Matthias Krügel

Typ 1


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dort niemand befinden, wird der nachfolgende Inhalt dieser E-Mail keinen Sinn machen, da weitere entscheidende Informationen nur vor Ort hinterlegt sind.

       Für die Person in Oberstdorf gilt Folgendes: Begeben Sie sich zum Edmund-Probst-Haus. Dort steht im Hüttenbuch, wohin sie mir in den Alpen folgen müssen.

       Außerdem werden Sie das beigefügte Foto und die nachfolgenden Daten benötigen:

       47°XX'23.4"N 10°YY'ZZ.5"E

       XX=Todestag + 4

       YY=Todesjahr - 8

       ZZ=Abteilung + 4

       Beachten Sie bei dem Foto: Ein zweiter Blick lohnt sich.

       Das müssen Sie alles noch nicht verstehen, werden es aber bald.

       Denken Sie an Ihre Hüttenausstattung!

       Ich wünsche eine schöne Nacht in den Bergen!

       Kevin Schulte

      Julia öffnet das beigefügte Foto, auf dem der Teil eines Bergsees mit den dahinter liegenden Gipfeln zu sehen ist. Weiter nichts. Sie zeigt den anderen das Bild.

      „Sagt Ihnen das etwas?“

      Beide werfen einen Blick darauf, Rosalia Mancini nimmt die erste Einschätzung vor.

      „Das dürfte der Schrecksee sein, am Rand ist die Insel erkennbar. Der ist ein paar Kilometer von hier entfernt, so auf 1.800 m Höhe, ausschließlich zu Fuß erreichbar, ein bis eineinhalb Stunden Aufstieg.“

      Christian Bach räuspert sich. „Rosalia…“

      „Ok, zwei Stunden Aufstieg. Aber da sollen wir jetzt eh nicht hin.“

      „Was und wo ist das Edmund-Probst-Haus?“

      „Das ist eine Berghütte des Deutschen Alpenvereins mit Übernachtungsmöglichkeit direkt neben der Bergstation der Nebelhornbahn.“ Rosalia Mancini wirft einen prüfenden Blick auf die Nachricht. „Ich nehme an, dass er einkalkuliert hat, dass da die Seilbahn hochgeht. Vermutlich ist das nicht das letzte Ziel des Tages. Die nächsten Hütten sind einige Stunden weiter entfernt, so dass wir nicht zu lange warten sollten. Zumal wir nicht wissen, welche weiteren Überraschungen er auf Lager hat.“

      „Gut. Ich muss mich umziehen, so wie Sie. Wie machen wir es?“

      „Ich bin in spätestens einer halben Stunde an Ihrem Hotel.“ Sie lächelt wieder. „Trifft mich nicht unvorbereitet.“

      „Dann bis gleich. Herr Bach, ich danke Ihnen für Ihre freundliche Unterstützung.“

      Er gibt ihr wieder sein formvollendetes Lächeln und seine Hand. „Nicht der Rede wert.“

      Die nächste Begegnung wird weniger freundlich sein.

      Ein paar hundert Meter entfernt, im Bahnhof von Sonthofen, fährt die Regionalbahn von Immenstadt nach Oberstdorf ein. Die geplante Ankunftszeit um acht Uhr wird fast eingehalten. Vor Stillstand des Zuges meldet sich das Smartphone von David. Er öffnet die Nachricht von Kevin Schulte. Bevor er diese liest, muss er sich kurz um etwas anderes kümmern.

      Wie geplant übergibt er seinen Trolley mit der normalen Kleidung an eine Servicekraft seines Stammhotels in Bad Hindelang, 10 km östlich von Sonthofen. Bei der Reservierung hat er angegeben, zunächst eine Hüttentour zu machen, wisse aber nicht, wie lange. Sein Zimmer gelte vom ersten Tag an gebucht, da er seine Tour flexibel gestalten wolle. Weitere Erklärungen waren nicht erforderlich und man war gerne bereit, seinen Koffer im Bahnhof entgegenzunehmen. Als sich der Zug wieder in Bewegung setzt, widmet er sich der E-Mail.

       Hi David,

       ich hoffe, Du bist gut durchgekommen. Mit dem Zug? Haben die Umstiege geklappt?

       Es könnte heute sonst spät werden. Nehme auf jeden Fall die Nebelhornbahn zum Edmund-Probst-Haus. Dort steht im Hüttenbuch, wohin es als Nächstes geht.

       Außerdem wirst Du folgende Daten benötigen.

       47°XX'04.0"N 10°YY'ZZ.2"E

       XX=Todestag + 4

       YY=Todesjahr - 8

       ZZ=Abteilung + 2

       Das musst Du alles noch nicht verstehen, wirst es aber bald.

       Der Polizei mache ich es ein kleines Bisschen schwerer. Ich hoffe, die bekommen das hin.

       Kevin

      Was er sich dachte, trifft jetzt zu: Er kann sich direkt nach oben begeben. 20 Minuten später erreicht sein Zug den Bahnhof von Oberstdorf bei Sonnenschein und 20 Grad. Lächelnd nimmt er einen Rundumblick. Schön, wieder in den Bergen zu sein. Sein Blick bleibt an der Nebelhornbahn haften. Zu Fuß begibt er sich mit seinem Rucksack zur Talstation.

      Nach einer weiteren Viertelstunde kauft er ein Ticket – nur Hinfahrt – und stellt sich bei den Menschentrauben an, die bei dem besser werdenden Wetter hinauf gefahren werden möchten. Die Gondeln fassen bis zu 60 Personen. Es ist so voll, dass er auf die nachfolgende Fahrt warten muss. Während der Zeit blickt er sich um. Ob jemand von der Borkener Polizei dabei ist? Haben sie überhaupt jemanden geschickt? Und ist diese Person für die Berge vorbereitet?

      Müßig, darüber nachzudenken. Nach fünf Minuten kommt die entgegengesetzte Gondel von oben, in die er mit einsteigen kann. Seine Tour beginnt gegen Viertel vor Neun.

      An der Bergstation angekommen, sind es wenige Meter bis zum Edmund-Probst-Haus. David betritt das Gebäude über die Außenterasse in den Gastraum und bestellt eine Zitronenlimonade. An der Theke vorbei gelangt er in einen Flur, in dem sich in einer Nische das Hüttenbuch befindet. Er blättert mehrere Seiten und damit einige Tage zurück bis zu dem entscheidenden Eintrag: Kevin Schulte, nächstes Reiseziel: Prinz-Luitpold-Haus.

      David schmunzelt. Da hat ihm sein Freund eine schöne Tour ausgesucht. Die Strecke ist ihm bekannt, sie ist leicht zu gehen, vor allem bei diesem Wetter, so dass er am frühen Nachmittag dort ankommen müsste. Er macht mit seinem Smartphone ein Foto von der Seite, falls er später eine Information benötigt, der er aktuell noch keine Bedeutung beigemessen hat. Man weiß nie, was sich Kevin ausgedacht haben mag.

      Zurück im Gastraum ist seine Limo fertig. Er bezahlt direkt und genießt das Getränk auf der Außenterasse mit einem ersten herrlichen Ausblick über die Alpen und in das Oberstdorfer Tal. Von seinem Rucksack löst er seine Wanderstöcke und stellt die Länge ein. Das Glas bringt er zurück zur Theke, setzt den Rucksack auf und nimmt sich die Stöcke. Aus der kleinen Tasche am Hüfttragegurt zieht er Kopfhörer, setzt sie auf und startet seine Musik.

      Er lächelt. Das Adrenalin ist auf voller Leistung. Los geht’s!

      Julia muss im Hotel eben ihre Kleidung wechseln. Der Rucksack ist unverändert komplett vorbereitet. Sie kontrolliert die Pistole im Regenfach unter dem Rucksack. Ihr Smartphone und ein Tablet packt sie in das Fach der oberen Abdeckung. Obgleich nicht mehr in Baumwolle, sondern in Polyester, fühlt sie sich in der Funktionswäsche wohl. Für heute hat sie eine dunkelgrüne Hose, praktischerweise in T-Zip-Ausführung, sowie ein langärmliges dunkelgraues Shirt mit Reißverschluss gewählt. Zu dieser Zeit und in der anzugehenden Höhe wird es kühler sein, aber wahrscheinlich laufen sie sich warm.

      Nach der ausgemachten halben Stunde trifft Julia auf Rosalia Mancini am Eingang ihres Hotels und ist erstaunt. Während man ihre eigene Wanderbekleidung figurbetont nennen kann, ist das, was Rosalia Mancini da trägt, enganliegend, wie eine zweite Haut, die deutlich macht,