M.E. Lee Jonas

Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 02: Die schwarze Prinzessin


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soll und die eigentliche Ursache für diese Abscheulichkeiten sei.«

      J.J. reißt die Augen auf und tritt erschrocken zurück.

      Oma Vettel schlägt mit der Hand auf den Tisch und schimpft erbost los.

      »Solch eine verlogene Bande! Jezabel ist nicht in Xestha! Und sie hat schon gar nicht irgendwelche schäbigen Gesetze erlassen. Was geht dort nur vor?«, brüllt sie lauthals in die Küche.

      J.J. ist wie versteinert. Das war es also, was Sander ihr zu sagen versuchte:

      Während sie sich hier in der realen Welt versteckt, fallen in Xestha grausame Entscheidungen unter ihrem Namen. Geschockt dreht sie um und eilt hinauf in ihr Zimmer.

      So kann sie auch nicht hören, was Baby Jack nun erzählt:

      »Es tut mir leid. Ich wollte euch mit meinen Sorgen nicht verärgern. Es sind doch nur Gerüchte. Auf der Deponie hat man selten die Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt jeder einzelnen Geschichte zu prüfen. Aber als mein Freund Diggler von der Existenz dieser geheimen Pension berichtete, deren Eingang eine WC-Schüssel sein soll, glaubte ich auch, dass es nur eine Geschichte sei, die mich aufmuntern soll. Bis sie vorhin neben mir auftauchte …«

      Oma Vettel stockt der Atem, während Broaf den kleinen Mann mit weit aufgerissenen Augen anstarrt und gluckst.

      »Diggler lebt?«, fragt die alte Dame ungläubig. Baby Jack bemerkt die angespannte Stimmung und sieht beschämt nach unten.

      »Ja. Er hat mir erzählt, dass er hier gewohnt hat. Natürlich habe ich an seinen Geschichten gezweifelt. Erst als der Ausgang neben mir auftauchte, begriff ich, dass er die Wahrheit gesagt hat. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass er und Flick die WC-Schüssel eines Tages auch finden werden«, fährt er schniefend fort. »Ich wollte sie wirklich dazuholen! Die beiden sind aber noch sehr angeschlagen und ich hatte plötzlich große Angst, dass der Ausgang in dieser Zeit wieder verschwindet.

      Es war meine Chance, wisst ihr. Ich dachte, wenn die Geschichte mit der WC-Schüssel wahr ist, dann müssen die schrecklichen Geschichten, die sie über den dunklen Phad erzählen, auch wahr sein. Also bin ich schnell hineingestiegen und habe die Spülung betätigt. Ich fühle mich schlecht, weil ich einfach ohne die beiden abgehauen bin. Diggler glaubt doch so fest an seine Rettung. Er und Flick …«, flüstert er traurig, ohne zu ahnen, was er gerade getan hat.

      Oma Vettel und Broaf starren ihn kreidebleich an und stoßen gleichzeitig ein lautes »Allmächtiger« aus. Es dauert ein paar Minuten, bis die beiden diese Neuigkeit verdaut haben.

      »Baby Jack, du kannst dir nicht vorstellen, welch außerordentlich gute Nachricht du uns überbracht hast! Diggler und Flick sind noch am Leben! Geht es ihnen gut?«, fragt die alte Dame hektisch nach.

      »Es geht den beiden so gut, wie es einem auf der Deponie gehen kann. Diggler hat erzählt, dass sie von Skulks erwischt worden sind, als sie in die reale Welt zurückkehren wollten. Kurz vorm Tor hat ihn ein Skulkstachel getroffen, der ihn schwer verletzt hat. Dass sie ihn daraufhin auf die Deponie verschleppt haben, hat er nicht mitbekommen, weil er bewusstlos war. Als er erwachte und realisierte, wo er sich befindet, hat er viele Stunden durchgeschrien. Es war fürchterlich.

      Inzwischen hat er sich recht gut erholt. Trotzdem ist er sehr traurig. Ständig redet er von euch und seinem besten Freund Lincoln. Diggler glaubt unerschütterlich daran, dass ihr ihn und Flick eines Tages retten werdet. Er ist ein feiner Kerl, hat jedoch ständig Ärger mit den Wärtern, weil er die Vorratskammern plündert. Aber das macht ihm nicht viel aus. Er kann ja nichts dafür, dass er sich nachts in diese verfressene Kreatur verwandelt!

      Wisst ihr, als sie ihn auf die Deponie gebracht haben, stand es wirklich schlecht um ihn. Zwei Wochen lang haben wir um ihn gebangt. Aber Flick hat sich sehr gut um ihn gekümmert, obwohl es ihn selbst schwer erwischt hat. Am Anfang durfte niemand auch nur in die Nähe von Diggler. Erst als Flick bemerkte, dass es einige Deponiebewohner gibt, die seinem Freund helfen können, hat er uns zu ihm gelassen.

      Inzwischen sind beide wieder fit. Nur Digglers linke Vorderpfote ist seitdem gelähmt und Flick hat es am Bein erwischt, sodass er humpelt. Aber er hadert nicht. Er hat uns an manchen Abenden die Angst genommen, indem er fröhliche Lieder gesungen und von seiner Zeit im Orient erzählt hat, als er noch ein Prinz gewesen war …

      Ja, die beiden sind am Leben. Aber ich will ehrlich sein. Ich weiß nicht, wie lange das so bleibt.

      Es gibt nur noch wenige Halfies, die sich freiwillig für die Spiele in der Arena melden. Letzte Woche wollte nicht ein einziger Deponiebewohner bei der Bingonacht mitmachen. Da haben sie uns erpresst. Hubert hat es dann erwischt.«

      Oma Vettel greift entsetzt nach Broafs Hand. Fassungslos schluchzt die alte Dame los. Der Diener steht auf und schenkt ein Glas Bier ein. Er starrt einige Minuten verloren auf das Getränk und bringt es zu Baby Jack.

      »Diese Vorgänge sind an Grausamkeit kaum zu überbieten. Ich kann dir allerdings bei meinem Dasein versichern, dass unsere Jezabel nichts damit zu tun hat! Sie ist oben in ihrem Zimmer und schläft«, erklärt der dem verunsicherten Neubewohner und streicht Oma Vettel beruhigend über die Hand.

      Währenddessen sitzt J.J. empört an ihrem Schreibtisch. Den Kopf in die Hände gestützt, flucht sie leise vor sich hin:

      »Das kann doch nicht wahr sein. Darania tyrannisiert ihr eigenes Volk und benutzt meinen Titel dafür. Diese Hexe ist wirklich das Letzte! Wahrscheinlich hat sie mir auch Sander hinterhergeschickt. Und ich bin wieder darauf reingefallen. So ein Mist! Sie wird mich niemals in Ruhe lassen.

      Ich muss endlich handeln! Sonst gerät mein Leben vollkommen außer Kontrolle. Wie ich diese aufgepimpte alte Hexe hasse!«

      Wütend schnappt sie sich ein Blatt Papier:

      Liebe Großmutter, lieber Broaf.

      Ich habe mit angehört, was Baby Jack über die Ereignisse im dunklen Phad erzählt hat. Ihr hattet also recht. In Xestha geht etwas Abscheuliches vor und der Hexenrat benutzt meinen Namen, um grausame, illegale Dinge zu tun.

      Das tut mir unendlich leid. Aber ich werde das nicht auf mir sitzen lassen!

      Überall herrscht Chaos, weil ich mich gegen meine Bestimmung wehre. Sehen wir es ein: Es ist zwecklos! Das Schicksal hat es doch längst entschieden. Ich habe schwarzes Blut, das ich nicht mehr kontrollieren kann. Wie wir am Strand gesehen haben, bin ich für euch und die reale Welt eine Gefahr.

      Deshalb habe ich eine Entscheidung getroffen: Ich stelle mich den Tatsachen und gehe in den dunklen Phad.

      Ich nehme Rosinante mit.

      J.J.

      PS: Bitte mach jetzt keinen Aufstand, Großmutter! Geh nach Rosaryon zurück und versuch, deine Probezeit unbeschadet herumzubekommen! Es soll nicht alles umsonst gewesen sein! Denk an Großvater Konrad.

      Danke für alles. Ich habe euch sehr lieb!

      PPS: Ich habe Sander wirklich nicht gerufen! Das musst du mir glauben!

      Sie legt den Stift zur Seite und schluckt. Dann packt sie ein paar Sachen zusammen und wartet, bis Oma Vettel und Broaf in ihre Zimmer gegangen sind.

      Nachdem sie Rosinante aus der Speisekammer geholt hat, legt sie den Brief auf den Küchentisch und verlässt leise das Haus. Auf Zehenspitzen schleicht sie die endlose Einfahrt entlang, bis sie das große Tor erreicht. Dort bleibt sie ein paar Minuten stehen und grübelt. Aber egal wie oft sie über das Geschehene nachdenkt, das Ergebnis bleibt dasselbe: Ihr Blut ist schwarz und eine Lösung für ihre Probleme kann sie in der realen Welt nicht finden.

      Entschlossen schwingt sie sich auf Rosinante.

      »Na gut, alte Freundin. Ich bin noch nie alleine mit dir geflogen. Deshalb musst du etwas nachsichtig mit mir sein. Wir müssen nach Xestha. Der Weg ist dir bekannt. Also los, Rosie!«

      Ohne zu mucken, bewegt sich der Besen sacht in die Höhe. J.J. hat trotzdem große Mühe, die Balance zu halten. Es ist das erste Mal, dass sie allein auf Rosinante fliegt, weshalb sich der Start auch ziemlich wackelig gestaltet.