Frank Riemann

Das Lied des Steines


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und wer weiß, wo die Anderen stecken. Jetzt kommt es auf jeden Einzelnen an und ich bin mir sicher, dass ich ihn kriegen kann. Bitte Sam, wenn du wüsstest, wie es hier aussieht; den Kerl schnappe ich mir.«

      »Greg, das ist etwas Anderes, als im Simulator oder auf der Teststrecke. Und du bist alleine, bei einem Rechtsstreit hast du keinen Zeugen, das weißt du.«

      Im Hintergrund hörte Greg den Diensthabenden schimpfen: »Sam, hol ihn da raus! Das ist unverantwortlich. Er setzt seine Laufbahn aufs Spiel. Wenn das der Chief mitbekommt ...«

      Greg hämmerte den Vorwärtsgang der Automatikschaltung rein und gab Vollgas. Wenn er die nächste Straße links abbiegen würde, in die Prescott Street, die noch vor der Colon kam, könnte er den Raser zwar nicht mehr abpassen, aber zumindest aufholen.

      »Greg, tue dir selbst einen Gefallen und brich die Verfolgung ab.«

      Im Grunde hatte Sam ja Recht, das wusste Greg. Er war ein Praktikant, ein Auszubildender, und dass er alleine im Dienstwagen nach Hause und zur Station fahren durfte, war schon eine Ausnahme, die lediglich geduldet wurde. Er hätte niemals alleine die Verfolgung aufnehmen dürfen, aber jetzt war er schon so weit, da würde er sich nicht abhängen lassen. Das Jagdfieber hatte Greg gepackt und er hatte keine Zeit, sich Gedanken um die Konsequenzen zu machen, die die Missachtung eines direkten Befehls nach sich ziehen würden. Er warf den Handapparat des Funkgerätes auf den Beifahrersitz und murmelte mehr zu sich selbst: »Tut mir leid.«

      »Zentrale, hier Wagen Drei, der Flüchtige ist jetzt direkt vor uns. Er fährt einen schwarzen Grand Cherokee und ist momentan auf der W 3rd Street Richtung Osten.«

      »Wagen Drei, haben Sie sein Kennzeichen?«

      »Negativ, kein Kennzeichen. Verdunkelte Scheiben. Nichts zu erkennen.«

      »Hier Zentrale. Verstanden.«

      Greg bog nach links in die Prescott. Er musste immer wieder bremsen und waghalsige Ausweichmanöver fahren. Die Fahrer wussten teilweise überhaupt nicht, wohin mit ihren Wagen in dieser vollen engen Straße. Ein Mann vor ihm hielt an, riss die Fahrertür auf und stieg aus. Er rettete sich mit einem Hechtsprung zurück ins Wageninnere als Greg vorbeibrauste, wobei er mit der offenen Tür kollidierte, diese aus den Angeln riss und einige Meter weit mitschleifte. Um einige Autos herum fuhr er in den Gegenverkehr, um kurz darauf nach links in die W 3rd Street abzubiegen. Die gleiche Szenerie wie zuvor bot sich ihm dar. Er musste erneut bremsen und umkurvte einen Fahrradfahrer, der mitsamt seinem Rad auf der Straße lag. Dann trat er das Gaspedal voll durch. Der Motor des Chevrolet Impala röhrte auf und beschleunigte rasch.

      Auf der Dritten kam Greg besser durch. Hier war weniger Verkehr, als zuvor. Dennoch tauchten immer wieder beschädigte Fahrzeuge und verletzte Fußgänger auf.

      Anhand der Meldungen von Wagen Drei erfuhr er, dass der Flüchtige sich wieder dem Hamilton Blvd näherte, wo er ursprünglich einmal hergekommen war. Greg fragte sich, warum er das tat. Warum fuhr er diese Schleife und kehrte zum Hamilton zurück? Suchte er etwas? Wusste er gar nicht genau, wohin er wollte? War er verwirrt oder unter Drogen?

      »Zentrale? Hier Wagen Drei.«

      »Hier Sioux City, sprechen Sie!«

      »Der flüchtige Jeep biegt nach rechts ab auf den Hamilton Blvd Richtung Süden.«

      »Sioux City, verstanden!«

      Der Cherokee musste sich erst durch den Verkehr pflügen. Greg kam dagegen auf dem freigeräumten Weg schneller voran. Er war inzwischen zwei Querstraßen vor dem Hamilton, Höhe der Isabella Street, und konnte bereits in der Ferne die Alarmlichter von Wagen Drei ausmachen, die einen Augenblick später nach rechts abbogen.

      Greg erreichte die Kreuzung zum Hamilton, wollte abbiegen und knallte das Bremspedal nach unten. Sein Impala kam stotternd zum Stehen als auch schon drei weitere Streifenwagen mit Höchstgeschwindigkeit genau vor seiner Motorhaube vorbeirasten. Greg gab wieder Gas, bog ab und rauschte hinter ihnen her.

      Momente später führte die Jagd unter der Interstate 29 her. Der flüchtige Wagen hielt unvermindert auf die Staatsgrenze zu. Greg merkte, dass es verdammt eng werden würde, wollten sie den Jeep stoppen.

      Da Wagen Drei sie alle permanent per Funk über die Fluchtroute auf dem Laufenden hielt, bog der Polizeikonvoi direkt hinter der Unterführung nach links auf den Zubringer zur I 29 ab. Sie fuhren aber nicht auf die Interstate auf, sondern hielten sich rechts Richtung Wesley Parkway. Greg vermutete, dass der Cherokee dort nach rechts zur Combination Bridge über den Missouri River abbiegen würde. Und dann wären es nur noch wenige Meter bis nach Nebraska. Der Fluss bildete die Staatsgrenze. Wäre der Wagen erst einmal auf der Brücke, dann hätten Greg und seine Kollegen keine Möglichkeit mehr, ihn zu stoppen.

      Ihm fiel ein, dass Wagen Drei gemeldet hatte, das Fahrzeug besäße kein Nummernschild. War das Auto gestohlen? War mit ihm ein Verbrechen begangen worden? Oder sollte eines begangen werden, als irgendetwas dazwischen kam?

      Der Tross bog am Wesley Pkwy nach Süden ab, das Gelände stieg jetzt leicht an und führte hinauf zur Brückenauffahrt. So konnte Greg das erste Mal den schwarzen Wagen sehen, der für das ganze Chaos verantwortlich war. Ihm folgten vier Streifenwagen, er selbst fuhr den Fünften und im Rückspiegel konnte er noch zwei weitere Wagen erkennen.

      Der Jeep war beinahe auf der Brücke, sie würden zu spät kommen. Ein Polizeihelicopter stand in der Luft über dem Missouri, bloßer Beobachter des Endes der Hochgeschwindigkeitsverfolgung auf Iowa Staats Territorium.

      Der Geländewagen brauste die Auffahrt hinauf und hatte nur noch wenige Meter vor sich, die vorderen beiden Streifenwagen bremsten scharf ab, wollten ihn ziehen lassen und kamen am rechten Fahrbahnrand zum Stehen. Die nächsten Zwei rollten an ihnen vorbei und hielten ebenfalls an, sie schalteten die Sirenen ab, ließen aber die Rundumleuchten noch kreisen.

      Gregs Gedanken schienen mit dem Fahrer des schwarzen Jeeps zu entschwinden. Er hatte noch gar nicht reagiert, raste am ersten stehen gebliebenen Streifenwagen vorbei und hörte gar nicht auf den Funkverkehr: »Hier Wagen Drei, der Flüchtige fährt soeben auf die Combination.«

      »Verstanden. An alle Einheiten, Verfolgung abbrechen, die Behörden in Nebraska sind bereits verständigt. Kommt erst mal alle zurück in den Stall.«

      Alle Wagen, bis auf Greg, bestätigten die Anweisung. Er war seltsam abwesend und dachte gar nicht daran, dass er sich der Staatsgrenze näherte. Sollte er sie im Dienst überqueren, würde das eine Disziplinarmaßnahme nach sich ziehen. Er dachte eigentlich an gar nichts, seine Gedanken flogen einem Vogel gleich durch die Lüfte.

      Plötzlich bremste der Jeep stark ab. Seine Bremsleuchten strahlten hell und rot auf, sein Fahrer riss das Steuer herum und wendete fast auf der Stell um hundert achtzig Grad und der Wagen kam so zum Stillstand. Greg sah tanzende Lichtreflexe auf seiner Windschutzscheibe und raste heran.

      Da gab der Jeepfahrer Gas und der Cherokee schoss auf ihn zu.

      Wollongong / Neusüdwales, Montag 26. April, 13:00 Uhr

      Henry O`Mailey saß noch immer so an seinem Schreibtisch, wie er zuvor an ihm zusammengesunken war. Niemand kümmerte sich um ihn und Keinen interessierte, was mit ihm los war. Der gedrungene Mann, der immer so aussah, als hätte er die vergangene Nacht durchgemacht, hatte keine Freunde im Revier. Man wollte so wenig wie möglich mit ihm zu tun haben und so ließ man ihn schlafen.

      Aber Henry hatte nicht geschlafen. Die gesamte Zeit hindurch, über eine Stunde lang, hatte er so dagelegen und hatte nachgedacht. Zuerst hatte er sich ungefähr einhundert Mal gefragt, warum immer ich? Dann dachte er eine Weile an gar nichts und er wäre tatsächlich beinahe eingeschlafen, so süß zog die Dunkelheit an ihm. Doch plötzlich fiel die komplette Last seiner trüben Situation auf ihn hernieder und er war wieder hellwach, ohne sich jedoch zu regen.

      Dann begann er zu grübeln. »Hier mag mich Keiner. Es gibt Niemanden, der mich achtet oder mir helfen würde. Die warten doch nur darauf, dass ich erneut versage. Dann gäbe es wieder ein großes Trara. Mittlerweile wird ja noch nicht