Isabel Lüdi-Roth

Am anderen Ende der Welt


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      Taonga machte sich auf den Weg zu Bens Häuschen, nicht ohne vorher gebetet zu haben.

      Er klopfte an die Tür. «Ben, ich bin es, Taonga, ich muss mit dir sprechen, kann ich reinkommen?»

      Die Türe öffnete sich und Ben erschien im Türrahmen. Er sah nicht gut aus, so als hätte er viel geweint.

      «Darf ich?» Taonga trat ins Zimmer und zeigte auf einen der zwei Stühle.

      Ben nickte zaghaft.

      «Komm, setz dich auch, Ben.»

      Ben wirkte wie ein Häufchen Elend, als er dem großen, kräftig gebauten Maori gegenübersaß.

      «Was ist mit dir los, Ben? Bitte sprich darüber. Wir alle merken, dass dich etwas sehr beschäftigt. Stella nimmt es am meisten mit. Sie denkt, dass du sie nicht mehr liebst!»

      Ben zuckte zusammen. Es schmerzte ihn, dass Stella seinetwegen litt. «Das tut mir schrecklich leid, ich liebe Stella.» Ben vergrub sein Gesicht in den Händen. Es durfte nicht sein, dass er schon wieder zu heulen begann.

      Taonga nahm ihn in seine Arme und drückte ihn an sich wie ein kleines Kind. «Du bist ein guter Junge, Ben. Wir sind so froh, dass du hier bist. Du bist einfach wunderbar. Klug und begabt. Ein guter Freund für Stella, einfühlsam, zärtlich, stark ... wir lieben dich alle ... Gott liebt dich, er liebt dich so sehr!»

      Ben schluchzte laut. Taonga legte seine riesige Hand auf seinen Kopf und drückte ihn fest an seine Brust. So verharrten sie eine lange Weile.

      «Du hast das Gefühl, dass dein Vater dich nicht liebt? Dass du nicht genügst, dass du alles falsch machst?»

      Woher wusste Taonga das? Bens Vater war immer streng gewesen, er hatte seinen zwei Söhnen viel abverlangt und große Erwartungen an sie gestellt. Bildung war ihm extrem wichtig, er erwartete gute schulische Leistungen. Ben hatte diese Leistungen ohne große Anstrengungen erbracht. Anstatt stundenlang zu büffeln, hatte er sich lieber draußen herumgetrieben. Das war seinem Vater aber ein Dorn im Auge gewesen, seiner Meinung nach vergeudete Ben sein Potenzial.

      Bens älterer Bruder, Simon, ordnete sich dem Vater unter und war sein ganzer Stolz. Doch Ben hatte immer alles anders gemacht. Sein Vater war der Meinung, Ben sei ein Rebell, der in seine Schranken gewiesen werden musste. Ben hatte krampfhaft versucht, seinen Vater von seinen ganz eigenen Fähigkeiten zu überzeugen, doch sein Vater hatte völlig andere Vorstellungen und hatte seinen Sohn immer zurückgewiesen.

      «Das macht man nicht so» und «das machst du völlig falsch», waren Standardsätze, die Ben während seiner ganzen Kindheit zu hören bekommen hatte.

      Der Vater hatte auch nicht gezögert, Schläge auszuteilen, wenn das seiner Meinung nach angebracht war, und das war bei Ben nicht selten vorgekommen. Seine Mutter hatte sich nie durchsetzen können. Sie war dem Vater hörig und konnte sich nicht für ihren Sohn einsetzen.

      Die Familie ging praktisch jeden Sonntag zur Kirche. Dort gehörte der Vater zur Gruppe der Ältesten, der Gemeindeleitung. Doch in der Gemeinde verhielt sich sein Vater ganz anders als zu Hause.

      Ben hatte immer mehr Probleme mit dem christlichen Glauben bekommen. Als ihn dann Naemi für seinen besten Freund verließ, war etwas in ihm zerbrochen. Er hatte eine große Wut auf Christen, auf den Glauben und auf Gott bekommen. Auf seinen Vater sowieso.

      «Du bist hierher geflohen, nicht wahr? Nach Neuseeland, weil man von dort, wo du aufgewachsen bist, nicht weiter fliehen kann.» Taonga hatte eine tiefe, warme Stimme. Er klang überhaupt nicht vorwurfsvoll, sondern war voller Mitleid und Liebe.

      Jetzt brach die ganze Not aus Ben heraus. Es war, als wäre ein Staudamm gebrochen. Er erzählte Taonga alles, was er so lange in seinem Herzen verborgen hatte. Einen Teil hatte er Stella schon anvertraut, aber jetzt kam alles ans Licht. Er erzählte Taonga, wie sehr er sich hatte überwinden müssen, um mit Stella zur Kirche zu gehen. Dass er sich gedacht hatte, er würde es ihr zuliebe einfach hinter sich bringen.

      «Und dann habe ich vom Vater erzählt, der auf seinen Sohn gewartet und ihn mit offenen Armen empfangen hat.»

      Ben nickte. «Mein Vater hat mich nie umarmt, gar nie. Nicht einmal, wenn ich weinte. Er sagte immer, ich solle keine Memme sein. Richtige Männer würden sich nicht umarmen.»

      Taonga lachte herzhaft. «Ich umarme dich, mein lieber Ben, ich umarme dich im Namen Gottes, der dich so sehr liebt.» Taonga drückte Ben so fest, dass er fast keine Luft mehr bekam.

      Sie redeten noch eine ganze Weile, und Ben wurde es leichter und leichter ums Herz. «Ich habe mich so sehr vor Stella geschämt, weil ich nach dem Gottesdienst wie ein kleines Kind geweint habe. Ich schämte mich, ihr wieder zu begegnen. Was sollte sie von mir halten? Ich bin ein Mann, und Männer heulen doch nicht. Wahrscheinlich will sie nichts mehr von mir wissen.»

      Taonga lachte wieder laut. «Stella hat sich Hals über Kopf in dich verliebt, mein Junge. Du wirst sie jetzt sofort anrufen und sie hierher bestellen, damit ihr euch aussprechen könnt!»

      Das klang nach einem Befehl, der keinen Aufschub duldete. Mit zitternden Händen griff Ben nach seinem Smartphone und tippte die Nummer.

      «Stella?», seine Stimme war sehr leise. «Ich bin es, Ben. Stella, es tut mir so leid. Ich liebe dich. Kommst du zu mir? Dann können wir über alles sprechen.»

      Kurze Zeit später riss Stella die Tür auf und warf sich dem verdatterten Ben an den Hals.

      «Es tut mir so leid», stotterte er.

      Stella küsste ihn stürmisch. Ben taumelte nach hinten und musste sich aufs Bett fallen lassen.

      Stella landete neben ihm und lachte. Sie setzte sich auf und sagte glücklich: «Ich verzeihe dir, Ben. Ich liebe dich.»

      Bevor er etwas entgegnen konnte, drückte sie ihm einen neuen Kuss auf die Lippen. Als Ben wieder Luft bekam, erzählte er Stella alles, was er auch Taonga anvertraut hatte. Stella hörte still zu, schaute Ben ermutigend an und strich ihm über den Rücken.

      Taonga hatte die ganze Zeit schweigend zugehört. Nun stand er auf und klopfte Ben freundschaftlich auf den Rücken. Ben fühlte sich nach diesem Gespräch dermaßen erleichtert, dass er das Gefühl hatte, fliegen zu können.

      Aber er wusste noch nicht, wann er es wagen wollte, ein nächstes Mal in den Gottesdienst zu gehen.

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