Frank Riemann

Das Lied des Steines


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Clou waren die Räder. Anstelle von Rädern, die fest an die Achsen montiert waren, waren sie bei Gregs Seifenkiste auf Kugellagern einzeln aufgehängt, und waren sie gut eingeschmiert, drehten sie sich schneller, als bei der anderen schwerfälligeren Methode.

      Die Farbe war nicht einfach zusammenzumischen gewesen. Gregs Vater wollte ein einfaches Grau nehmen, aber nach langem Gezeter und reichlichen Versuchen bekamen sie aus Weiß, Grau und einem Großteil silberner Farbe eine Mischung, die aus sich selbst heraus leuchtete. Mit farblosem Lack überzogen war Greg überwältigt und geblendet.

      Als sie den Wagen ums Haus auf die Straße schoben, standen alle Jungen aus der Nachbarschaft Spalier, denn Greg hatte voller Stolz seine Probefahrt angekündigt, und es war ein »Oh«, »Ah« oder auch ein »Sieh dir das an.« zu vernehmen.

      Er hatte gelesen, dass es über Jahre hinweg kein anderes Auto mit dem Silberpfeil hatte aufnehmen können. Wenn er sich jetzt mit seiner blitzenden Karosse blamieren würde, würden die anderen in ein brüllendes Gelächter ausbrechen, und er wäre für alle Zeiten der Verlierer.

      Obwohl die Straße vor ihrem Haus nur leicht abschüssig war, lief der Wagen gut, das sahen auch die Nachbarjungen, und der Wind fuhr durch Gregs leuchtende Haare. Die Lenkung war noch etwas ruckelig, aber die Anderen meinten, dass der Verlierer beim nächsten Mal eine echte Konkurrenz wäre.

      Beim darauf folgenden von der Schule organisierten Rennen, bei dem der Silberpfeil alle Blicke auf sich gezogen hatte, war es dann am Start zu einem Tumult gekommen, von dem Greg glaubte, er wäre mit Absicht organisiert worden.

      Das lange Gefälle näherte sich dem Ende, er war mit den Vorderrädern seines Wagens bis an die Hinterräder seines Vordermannes herangekommen, als sie über die Ziellinie schossen.

      Andrew Summers hatte gewonnen, Greg war Zweiter. Er war zufrieden und strahlte übers ganze Gesicht, war das doch eine deutliche Verbesserung gegenüber der letzten Platzierung. Wenn man nun noch die Lenkung optimieren und die Lager noch besser schmieren würde und er sich am Start ein wenig cleverer verhalten würde, wäre beim nächsten Mal der Sieg drin. Aber noch wichtiger als der Ausgang des Rennens war Greg, dass er sich den Respekt derer verdient hatte, die ihn zuvor noch als Verlierer abgestempelt hatten.

      Wie ein Blitz durchfuhren Greg diese Erinnerungen an sorglose Kindertage, er hätte fast die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren, jedoch ließ ihn ein in zahllosen Rennen geschürter Ehrgeiz das Lenkrad seines Streifenwagens noch fester umklammern.

      Hinter ihm meldeten sich seine Kollegen Walter Anderson und Steve Barnes: »Hier Wagen Acht, wir sind draußen, Eigenunfall, müssen die Verfolgung aufgeben, keine Verletzten, aber die Karre ist hin.« Steve machte die Durchsage und im Hintergrund hörte man Walter fluchen.

      »Verstanden«, antwortete die Zentrale.

      Greg überlegte kurz. Einer draußen, also blieben noch neun Wagen, das müsste reichen. Den Kollegen war nichts passiert, was gut war.

      Ganz deutlich nahm er wahr, was sich ihm hier für ein Bild bot. Mehrere an der Seite geparkte Fahrzeuge wiesen Schäden wie Beulen, Kratzer oder zerstörte Scheinwerfer auf. Die Passanten waren auf den Gehwegen stehengeblieben und starrten jedem vorbeirasenden Wagen nach, wie das Publikum bei einem Autorennen. Mütter hielten ihre Kinder fest umklammert, damit sie sich ja nicht der Fahrbahn näherten und als hätten sie Angst, der bloße Luftzug könne sie ihnen entreißen. An einer Ecke war ein Hydrant entwurzelt worden, sodass sich ein mächtiger Strahl ergoss. Ein junger Hund tollte kläffend im Wasser herum.

      Laut Funk war der Raser nun auf die W 4th Street nach Westen abgebogen. Er musste sich demnach irgendwo vor Greg befinden.

      An einer Einmündung lag ein Lieferwagen mitten auf der Fahrbahn auf der Seite, und Greg hatte alle Mühe, ihm bei seiner Geschwindigkeit auszuweichen. Er bremste, lenkte rechts herum, lenkte links gegen, bemerkte wie die Reifen laut quietschend protestierten, wäre fast ins Schleudern gekommen, bekam den schweren Chevrolet Impala wieder vollkommen in seine Gewalt, gab Gas und donnerte weiter.

      An der Kreuzung Turner Street rauschten zwei weitere Streifenwagen von rechts kommend in die W 4th Street. Der Verkehr war hier nun fast zum Erliegen gekommen und man ließ die Einsatzwagen zügig durch. Greg riss das Steuer herum und wich nach links aus. Dabei wäre er beinahe auf den Gehweg gerutscht und in ein Schaufenster gekracht. Den Schaulustigen, die sich dort versammelt hatten, stockte der Atem, einige schrien laut auf. Greg sah jetzt auch vermehrt Verletzte am Boden liegen und dass sich Menschen um sie kümmerten. Bei Einem machten zwei Helfer eine Herz-Lungen-Wiederbelebung, Andere gestikulierten wild mit den Armen in der Luft herum, als wollten sie einen Mückenschwarm vertreiben. Auf der Straße lag ein zerstörter Hot Dog Wagen und der Erste der drei Streifenwagen brauste durch die Trümmer. Einige Bruchstücke wurden durch die Luft geschleudert. Eines ließ ein Fenster bersten, ein Anderes traf einen Passanten am Kopf, welcher daraufhin zu Boden ging. Menschen liefen herbei, um nach ihm zu sehen. Der zweite Wagen machte eine Vollbremsung, damit das Gleiche nicht noch einmal geschah. Greg bremste auch, aber zu spät. Er knallte dem Vorausfahrenden hinten drauf, die Bleche verkeilten sich, und so fuhren beide, wie ein Gespann, vorsichtig durch die Überreste des Imbisswägelchens. Als sie hindurch waren, gab der Vordermann Gas, beide Impalas lösten sich, Greg holperte über die letzten Trümmer und beschleunigte ebenfalls wieder.

      Während dieser ganzen Zeit herrschte am Funk das reinste Chaos. Besatzungen meldeten sich mit ihren Rufnamen, Greg kannte die meisten von ihnen, nannten Position und Richtung, gaben die Lage durch und forderten Verstärkung und Rettungskräfte an.

      Der Fahrer, den sie verfolgten, fuhr immer noch auf der W 4th Street Richtung Westen und würde bald den Hi-View Park erreichen, an dem die Straße einen Bogen machte und in den War Eagle Drive überging. Es wurde immer wahrscheinlicher, dass der Verkehrsrowdy auf der Interstate 29 den Big Sioux River überqueren und so nach South Dakota entkommen wollte.

      »Zentrale, hier Wagen Drei, kommen!«, meldete sich eine Stimme aus dem Funkgerät.

      »Hier Zentrale Sioux City, sprechen Sie!«

      »Wagen Drei hat Sichtkontakt zu dem flüchtigen Fahrzeug. Es handelt sich um einen dunklen Jeep Grand Cherokee. Aber für Einzelheiten sind wir noch zu weit weg. Augenblick mal. Jetzt biegt er nach links in die Colon Street Richtung Süden ab.« Nach wenigen Sekunden meldete Wagen Drei weiter: »Er biegt wieder links ab. Er fährt nun auf der W 3rd Street zurück in Richtung Osten.«

      Greg überlegte fieberhaft. Wenn der Flüchtige auf der Parallelstraße in entgegengesetzte Richtung fuhr, brauchte er doch nur eher links abbiegen und konnte ihm mit etwas Glück den Weg abschneiden.

      Die Fahrer in den beiden Streifenwagen vor ihm schienen die gleiche Idee zu haben. Die drei Wagen bogen mit schreienden Reifen nach links in die Casselman Street ab und waren erneut zu einer Vollbremsung gezwungen, da durch das Chaos auf der W 4th der Verkehr in den kleineren Seitenstraßen stand. Und abermals rauschte Greg auf das vordere Fahrzeug. Der Beifahrer drehte sich um. Er erkannte Herb Schäfers ärgerliches Gesicht, der ihm mit der flachen Hand einen Scheibenwischer zeigte.

      Die drei Fahrzeuge begannen langsam im Schritttempo, sich einen Weg durch die Karawane vor ihnen zu bahnen.

      »Zentrale? Hier Wagen Vier. Fordere Unterstützung an und schickt alles, was ihr an Rettungs-, Sanitäts- und Hilfskräften da habt, in die City. Wir stecken auf der Casselman fest. Ach ja, zieht sofort den Rookie hier ab, der ist ja gefährlicher als alle Anderen zusammen.«

      Greg erkannte die Stimme von Harry Winchester und er wusste, dass dieser ihn nicht mochte, aber dieses fehlende Vertrauen einem Kollegen gegenüber schmerzte ihn.

      »Verstanden Wagen Vier. Wagen Sechs, bitte kommen.« Das war die Stimme von Sam Moore. Greg wusste, was jetzt kommen würde und es passte ihm überhaupt nicht.

      »Hier Wagen Sechs, ich höre.«

      »Greg, mein Junge, ich weiß, es wird dir nicht gefallen, aber du brichst die Verfolgung jetzt ab und wirst zur Wache kommen, ganz sicher und langsam, und mich hier abholen. Dann werden wir Streife fahren und die Jagd Anderen überlassen. Hast du verstanden?«

      Greg legte den