Matthias Krügel

Typ 1


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mit einem weißen Hemd, ohne Krawatte. Zu seinem Style gehört außerdem ein permanenter Dreitagebart und eine Frisur, die gezielt so aussieht, als sei er gerade erst aus dem Bett aufgestanden. Er ist vertieft in Recherchen, als ein Gespräch zu ihm durchgestellt wird.

      „Adrian Dekker, LKA NRW; was kann ich für Sie tun?“

      „Susanne Bordon vom LKA Hessen. Guten Tag, Herr Dekker.“

      „Guten Tag, Frau Bordon. Wie ist das Wetter in Wiesbaden?“

      „Danke. Angenehm. Hätten Sie ein paar Minuten Zeit für mich?“

      „Für eine Kollegin aus einem benachbarten Bundesland jederzeit.“

      „Vielen Dank. Ich wende mich an Sie mit einem Amtshilfeersuchen. Uns liegen Informationen auf eine konkrete Gefahrenlage vor. Eine Person mit Kontakten zu islamistischen Fundamentalisten scheint einen Anschlag auf die in Deutschland lebende Bevölkerung zu planen, vielleicht sogar schon in die Wege geleitet zu haben. Die Person ist flüchtig.“

      Dekker streicht sich mit der Hand über sein Gesicht. Da war fast alles drin, was in eine wirkungsvolle Rede zum Islamismus gehört. Fehlt nur noch die nationale Sicherheit.

      „Herr Dekker, ich brauche Ihnen nicht extra zu sagen, dass es um die Frage der nationalen Sicherheit geht. Die Person hat fundamentalistische Grundzüge, die man ihr nicht ansieht.“

      „Wer ist der potentielle Attentäter?“

      Seine Gesprächspartnerin macht eine bedeutungsvolle Pause, bevor sie antwortet. „Das kann ich ihnen aus ermittlungstechnischen Gründen nicht sagen.“

      Adrian Dekker seufzt kurz. Da ist sie wieder, die nicht vorhandene Zusammenarbeit zwischen den Landeskriminalämtern. Offiziell werden vor allem nach ermittlungstechnischen Pannen neue Vereinbarungen für eine bessere Kooperation und einen reibungslosen Datenaustausch getroffen. Tatsächlich leben Konkurrenz und Eitelkeiten weiter.

      „Frau Bordon, ich bin kein Pressevertreter, sondern vom LKA Düsseldorf. Sie haben mich angerufen. Und jetzt haben Sie Probleme, mir den Namen eines Ihnen bekannten Attentäters zu nennen?“

      „Die Person hat bisher ausschließlich in Hessen gelebt, gewohnt, gearbeitet. Aktivitäten auf dem Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen sind nicht zu erwarten.“

      „Soll ich mal eben recherchieren, wie lang die gemeinsame Grenze zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen ist? Abgesehen davon, dass mir Grenzkontrollen zwischen Bundesländern neu wären.“

      „Herr Dekker…“

      „Ok, ist schon gut. Was wollen Sie?“

      „Danke. In Ihrem Zuständigkeitsgebiet hat es gestern einen Todesfall gegeben. Ein Kevin Schulte ist umgekommen. Ermittlungstechnisch tätig dürfte die örtliche Polizei in Borken sein.“

      „Kleinen Moment.“ Adrian Dekker loggt sich in dem entsprechenden Portal ein und ruft den Fall auf. Eine Weile recherchiert er im System, welche Informationen hinterlegt sind, findet die von der Polizei Borken angelegten Dateien. Dazu gehören die Berichte zum Fund des Toten, verschiedene Ermittlungsversuche, die bisher ins Leere führten, sowie die E-Mail von einem Kevin Schulte vom heutigen Morgen und das Kurzprotokoll der Dienstbesprechung, erstellt von Raja Becker. „Ja, Kevin Schulte, verstorben gestern. Woher wissen Sie das?“

      Er hört, wie auf der anderen Seite die Luft scharf eingezogen und dann seine Frage übergangen wird.

      „Welche Ermittlungsergebnisse gibt es, Herr Dekker?“

      „So gut wie keine. Todesursache Zyankali, Motiv und Ablauf sind nicht schlüssig nachvollziehbar. Es ist nach seinem Tod eine Nachricht von ihm eingegangen. Aktuell ist eine Kollegin auf dem Weg in die Alpen, um dort der Spur nachzugehen.“

      „Lassen Sie mir die Nachricht bitte zukommen.“

      Adrian Dekker ergreift die Gelegenheit für eine kleine Revanche. „Das ist aus ermittlungstaktischen Gründen leider nicht möglich.“

      „Dann sagen Sie mir wenigstens, wo Ihre Kollegin hinfährt.“

      „Ich kann hier nur erkennen, dass sie Kontakt zur Polizei in Sonthofen aufnehmen wird.“

      Stille am anderen Ende.

      „Hallo, sind sie noch da?“

      „Ja, ja, Entschuldigung. Geben Sie mir bitte die Kontaktdaten der Kollegin.“

      „Frau Bordon, Bezug nehmend auf die offiziellen Dienstwege bin ich Ihr Kontakt.“

      „Dann bedanke ich mich für Ihre Bemühungen.“

      „Gern geschehen. Vielleicht begegnet man sich.“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Na, in einer Hotelbar eines netten Hotels in den Alpen.“

      „Auf Wiederhören, Herr Dekker.“

      „Auf Wiederhören, Frau Bordon.“

      Adrian Dekker speichert den Mitschnitt des Gespräches im Dateisystem ab und legt hierzu einen Ordner „Kevin Schulte“ an. Dann geht er drei Zimmer weiter zu seinem Vorgesetzten, Torsten Helmer, einem hageren Typ im Anzug, der die Datei aufruft und sich die Aufnahme anhört. Während des gesamten Abspielens sagt keiner von beiden ein Wort. Danach wendet sich Helmer an seinen Mitarbeiter.

      „Ich denke, Ihr Instinkt war richtig. Da spielt sich irgendetwas ab in den Alpen, was unsere Kollegin aus Borken in seinem Ausmaß anscheinend noch nicht erahnt. Aber wie Sie sicher bereits erwarten, fahren Sie da hin.“

      „Das ist in Bayern. Die haben eine eigene Polizei und ein eigenes Landeskriminalamt.“

      „Ja. Aber da ist ein Fall von uns aus Nordrhein-Westfalen involviert.“

      „Sie fährt in die Berge. Ich will nicht auf die Berge. Da ist alles zu steil und viel zu voll mit diesen Kühen.“

      „Wer sagt, dass Sie da hoch sollen?“

      „Die E-Mail von dem Kevin Schulte, die auf dem Mail-Server der Wache in Borken abgelegt ist. Offenbar geht es auf eine mehrtägige Bergtour.“

      „Beobachten Sie das halt von unten. Viel kann da oben nicht laufen. Und runter müssen alle irgendwann wieder.“

      „Na schön. Ich mache mich morgen auf den Weg.“

      Adrian Dekker will das Büro verlassen, da hält ihn Manfred Helmer auf.

      „Eine Frage noch. Was hat dieser ominöse vereitelte Attentatsversuch mit unserem Fall zu tun?“

      „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

      „Ok. Dann finden Sie es heraus. Und genießen Sie die gesunde Bergluft.“

      Zunächst sind es ein paar Tropfen auf der Windschutzscheibe, so dass die Scheibenwischer gelegentlich ihre Arbeit verrichten müssen. Dann wird der Regen stärker, die automatischen Wischintervalle werden immer kürzer, bis sie in den Dauerbetrieb wechseln.

      Julia nähert sich dem Darmstädter Kreuz, bei dem sie sich für die nächsten 70 Kilometer entscheiden darf, ob sie den Autobahnen A 67/A 6 oder der Autobahn A 5 nach Süden folgt, bis diese am Walldorfer Kreuz wieder zusammen treffen. Sie überlässt die Entscheidung ihrem Navigationsgerät, welches eventuelle Staulagen berücksichtigt, und wechselt auf die östlich gelegene A 5. Kurz darauf erscheint Blaulicht in ihrem Rückspiegel und ein Polizeiwagen zieht an ihr vorbei. Bleibt zu hoffen, dass es kein Unfall ist und die Autobahnwahl nicht falsch war.

      Ein paar Kilometer östlich von ihr, in einem Gewerbegebiet von Darmstadt, steht Dr. Martin Gertz an der von außen voll verspiegelten Fensterfassade seines Büros im ersten Geschoss seines Betriebes. Der Himmel ist durch die von Westen aufziehenden Wolken stark verdunkelt. Die ersten Regentropfen perlen an den Scheiben herab und verschleiern seine Aussicht auf das Rheintal. Die