Dirk Christofczik

Die Mondsteindiät


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Satelliten ab, der wahrscheinlich das gesamte Brachgebiet samt seinem Haus pulverisiert hätte. Vielleicht war irgendetwas von einem Flugzeug abgefallen, eine Positionsleuchte oder ein Scheinwerfer. Karl ahnte, dass er nachsehen müsste, um es herauszufinden. Aber im Dunkeln der Nacht war das ziemlich sinnlos. Er hätte zwar eine Taschenlampe aus dem Haus holen können, doch der Gedanke an einen Streifzug durch den Grüngürtel ließ ihn frösteln. Außerdem war unklar, was ihn in dem Dickicht erwartete. Seine Fantasie war ein Sammelsurium von diversen Hollywoodschockern. Das reichte, um die Suche nach dem abgestürzten Ding auf den nächsten Tag zu verschieben.

       Karl schaute noch einen Moment auf die dunkle Wand aus Grün, dann schüttelte er sich und ging eilig zurück Richtung Haus. Auf halbem Weg fiel ihm Jacko ein, der noch immer irgendwo zwischen den Büschen herumstreunte. Karl blieb stehen und drehte sich um. Der Jack Russel Terrier kam in diesem Moment rückwärts aus dem Dickicht geschlichen.

       »Jacko!«, rief Karl, doch der Hund reagierte nicht auf ihn. Stattdessen starrte das Tier wie paralysiert in die Büsche, jaulte nervös und scharrte mit den Pfoten im Schneematsch.

       »Bei Fuß, Jacko!«, befahl Karl, aber das Tier ignorierte ihn weiterhin. Grummelnd machte Karl ein paar Schritte auf den Hund zu, packte ihn am Halsband und zog ihn regelrecht vom Dickicht weg. Irgendetwas war in dem Grüngürtel, dass den Jack-Russell-Terrier nervös machte und das auch Karl ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend bescherte. So schnell wie möglich bewegte er sich mit Jacko zum Haus, schloss mit zitternden Händen die Tür auf und huschte ins Innere.

       In dieser Nacht fand Karl keinen Schlaf. Während er wach in seinem Bett lag und auf den Morgen wartete, hockte Jacko still vor der Haustür, den Blick in die Ferne gerichtet, so als könne er durch das Holz direkt in den Grüngürtel schauen.

      Kapitel 6

      Das neue Jahr begann, wie das alte aufhörte. Glück und Pech kannten keinen Jahreswechsel, Obsessionen scherten sie nicht um gute Vorsätze. Es gab keinen magischen Moment, keinen Beginn einer neuen Ära, nur weil sich die Erde einmal vollständig um die Sonne gedreht hatte. Schmerzen, Leiden, Tod und Leben fanden spätestens dann in ihren monotonen Takt zurück, wenn die letzten Silvesterraketen verglüht und die Explosionen der Böller verhallt waren.

       Tom Weber hatte den Beginn des neuen Jahres nicht bemerkt. Die Vorhänge in seiner Wohnung waren zugezogen und die Fenster verschlossen. Sein Computer-Monitor war die einzige Lichtquelle in seinem Arbeitszimmer. Bläuliche Nikotinschwaden waberten wie Geisterschemen an die Decke. Immer wieder nährte Tom die pittoresken Gebilde, indem er mit hohlen Wangen an einer Zigarette sog und sie halb geraucht in dem überquellenden Kristallaschenbecher halbherzig ausdrückte. Am Abend des Vortages hatte er sich an den PC gesetzt und die Zeit vergessen. Er wusste nicht, wie spät es war, denn seit Stunden spielte er am Computer, trank Kaffee und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Seitdem er vor einigen Monaten zum ersten Mal die Website des Online-Poker-Anbieters aufgerufen und sich an einen der virtuellen Spieltische gesetzt hatte, drehten sich seine Gedanken nur noch um das Pokern. Er steckte in den Fängen des Glückspiels wie eine Fliege in den Maschen eines Spinnennetzes. Anfangs spielte er an Spielgeldtischen, kostenlos, wie in der Fernsehwerbung vollmundig beschrieben. Schnell glaubte Tom, ein talentierter Spieler zu sein und nur wenige Mausklicks von einem lukrativen Nebenverdienst entfernt zu sein. Zweihundert Euro zahlte er auf sein Pokeraccount ein und startete, um echtes Geld zu spielen. Und er begann zu gewinnen! Innerhalb von wenigen Tagen verdoppelte er seinen Einsatz, nach einer Woche hatte er knapp sechshundert Euro gewonnen. Seine Glückssträhne endete an einem Samstag, kurz bevor er sich ein Spiel seiner Schalker gegen die verhassten Bayern aus München ansehen wollte. Das Spiel bekam er nie zusehen, denn als Schalke das 1:0 gegen Bayern schoss, war sein Pokerguthaben bereits auf einhundert Euro geschrumpft. Als die Veltins Arena kopfstand und die Münchener geschlagen waren, zahlte Tom Weber gerade frisches Geld auf sein Pokerkonto ein. Eine fürchterliche Pechsträhne raffte sein gesamtes Guthaben dahin. Mit neuem Geld wollte er seinen verlorenen Gewinn zurückerspielen, aber diese Milchmädchenrechnung war der Anfang des gesamten Desasters. In einem Monat verspielte er fast 1500 Euro, gewann immer mal wieder einige Hundert Euro, dann rann ihm das Geld wie Sand zwischen den Fingern hindurch und er verlor das Doppelte. Schnell erreichte er das Limit seiner Kreditkarte, der Dispositionskredit seines Girokontos war ausgereizt und am Anfang eines Monats füllte er mit seinem Lohn die größten Löcher auf seinem Konto. Tom Weber wusste genau, dass es so nicht weitergehen konnte, doch er konnte seine Fingern nicht vom Glücksspiel lassen. Er verdammte den Tag, an dem er mit dem Pokern angefangen hatte. Doch aufhören konnte er auch nicht mehr.

       Tom Webers Lebensversicherung war Geschichte. Er hatte sie gekündigt und sich mit einem unverschämten Verlust auf ein extra eingerichtetes Girokonto bei einer Direktbank auszahlen lassen. Auf seinem Gehaltskonto wäre das Geld wie in einem schwarzen Loch verschwunden. Die Lebensversicherung war ihm egal, es gab niemanden, um den er sich sorgen musste. Siebentausend Euro! Alles wanderte, ohne nachzudenken, auf seinen Pokeraccount. Und es kam, wie es kommen musste: Er verlor fast alles!

       Jetzt saß er vor seinem Computermonitor und starrte verzweifelt auf die bunte Lobby der Pokerseite. Genau siebenhundertachtunddreißig Euro Guthaben waren noch auf seinem Account. Innerhalb einer Nacht hatte er über sechstausend Euro verspielt.

       Tom nahm sich die letzte Zigarette aus der Packung. Wie passend dachte er mit einem bitteren Lachen auf den Lippen, die letzte Zigarette für das Endspiel. Die Wahrscheinlichkeit, dass er mit dem verbliebenen Geld wieder auf die Erfolgsspur kommen würde, war ziemlich gering, aber es war möglich. Ein gutes Blatt in einem No-Limit Game, mit hohen Blinds, so nannte man die Grundeinsätze beim Pokern, und er konnte mit einer gewonnenen Hand sein Kapital verdoppeln. Es wäre nur ein Anfang, aber ein vielversprechender, um sein verlorenes Geld zurückzugewinnen.

       Tom steckte die Zigarette an. Er trank einen Schluck Kaffee aus seinem Schalke Becher und hätte ihn fast wieder ausgespuckt. Der Kaffee war so kalt, dass er mit einer Kugel Vanilleeis und einen Schlag Sahne als Eiskaffee durchgegangen wäre.

       Mit angewiderter Miene schob Tom den Becher beiseite, dann packte er sich die Maus und loggte sich in einen Spielraum ein. Er klickte auf einen freien Platz, wechselte sein gesamtes Kapital in Spielchips, dann erschien sein Nickname Bandit2000 auf dem Platz, den er sich ausgesuchte hatte. Die Blinds lagen bei 50 Euro und 100 Euro, dass bedeutete, dass zwei Spieler die entsprechenden Grundeinsätze von fünfzig und einhundert Euro setzen mussten. Das geschah im Wechsel und richtete sich nach dem sogenannten Button, einer Art Münze, die nach jeder Spielrunde weitergereicht wurde.

       Die ersten Spielrunden liefen enttäuschend. Tom entrichtete einmal fünfzig und einmal einhundert Euro, aber die Spielkarten, die ihm ausgeteilt wurden, waren nicht geeignet, um die Runde zu gewinnen. Deshalb legte er sie ab und wartete auf eine gute Gelegenheit, um anzugreifen.

       Tom war wieder an der Reihe einhundert Euro Grundsatz in den Topf zu schieben. Lange würde er bei den hohen Einsätzen mit seinem geringen Kapitel nicht durchhalten, um das zu wissen, brauchte man kein Pokerprofi sein. Im Grunde spielte Tom alles oder Nichts, das Ergebnis dieses finanziellen Amoklaufs würde sich in den nächsten Minuten präsentieren. Während er auf seine neuen Karten wartete, zog Tom so heftig an seiner Zigarette, dass der Filter heiß wurde. Als er sein Kartenpärchen sah, wäre ihm die dieselbige fast aus dem Mund gefallen. Der virtuelle Dealer hatte ihm zwei Könige ausgeteilt, ein hervorragendes Startblatt, welches ihm zum Favoriten der Spielrunde machte. Toms Herz begann, schneller zu schlagen. Mit zitternden Händen drückte er seine Zigarette aus. Der Spieler links von ihm begann die Runde, entweder ging er nur mit einhundert Euro mit, setzte zusätzlich einen Betrag oder er stieg aus. Tom hoffte mit seiner exzellenten Starthand natürlich, dass möglichst viele Spieler im Spiel blieben und der zu gewinnende Pott so groß wie möglich wurde.

       Einhundert Euro in Chips wanderten aus dem Guthaben seines Nachbarn in die Mitte des digitalen Spieltisches. Der nächste Spieler legte seine Karten ab und verabschiedete sich aus der Runde. Die restlichen Spieler taten es ihm gleich. Jetzt war Tom an der Reihe und er überlegte, wie er den einzigen Gegner im Spiel halten konnte. Gute Karten waren das eine, das andere war, aus diesen Karten den höchstmöglichen Profit zu erzielen. Eine kleine Erhöhung hielt Tom für das Beste, deshalb schob er weitere einhundert Euro in den Pott. Sein