Dirk Christofczik

Die Mondsteindiät


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Lieblingsplatz, direkt neben der Garderobe. Dort befand sich ein Spiegel, indem er immer sein Outfit checkte, bevor er in das Behandlungszimmer gerufen wurde.

       Prüfend betrachtete er sich in dem mannshohen Spiegel. Bei der Kälte war es nicht einfach sich attraktiv zu kleiden, ohne sich gleichzeitig den Allerwertesten abzufrieren. Roman mochte Kleider, aber heute musste er der Wetterlage Tribut zollen und sich für eine gewöhnliche Jeans entscheiden, die zu einem Drittel in braunen Lederstiefeln im Reiterlook verschwanden. Strasssteine an den Taschen verliehen der eintönigen Hose ein wenig pepp. Dazu trug er eine bunte Ed Hardy Strickjacke, eine Fälschung aus dem letzten Türkeiurlaub, darüber eine Billabong Winterjacke mit Fellimitat am Kragen.

       Sein Outfit wurde von einem dezenten Make-up komplettiert. Ein Lippenstift in einem zarten Rot, ein wenig Concealer für die morgendlichen Augenschatten und einen Hauch Mascara sowie ein paar Spritzer von seinem Lieblingsduft AN’NA von Annayanke. Mit Entsetzen und Amüsement erinnerte sich Roman an seine ersten Schminkversuche. Das Ergebnis war eine schrille Maske, die ihn sofort ein Engagement als Zirkusclown eingebracht hätte. Das Schminken zu erlernen war eine mühsame Angelegenheit gewesen, doch mittlerweile war es besser darin, als die meisten Frauen. Wenn er draußen auf der Straße die verschmierten Gesichter mancher Frauen und Mädels sah, dann schlug er innerlich die Hände über dem Kopf zusammen. Noch schlimmer waren die ungepflegten Schlampen, mit strähnigen Haaren auf dem Kopf und unter den Armen. Er ärgerte sich, wie fahrlässig diese Frauen mit dem Geschenk ihres Körpers umgingen. Wenn er doch nur mit einer von ihnen tauschen könnte.

       Roman wuschelte seine schulterlangen schwarzen Haare durch, benutzte seine Finger als Kamm und strich sich eine Strähne aus der Stirn. Er hatte dickes und schwer zu bändigendes Haar, ein Erbe seiner Mutter. Für die Segelohren durfte er sich bei seinem Vater bedanken, ein Pfarrer im Ruhestand, der verbittert darüber war, dass sein jüngster Sohn ein Perverser war. Genauso hatte er Roman tituliert, als sie vor zwei Jahren zuletzt miteinander gesprochen hatten. Ab und zu telefonierte er mit seiner Mutter, aber ansonsten war jeglicher Kontakt zum Rest der Familie abgebrochen. Er wollte nicht weiter über seine Eltern nachdenken. Sie verstanden ihn nicht, seine Transsexualität passte nicht in ihr heiles Weltbild.

       Roman trat näher an den Spiegel heran und beäugte sein Gesicht mit Argusaugen. Er bewegte sein Kopf noch ein Stück näher an den Spiegel heran, dann sah er wenige schwarze Stippen, die sich wie Maden durch das Make-up fraßen. Hektisch griff er nach seiner Louis Vuitton Handtasche, ebenfalls ein Mitbringsel aus der Türkei, und fummelte das Schminktäschchen hervor, das er immer mit sich trug. Es war nicht einfach den Bartwuchs zu überschminken, zu seinem Leidwesen sprossen seine Stoppeln schneller als Unkraut.

       Mit einem Puderkissen tupfte er sorgfältig Schminke an die Stellen, wo sein Bart durchschien. Nur noch wenige Monate und er würde das Geld für eine permanente Barthaarentfernung zusammenhaben. Schon seit geraumer Zeit lag er mit seiner Krankenkasse im Clinch, die nur die schmerzhafte Nadelepilation übernehmen wollte. Mittlerweile hatte sich Roman damit abgefunden, dass er selbst für die schonende und schnelle IPL Methode bezahlen müsste. Jeden Euro sparte er dafür. Im Endeffekt war er froh, dass wenigstens die Kosten der Geschlechtsanpassung von der Krankenkasse übernommen werden würden.

       »Guten Morgen!«, hörte er plötzlich die sonore Stimme seines Arztes. Hektisch packte er die Schminksachen zurück in seine Handtasche und drehte sich um.

       »Guten Morgen Doktor Goldberg!«, erwiderte Roman die Begrüßung.

       Er mochte den kleinen Urologen mit dem grauen Haarkranz und dem breiten Schnäuzer deren Enden er mit Bartwichse gezwirbelt hatte.

       »Kommen Sie herein!«

       Roman ging in das Sprechzimmer des Mediziners und setzte sich auf den orangefarbenen Plastikstuhl vor dem kolossalen Schreibtisch des Arztes. Seit zwei Jahren wurde er schon von Doktor Goldberg behandelt, in dessen Händen er sich wohlfühlte. Er vertraute diesem Mann, der sich nicht wie ein kühler Mediziner präsentierte, sondern den Eindruck vermittelte, dass er Roman verstand und sein Leiden wahrhaftig als Krankheit akzeptierte. Dazu legte er eine erfrischende Herzlichkeit an den Tag, die man bei Ärzten nur sehr selten vorfand. Im Gegensatz zu den meisten anderen seiner Kollegen war Doktor Goldberg erst Mensch und dann Mediziner. Seine Hoffnung auf einen anderen Körper hat er in die richtigen Hände gelegt, davon war Roman überzeugt. Und heute sollte er erfahren, wann sein Traum endlich in Erfüllung gehen würde.

       Der Doktor setzte sich auf seine Seite des Schreibtisches. Mit einer Hand schob er seine Nickelbrille den Nasenrücken hinauf. Er räusperte sich und schlug eine Akte auf, die vor ihm auf dem penibel aufgeräumten Schreibtisch lag. Doktor Goldberg räusperte sich, dann hob er den Kopf und setzte ein herzliches Lächeln auf.

       »Ich will nicht lange drum herum reden. Small Talk liegt uns beiden nicht besonders.«

       Roman nickte mit einem gequälten Lächeln. Ein flaues Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus.

       »Während der Weihnachtstage habe ich mir viel Zeit genommen, um über Sie und Ihren Wunsch einer operativen Geschlechtsanpassung nachzudenken. Natürlich steht die Frage, ob dieser Eingriff bei Ihnen durchgeführt werden soll, nicht mehr zur Debatte. Ich weiß so gut wie Sie, dass dieser Schritt unumstößlich feststeht. Vielmehr müssen wir, insbesondere ich als ihr verantwortlicher medizinischer Betreuer, den richtigen Zeitpunkt für diesen schwerwiegenden Eingriff bestimmen.«

       Roman hielt es vor Nervosität nicht mehr aus. Er wippte aufgeregt mit dem Fuß und wartete ungeduldig auf die Entscheidung des Doktors. Wie oft hatte er diese Worte schon gehört. Doktor Goldberg mochte zwar keinen Small Talk, aber manchmal neigte er dazu, sein Gegenüber mit Wiederholungen und nichtssagenden Ausführungen auf die Folter zu spannen.

       »Roman, Sie sind 1,76 Meter groß!«

       »Richtig!«, erwiderte er, obwohl die Aussage des Doktors eine Feststellung war und keine Frage.

       »Ihr Gewicht, zuletzt am 15.12.2010 ermittelt, beträgt 155 Kilogramm. Stimmt das?«

       »153 Kilogramm!«, korrigierte Roman zerknirscht.

       Seine letzten Worte sprach er mit einer brüchigen Stimme, den er ahnte bereits, was folgen würde.

       »Ihren Anstrengungen in allen Ehren, aber die bisherige Gewichtsreduktion ist einfach nicht ausreichend. Es tut mir sehr leid, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist eine operative Geschlechtsumwandlung medizinisch nicht verantwortbar.«

       Roman schluckte, leckte sich die Lippen und versuchte krampfhaft die Tränen zu unterdrücken.

       »Aber …«, stammelte er, »Aber was soll ich tun? Ich esse so wenig wie noch nie zuvor in meinem Leben und mache täglich Gymnastik.«

       Doktor Goldberg nickte. Roman verlor den Kampf mit seinen Gefühlen und begann bitterlich zu weinen. Er flennte, schniefte und spürte, wie sein Make-up im Gesicht verlief. In diesem Moment war es ihm egal. Innerhalb von einer Minute war seine Zuversicht zu Aussichtslosigkeit geworden. Er dachte an die vielen Male, als er völlig fertig von seiner Arbeit als Pfleger im Krankenhaus nach Hause kam. Das Versteckspiel auf der Arbeit, wo er immer als Mann auftrat und sich verstellte, brachte ihn immer wieder an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Er hatte nicht den Mumm für ein Coming-out, war zu feige um sein wahres Ich voller Stolz zu präsentieren. Er liebte seine Arbeit und wollte sie nicht verlieren. Immer öfter zog er sich an den Wochenenden in seine kleine Wohnung in der City zurück, igelte sich wie ein Eremit ein. Dann tat er nichts anderes, als stundenlang im Bett zu liegen, und Süßigkeiten in sich hinein zu stopfen. Seine Diäten waren eine Farce. Was er unter der Woche abnahm, stopfte er am Wochenende doppelt und dreifach wieder in sich hinein. Er belog sich selbst und den Doktor obendrein, die Quittung hatte er gerade bekommen. Sein Leben war ein Teufelskreis! Jeden Ausweg versperrte er sich selber. Im Grunde war er das Paradebeispiel eines Verlierers, ein Nichtsnutz ohne Willen und Durchhaltevermögen.

       »Sie müssen die Ruhe bewahren und zu sich selbst finden«, tröstete der Doktor ihn, während er ihm mit einem Papiertaschentuch vor der Nase rumwedelte.

       »Das ist leicht gesagt«, schluchzte Roman. Er griff sich das Taschentuch und schnäuzte infernalisch.

       »Ich kann das nachvollziehen.«

       Das konnte er nicht! So sehr Roman