muss, was anfänglich noch zu einigen ungemütlichen Schlenkern führt. Nach ein paar Hundert Metern haben sich die beiden jedoch an die neue Situation gewöhnt und fliegen entspannt über die schlafende Ortschaft.
Als sie über dem Nydia-Walkway hinwegdüsen, fühlt sich J.J. sogar so gut, dass sie Rosinante übermütig die Sporen gibt. Ehrfürchtig starrt sie auf das Tor nach Xestha, welches sich dieses Mal tatsächlich ohne Umschweife öffnet, als sie den Weiher überqueren.
Mit klopfendem Herzen fliegt sie in den dunklen Phad und zügelt erst kurz vor dem Trollwald die Geschwindigkeit. Stöhnend steigt sie von Rosinante, da die ungewohnte Haltung während des Fluges einen unschönen Wadenkrampf zur Folge hat.
Vorsichtig sieht sie sich um und ist erstaunt, dass sie dieses Mal kaum Probleme hat, sich an die ewige Dämmerung zu gewöhnen. Sie lehnt Rosinante an einen Baum und massiert ihre Unterschenkel.
»Ist nicht böse gemeint, Rosi, aber dieses Fliegen macht mich fertig. Es ist mir ein Rätsel, wie Großmutter das über Hunderte von Kilometern durchhält. Puh, schon besser. Wir sollten zusehen, dass wir von hier wegkommen. Ich habe nämlich keine Lust, auf einen Troll zu treffen.«
Entschlossen nimmt sie den Besen in die Hand und sieht sich nachdenklich um.
»Ich habe keine Ahnung, wohin ich gehen soll. Die einzige dunkle Hexe, die meines Erachtens keinen Groll gegen mich hegt, ist Hexe Vivellia. Aber die ist die beste Freundin von Großmutter, also bin ich mir nicht sicher, ob ich ihr trauen kann.
Ist es eigentlich mein Schicksal, das ich mich jedes Mal heimlich in dieses Zauberreich schleichen muss?
Was soll’s. Sie wollten, dass ich mich entscheide, und das habe ich getan!«, raunt sie Rosinante zu.
»Bring mich zum Zentrum. Ich denke, dort sollten wir uns als Erstes umsehen«, spricht sie leise und streicht dem Besen beruhigend über den Stiel. Seit der Begebenheit am Strand ist ihr aufgefallen, dass Rosinante ihre Befehle zwar ausführt, dabei jedoch leicht vibriert. So, als hätte der Besen Angst, dass das Mädchen wieder einen Dämon beschwören will.
Auch dieses Mal scheint der Plan dem Hexenbesen nicht geheuer zu sein. Bevor Rosinante langsam nach oben steigt, beginnt sie stark zu zittern. J.J. klopft ihr ermutigend auf den Stiel und verspricht, dass sie gut auf sie aufpassen werde.
Dann fliegen sie über den Trollwald hinweg, in Richtung Zentrum. Angst hat J.J. nicht. Im Gegenteil, je tiefer sie in den dunklen Phad hineinfliegen, desto wohler fühlt sie sich. Auf eine seltsame Art und Weise fühlt sie sich plötzlich frei.
Kapitel 5
Willkommen schwarze Prinzessin
Es ist vollbracht!
Unsere Zeit ist endlich gekommen. Die Legende des großen Vaun hat sich erhoben. Tretet heran und erhebt euren Blick:
Die schwarze Prinzessin – Herrscherin über das magische Statut des alten Zauberreiches und Günstling des Elonyk von Festos – Prinzessin Jezabel hat den dunklen Phad erwählt, um sich eintausend Jahre nach Vauns Prophezeiung in der ewigen Dämmerung niederzulassen!
Es ist die Top-Nachricht auf der Titelseite der einzigen Zeitung von Xestha, die nur noch für außergewöhnliche Anlässe gedruckt wird.
Heute gibt es eine Sonderausgabe! Für jeden Bewohner des dunklen Phads wurde ein eigenes Exemplar gedruckt. Eine Extraanfertigung soll sogar mit einem Kurier zur Kindskönigin Marla nach Rosaryon geschickt werden.
Ja, es ist wirklich passiert.
Die Junghexe Jezabel hat sich dem Hexenrat gestellt und um ihre Einberufung in den dunklen Phad gebeten, sofern dieser ihr das Amt als siebtes Mitglied des Hexenrates vorbehaltlos zusichern würde. Da der Hexenrat auf die Schnelle nichts dagegen unternehmen konnte, haben sie ihr die Papiere sofort ausgehändigt. Dies übernahm Hystasia, da Darania angeblich wegen eines dringenden Termins keine Zeit hatte.
J.J. musste ständig grinsen, da sie sich vorstellte, wie die Oberhexe vorm Spiegel der Tore auf sie wartet. Immerhin hatte das Mädchen ja noch einen Tag zuvor auf einen Termin mit ihr bestanden. Sie ist jedoch davon überzeugt, dass die Oberhexe dies nicht einfach so auf sich sitzen lassen wird.
Bevor J.J. diesen bürokratischen Kram regelte, hatte sie allerdings noch eine Kleinigkeit zu erledigen.
Als sie nämlich über den großen Platz mit den Statuen flog, geriet sie ins Strudeln, da ihr Blick auf den Statuen hängen blieb. Eine Stunde lang stand sie davor und starrte ihr steinernes Ebenbild fasziniert an.
Ava hatte recht gehabt. J.J.s Statue gleicht ihr nun bis ins kleinste Detail. Selbst die Kurzhaarfrisur mit dem tiefen Scheitel wurde übernommen. Mit einem überlegenen Grinsen blickt diese nun in Richtung des Amtsgebäudes, während sie das Zepter fest in beiden Händen hält.
Die Skulpturen der restlichen sechs Hexenratmitglieder haben ihren Blick dagegen nach innen gewandt und senken demütig ihre Köpfe.
Das hat J.J. absolut beeindruckt.
Na ja, und während sie da stand und grübelte, welche Aussage diese Neuanordnung haben könnte, gesellten sich weitere Zauberreichbewohner dazu, die ebenfalls ganz aufgeregt darüber diskutierten. Innerhalb einer Stunde war der Brunnen von schaulustigen Zauberwesen umringt, die sich sogar neben ihrer Statue fotografieren ließen. Das war so suspekt, dass J.J. ihre Kapuze tief ins Gesicht zog und eilig weiterging, da sie befürchtete, dass sie jemand erkennen würde.
Als sie gerade die Straße zum Parkhaus überqueren wollte, fiel ihr ein großes Reklameschild ins Auge, auf dem eine bildschöne Junghexe mit braunen Augen, als schwarze Prinzessin tituliert, freudestrahlend die nächsten Spiele in der Arena ankündigte. Das hat sie bis ins Mark erschüttert, sodass sie kurz innehalten musste.
»Ich entscheide, was ich ankündige! Dreckige Bande«, sprach sie wütend und starrte auf Rosinante. Mit vorgehaltener Hand flüsterte sie dem Besen etwas zu und ging festen Schrittes zum Vorplatz des Amtsgebäudes.
Dort angekommen testete sie als Erstes den Magiezähler. Lächelnd sah sie zu, wie die Zahl endlos in die Höhe schoss, obwohl sie noch etliche Meter davon entfernt war. Als sie direkt davorstand, begannen die Zahlen hilflos zu blinken, dann ging die Sirene los.
J.J. schritt gemächlich zur Mitte des Platzes und verwandelte Rosinante in das elfenbeinfarbene Zepter. Was mit ihrer Einreise in den dunklen Phad schleichend begann, vollendete sich in diesem Augenblick. Der Schleier, der ihre Gedanken in den letzten Monaten fest umschlossen hielt, lichtete sich. Plötzlich wusste sie genau, was sie zu tun hatte und was sie wirklich wollte. Befreit von jeglichem Zweifel stand sie mitten im Zentrum des dunklen Zauberreichs und hielt ihr Zepter in die Höhe. Aber anders, als es Oma Vettel oder irgendeine andere Vorfahrin tat, beschwor sie dieses Mal nicht als Erstes den Donner und den Blitz. Mit verachtender Stimme sprach sie einen dunklen Vers, der unüberhörbar durch Xestha schallte.
Als sie das Zepter auf den Boden stemmte, gab es einen Donnerschlag, der die Gebäude um sie herum zum Zittern brachte. Daraufhin folgte eine gewaltige Druckwelle, die durch den gesamten dunklen Phad rollte und die zornigen Worte des Mädchens in jeden Winkel des dunklen Zauberreiches trug.
»Ich bin Jezabel, die schwarze Prinzessin – Herrscherin über das magische Statut des alten Zauberreiches und Günstling des Elonyk von Festos und damit das siebte Mitglied des Hexenrats! Niemand sonst darf sich so nennen oder unter diesem Titel falsche Ankündigungen machen! Sollte ich noch eines dieser Trugbilder unter meinem Namen sehen, werde ich alle Verantwortlichen umgehend auf die Deponie bringen lassen!«
Es fiel ihr leicht, diese Worte auszusprechen, aber sie bemerkte auch, dass Rosinante sich gegen diese ungewöhnliche Art der Nutzung wehrte. Sechshundert Jahre lang wurden die großen Zauber mit derselben Anrufungsformel begonnen, nun hatte eine junge Hexe diese Tradition einfach durchbrochen. Das war zu viel für den Hexenbesen. Ohne auf weitere Befehle Jezabels zu warten, verwandelte sich das Zepter zurück in den Besen und sprang demonstrativ aus ihren Händen.
Das Mädchen starrte ihm verwirrt