Großmutter habe ich ein selbst entworfenes Kleid getragen. Na ja, es war nichts Großartiges. Wahrscheinlich ist es dir auch nur aufgefallen, weil es das langweiligste Kleid des Abends war. Kein Vergleich zu dem Papag… Ich meine natürlich zu dem bunten Hosenanzug, den du meiner Großmutter entworfen hattest«, stammelt das Mädchen nervös. Die alte Hexe blickt kurz auf und sieht sie mit einem eingefrorenen Lächeln an.
»Es ist mir eine außerordentliche Ehre, Hexe Jezabel! Wenn ich mir diese Feststellung erlauben darf: Du hast die gleichen Augen wie deine Großmutter!«
J.J. schluckt und blickt zu Boden.
»Das hat nichts zu bedeuten! Ich habe vielleicht ihre Augen, aber sonst unterscheiden wir uns doch sehr! Ich möchte dich bitten, dies bei deinen Vorschlägen zu berücksichtigen! Keine Hosenanzüge mit riesigen Mustern und keine knalligen Farben!«, zischt sie die verdutzte Designerin böse an.
Verunsichert von dem plötzlichen Stimmungswandel des Mädchens blickt Hexe Strada hilfesuchend zu Hexe Cybill. Der Kammerwächterin ist diese Situation mehr als peinlich, weshalb sie eilig das Gespräch übernimmt.
»Keine Angst, meine Liebe. Hexe Strada entwirft nur charakteristische Mode!
Hexe Strada, wie ich sehe, brauchst du noch ein paar Minuten. Ich werde diese Zeit nutzen, um noch etwas Dringendes mit der schwarzen Prinzessin zu besprechen!«
Sie lächelt der Designerin verlegen zu und zieht das Mädchen hinüber zu ihrem Schreibtisch. Dort drückt sie J.J. in den Besucherstuhl und sieht verstohlen zur Designerin. Mit ernster Miene nimmt sie einen Stapel Papiere und schiebt ihn dem Mädchen über den Schreibtisch.
»Das war nicht nötig, Jezabel! Wir Hexen gehen höflich miteinander um! Bitte überschätze deinen Status nicht! Ich möchte wissen, was dich dazu bewegt hat, derart die Fassung zu verlieren. Na gut, wir haben nur sehr wenig Zeit, um diese vielen Dinge hier zu erledigen.
Als Erstes müssen wir deine Wohnsituation ändern. Die Würdenträger sind sich einig, dass du auf gar keinen Fall in diesem Hotel bleiben kannst. Der Besitzer hat sich schon mehrmals darüber beschwert, dass so viele Schaulustige sein Gebäude belagern, da es die anderen Gäste erheblich stört. Deshalb sollten wir uns schnellstens um dein zukünftiges Haus kümmern. Hier sind ein paar Entwürfe von den besten Architekten unseres Landes.«
Die Kammerwächterin zeigt stolz auf einen Stapel Zeichnungen und lächelt das Mädchen verzückt an.
J.J. nimmt den obersten Entwurf in die Hand und sieht flüchtig drüber.
»Meine zukünftige Wohnsituation? Das ging aber schnell. Das heißt, dass ich wirklich hier in Xestha bleiben soll. Für immer?«, denkt sie plötzlich erschrocken. Eine merkwürdige Erinnerung ergreift sie so plötzlich, dass sie zusammenzuckt. Sie schluckt und schiebt die Entwürfe ungesehen zu Hexe Cybill zurück.
»Entschuldige, aber ich habe mich bereits für ein Objekt entschieden. Ich will das Gebäude auf der anderen Seite. Das, was aussieht wie ein zerbeulter Eimer«, sagt sie entschlossen, obwohl ihre Stimme bebt.
In den letzten Tagen war sie so beschäftigt, dass sie über einige Dinge, die sie noch vor Kurzem aus der Bahn geworfen hatten, gar nicht mehr nachdenken konnte. Ein einziger Blick auf die Entwürfe holte die verdrängten Gefühle für einen kurzen Moment zurück. Dazu blitzt Linus’ verzweifeltes Gesicht in ihr auf, was ihr einen weiteren schmerzhaften Stich versetzt. In diesem seltsamen Klartraum hatte der Junge auf dieses sonderbare Gebäude gezeigt und ihr gesagt, dass sie nur dort ihre Antworten finden würde. Seit ihrer Rückkehr in den dunklen Phad hatte J.J. nicht mehr an dieses seltsame Ereignis gedacht.
»Wie konnte ich das nur vergessen?«, denkt sie beschämt. Verunsichert sieht sie zu Hexe Cybill, die ihre Stirn krauszieht und sich zurücklehnt.
»Aber ich bitte dich! Du bist die schwarze Prinzessin! Dieses winzige Haus ist seit Jahren unbewohnt. Es ist eine jämmerliche Ruine. Was sollen die Einwohner denken, wenn du in diese alten Gemäuer ziehst? Außerdem wären die Schutzmaßnahmen viel zu aufwendig. Glaubst du, dass du wie eine normale Hexe zwischen den anderen Einwohnern leben kannst? Sieh dir an, was am Hotel los ist.
Das geht auf gar keinen Fall! Ich denke, du solltest dich für dieses Gebäude hier entscheiden. Es hat ein Schwimmbad und einen großen Konferenzsaal! Und die Lage ist herausragend«, fährt die Kammerwächterin fort, ohne weiter auf den Wunsch des Mädchens einzugehen.
Aber J.J. schiebt die Zeichnung beiseite und schüttelt energisch den Kopf. Im Augenblick fühlt sie sich überhaupt nicht wohl. Sie steht auf und geht zu einem großen Fenster, von dem aus sie das skurrile Gebäude sehen kann.
»Cybill, du bist die Kammerwächterin und nicht meine Mutter! Ich werde selbst entscheiden, wo ich lebe. Ich will dieses Haus! Bitte sag den Architekten Bescheid, dass sie die Sanierung umgehend in die Wege leiten sollen!«, sagt sie energisch, ohne sich umzudrehen.
Das entsetzte Schnauben der Kammerwächterin amüsiert sie. Sie kann verstehen, dass dieser Wunsch auf Hexe Cybill sehr exzentrisch wirken muss. Da setzen sich die besten Architekten des Zauberreichs zusammen und planen ultimative Luxusbleiben, aber das junge Ding besteht auf dieses kleine, zerknüllte Haus.
»Gibt es noch etwas, worüber du mit mir sprechen wolltest?«, fragt J.J. in einem sehr überheblichen Tonfall weiter, während sie an Hexe Strada vorbeischleicht, die nun große Mengen Stoffproben aus ihrer Tasche holt.
Mit trotzigem Gesichtsausdruck setzt sie sich an den Schreibtisch zurück und starrt Hexe Cybill eindringlich an. Die Kammerwächterin winkt entnervt ab und holt ein buntes Prospekt hervor.
»Du bist so stur wie deine Großmutter! Mal sehen, ob ich das mit dem Haus hinbekomme. Aber ich kann dir nichts versprechen! In diesem Fall hat Darania das letzte Wort.
Ja, es gibt tatsächlich noch etwas sehr Wichtiges, worüber wir reden müssen: deine Amtseinführung! Die wird natürlich gebührend in Xestha gefeiert. Wir haben einen Termin für Ende nächster Woche festgelegt. Diese Zeit brauchen wir, um alle nötigen Vorbereitungen treffen zu können. Ich bin mir sicher, dass es ein großartiges Fest wird. Bis dahin müssen jedoch sehr viele organisatorische Dinge erledigt werden. Nun ja, jetzt müssen wir noch dieses armselige Gebäude restaurieren, aber das dürfte kein Problem für die Architekten sein. Obwohl ich mir denken kann, dass sie diese Entscheidung nicht ernst nehmen werden. Das soll allerdings nicht dein Problem sein. Du musst dich jetzt auf deinen wichtigen Tag vorbereiten.
Darania hat bereits alle Würdenträger des dunklen Phads eingeladen. Den genauen Programmablauf lasse ich dir noch zukommen. Du brauchst dich um nichts zu kümmern! Ich werde dich auf dem Laufenden halten und mich an diesem großartigen Tag um dich bemühen. Betrachte mich also während der nächsten Tage als deine Mentorin. Womit ich auch beim nächsten Thema wäre: Jezabel, du benötigst dringend eine Assistenz! Es ist auf Dauer keine Lösung, dass ich mich um alles kümmere. Ich habe ein eigenes Amt, das meine gesamte Aufmerksamkeit benötigt.
Dein Leben wird sich nun grundlegend ändern. Deine Aufgaben werden umfangreicher werden, ganz zu schweigen von den vielen Terminen, die organisiert werden müssen. In diesem Katalog hier wirst du bestimmt die richtige Junghexe für diese begehrte Position finden!«
J.J. dreht sich langsam alles im Kopf. Sie versucht den Worten von Hexe Cybill zu folgen, aber ihre Konzentrationsfähigkeit ist am Nullpunkt angelangt.
»Ich werde mir den Katalog in Ruhe ansehen und euch meine Entscheidung mitteilen. Ich hätte noch eine Frage, die mir ein bisschen peinlich ist:
Ich weiß, dass ich die langersehnte schwarze Prinzessin bin und damit das siebte Mitglied des Hexenrats. Aber was genau ist meine Aufgabe?
Bitte versteh mich nicht falsch, aber ich bin vierzehn Jahre alt. Dort wo ich herkomme, gehen Mädchen dieses Alters noch ein paar Jahre zur Schule. Soweit ich gesehen habe, ist das in meinem Terminkalender nicht vorgesehen. Was wird von mir eigentlich erwartet?«, fragt sie schüchtern.
Hexe Cybill sieht das Mädchen stutzig an.
»Jezabel, du bist aber keine gewöhnliche Junghexe und auch kein normaler menschlicher Teenager. Du bist