Frage stellen, welche Motive wir selber in der Angelegenheit zu verfolgen haben: Müssen wir die Übergabe der Dateien noch verhindern oder geht es prinzipiell darum, einen ehemaligen Kollegen vor den Verhörmethoden der Kategorie A zu bewahren?“

      „Doyle hat die Bilder von Dembski mit einer besonderen Dringlichkeitsnote versehen, weil er meint, wir könnten die Übergabe noch verhindern. Dies könnte jedoch auf Maßnahmen hinauslaufen, durch die sich der Fall kaum noch diskret behandeln lässt und möglicherweise sogar die Aufmerksamkeit der Medien erregt. Ich möchte deshalb darauf verzichten und die Übergabe geschehen lassen. Mein Hauptmotiv ist Dembski Kategorie A zu ersparen.“

      Dieses Geständnis brachte Dalberg nochmals die deutliche Zustimmung aller Anwesenden ein. Er galt allgemein als ein harter Hund, weshalb sich manche über seine plötzliche Humanität wunderten.

      Bruce Huntington,