Elfi Loth

Hilfe, fast 40!


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      Er schaut mir in die Augen.

      “Ich weiß nicht, ob es was wird. Nächste Woche habe ich ein Vorstellungsgespräch im Ausland.“

      Im Ausland? Was bedeutet das? Wo? Wie kommt er dazu? Tausend Fragen schießen mir durch den Kopf. Was wird mit uns? Er kann uns doch nicht einfach alleine lassen!

      Ich wache mitten in der Nacht auf. Das Baby bewegt sich! Ich streichle über meinen kleinen Bauch. Viel ist bei mir noch nicht zu sehen.

      Heute wird Martin zu einem Vorstellungsgespräch nach Österreich fahren. Er hatte die Stelle im Internet gefunden und sich, mit einer Auswahl seiner selbst designten Webseiten, beworben. Die Firma dort fand seine Bewerbung so toll, dass sie ihn eingeladen hat. Er soll gleich Probe arbeiten. Ich werde eine ganze Woche ohne ihn sein. Das finde ich nicht toll. Wer bringt mich zur Arbeit und holt mich wieder ab? Ich sehe mich schon am Abend ganz alleine auf der Couch sitzen. Hoffentlich geht die Woche schnell rum. Ich habe Angst, alleine zu sein. Seit ich mit Martin zusammen bin, war ich nie alleine. Wie wird das sein? Ich habe mich so sehr an seine Gegenwart gewöhnt, dass ich mir Alleinesein, gar nicht mehr vorstellen kann und es auch nicht will. Ich überlege, was wäre, wenn er den Job bekommt? Bin ich dann immer alleine mit unserem Kind? Müssen wir dann eine Fernbeziehung führen? Das will ich nicht! 800 km sind nicht gerade wenig. Da kann man nicht mal schnell nach Hause fahren.

      Jetzt warte doch erstmal ab, versuche ich mich zu beruhigen, ein fester Job ist toll. Das wollte ich ja eigentlich. Ja, klar wollte ich das, aber doch nicht so weit weg!

      Dann geh mit! Meine innere Stimme versucht mir das Ganze schmackhaft zu machen. Hattest du nicht vom Auswandern gesprochen? War das nicht deine Idee? Du wolltest doch weg. Das stimmt, aber noch ist ja nichts entschieden. Abwarten, Marina!

      Jeden Abend sitze ich mit Martins T-Shirt auf der Couch und warte auf seinen Anruf. Er musste dieses Shirt ein paar Tage tragen, damit es nach ihm riecht. Ich nehme es sogar mit ins Bett. So habe ich das Gefühl, er ist bei mir. Sein Duft beruhigt mich, wenn ich nachts aufwache und nicht mehr einschlafen kann. Morgen ist diese endlose Woche vorbei und mein Schatz kommt wieder nach Hause. Ich bin schon gespannt, was er zu erzählen hat. Am Telefon wollte er mir nichts sagen. Das wird eine Überraschung, hat er gemeint. Ich hasse Überraschungen! Man weiß nie, was auf einen zukommt. Dann soll man sich noch freuen, wenn man sich überrumpelt fühlt, nur, um dem anderen die Freude nicht zu nehmen. Mir sieht man alles an. Ich kann nicht lügen, ohne rot zu werden oder zu stottern. Ich kann nicht sagen: “das ist aber schön“, wenn es mir nicht gefällt. Ich bin ein direkter Mensch. Immer geradeheraus, auch wenn es wehtut! Leider hat es schon oft wehgetan und nicht nur mir. Meine Mutter sagte früher immer: “Marina, erst nachdenken, dann reden.“ Heute weiß ich, wie sie das gemeint hat. Trotzdem ist mein Mundwerk meistens schneller, als ich mit dem Denken nachkomme und bevor ich mich versehe, habe ich manchen Leuten Dinge an den Kopf geworfen, die zwar der Wahrheit entsprechen, die aber sicher keiner hören wollte. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur vorbringen, dass ich es nie, wirklich nie, böse meine. Man kann Worte meistens von zwei Seiten verstehen. Positiv oder negativ. Leider suchen sich die Leute ganz oft die negative Seite aus und so trete ich, schon mein Leben lang, von einem Fettnäpfchen ins andere. Meine Schwester meinte mal zu mir: “Musst du immer so gnadenlos direkt sein? Wenn ich mal mit dir so direkt reden würde.“ Aber bitte, das erwarte ich von anderen und von meiner Schwester erst recht. Hinterhältige Personen mag ich überhaupt nicht! Schließlich sage ich ja auch meine ehrliche Meinung, manchmal sogar ungefragt.

      Im Fernsehen kommt heute auch kein Film für mich. Ich gehe schlafen und sehne den morgigen Tag herbei. Mit Martins T-Shirt neben meinem Kopf und Gedanken an unsere ungewisse Zukunft, schlafe ich nach langer Grübelei endlich ein.

      Werden Träume wahr?

      Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinen wirren Träumen. Verschlafen hebe ich ab.

      “Hallo?“, hauche ich ins Telefon.

      “ Guten Morgen Schlafmütze, ich bin gleich da und bringe frische Brötchen mit. Ich bin die halbe Nacht gefahren, nur um schnell wieder bei dir zu sein. Du kannst schon mal die Kaffeemaschine anschmeißen.“

      Martin, es ist Martin! Ich versuche aus dem Bett zu springen, doch mein Babybauch hindert mich daran. Ich setzte mich langsam auf. Was habe ich bloß wieder geträumt? Es war so real! Ich versuche mich zu erinnern und die Bilder kommen wieder. Ein Haus auf dem Land, zwei kleine Kinder, meine Kinder? Ein großer Garten. Ich habe mich mit einem Kinderwagen durch diesen Garten fahren sehen. Ein hübsches, blondes Mädchen hüpft mir um die Beine. Das war alles so echt, so, als wäre ich da gewesen. Ich kann den blühenden Kirschbaum noch genau vor mir sehen. Ein schöner Traum!

      Ich stehe auf und versuche, diesen Traum im Gedächtnis zu behalten. Erstmal die Kaffeemaschine anmachen. Mein Mann wird gleich da sein und ich freue mich riesig, ihn endlich wieder in meine Arme schließen zu können.

      Kurze Zeit später höre ich sein Auto auf dem Parkplatz. Ich werfe mir meinen Bademantel über und laufe ihm entgegen.

      „Hallo mein Schatz.“ Er breitet seine starken Arme aus und ich fliege, nein, wir fliegen hinein.

      “Dein Bauch ist ja gewachsen.“ Er streichelt ganz zärtlich darüber.

      “Alles in Ordnung bei euch? Ihr habt mir so gefehlt.“

      “Du uns auch! Komm schnell hoch, ich will alles wissen und Hunger haben wir auch.“, sage ich und zeige auf mein Bäuchlein. Grinsend nimmt er mich bei der Hand und wir gehen nach oben. Endlich ist er wieder da! Diese eine Woche war sehr einsam!

      Bei Kaffee und frischen, duftenden Brötchen erzählt er mir von seinen Erlebnissen, von seiner Woche ohne uns.

      “Marina, die waren begeistert von mir. Der Chef sagte, er habe sich unter 300 Bewerbern, für mich entschieden! Kannst du dir das vorstellen?“

      Oh nein, bitte nicht, ich will nicht wieder alleine sein, denke ich gerade, als er weiter erzählt.

      “Schatz, es ist wirklich schön da! Ich soll nächsten Monat anfangen. Da gibt es nur ein Problem! Ich kann nicht immer 800 km fahren. Zugesagt habe ich noch nicht, ich wollte erst mit dir reden.“

      Noch nicht zugesagt! Gott sei Dank! Wir werden auch hier einen Job für ihn finden!

      “Die Firma dort gehört drei Brüdern, die alle ungefähr so alt sind wie ich. Ich habe ihnen gesagt, dass ich bald Papa werde und meine Familie um mich brauche. Sie laden uns für eine Woche zu sich ein. Wir sollen uns überlegen, ob wir dort leben könnten.“

      Mit gerunzelter Stirn sehe ich meinen Mann an.

      “Die wollen dich wohl unbedingt!“, stelle ich fest. “Und du, was willst du? Glaubst du, wir haben dort eine Zukunft?“

      “Mein Schatz, ich würde so etwas nicht ohne dich entscheiden, aber du fragst, was ich will. Mir hat diese eine Woche dort wirklich Spaß gemacht. Alle sind nett, es ist sehr familiär. Ich kann mir tatsächlich vorstellen, in Österreich zu leben, aber nur mit dir!“

      “Wie sieht es denn mit der Bezahlung aus?“

      “ Halt dich fest! Die zahlen mir genau das, was ich mir vorgestellt habe und es gibt ein 13. und 14. Monatsgehalt! Ist das nicht der Hammer?“

      Strahlend sieht er mich an. Wow! Dass die sich das leisten können! Die Firma scheint sehr gut zu laufen.

      “13. und 14. Monatsgehalt? Wie machen die denn das? Hört sich spitzenmäßig an!“

      “Das ist gesetzlich so verankert, das kriegt dort jeder!“

      Ich kann es kaum glauben. Hier im Osten Deutschlands, wo die Bezahlung schlecht ist und kaum zum Leben reicht, können wir nur von so was nur träumen. Urlaubs -und Weihnachtsgeld bekommt man kaum. Ich sowieso nicht, ich bin privat angestellt.

      Ich muss zugeben, das hört sich nicht schlecht an.

      “Marina, ich soll Montag Bescheid geben, wie wir uns entschieden haben.“

      “Und