Isabel Lüdi-Roth

Am anderen Ende der Welt


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Holzkirche statt. Ben war noch nie dabei gewesen, er benötigte seiner Meinung nach eine längere Kirchenpause. Stella jedoch kam immer ganz begeistert aus dem Gottesdienst, sie ging jeden Sonntag hin.

      Ben blickte zu Boden und zeichnete mit dem Fuß Kreise in den Sand.

      «Ben, sag mir, was los ist, bitte!» Stellas Stimme klang flehend. Ben streichelte ihr über die Wange. «Ach, Stella, ich weiß, wie wichtig dir der Gottesdienst am Sonntag ist, du hast noch keinen versäumt, jedenfalls nicht, seit ich hier bin.»

      Stella legte den Kopf schief und schaute Ben erwartungsvoll an. Auf was wollte er hinaus? «Und?»

      Ben zeichnete noch einen Kreis in den Sand. «Ich würde morgen so gerne den ganzen Tag mit dir zusammen sein. Ich liebe dich!» Er schaute noch immer auf den Sand unter seinen Füßen. «Ich möchte einfach nur mit dir zusammen sein. Ich habe eine wunderschöne Wanderung entdeckt. Mitten durch einen Regenwald an einen unberührten Strand.» Ben machte eine Pause und schaute endlich auf.

      Sie lächelte. «Nun möchtest du mich fragen, ob ich für dich den Gottesdienst sausen lassen würde, nicht wahr?»

      Ben stotterte: «Nun ja, äh, ich weiß, es ist dir wichtig.»

      Stella lachte. «Also, Ben, ich weiß gar nicht, was du für ein Theater machst. Frag mich doch einfach, anstatt um den heißen Brei herumzureden.» Sie lehnte den Kopf an seine Brust und umarmte ihn.

      «Klar, ich komme gerne mit dir mit. Ich möchte doch auch mit dir zusammen sein. Den ganzen Tag. Den ganzen Sonntag!»

      Ben staunte. «Echt?» Er küsste sie erleichtert auf die Stirn.

      «Kommst du dann nächsten Sonntag mit mir zum Gottesdienst? Das würde mich sehr freuen. Aber ich möchte dich nicht drängen, überleg es dir in Ruhe!»

      Er küsste sie nochmals zärtlich. «Auf jeden Fall werde ich nächste Woche mit dir zum Gottesdienst kommen. Auch wenn es mich, ehrlich gesagt, ziemlich Überwindung kostet.»

      Sie strahlte übers ganze Gesicht.

      Am nächsten Tag saßen sie schon in aller Frühe im Auto. Sie fuhren auf schmalen Straßen in eine kaum besiedelte Gegend. Wenn ab und zu ein Haus in der Nähe war, erkannte man das an den lustigen Briefkästen, die an der Straße standen. Die erfinderischen Neuseeländer gestalteten diese oft fantasievoll. Gerade waren sie an einem fischförmigen Briefkasten vorbeigefahren, in dessen weit geöffnetes Maul der Briefträger die Post legen musste.

      Irgendwann wurde die Straße noch schmaler und war nicht mehr geteert.

      «Eine Gravel Road, eine Schotterstraße!», rief Ben begeistert und gab etwas mehr Gas. «Zum Glück ist das so eine alte Kiste, mit einem neuen Auto könnte ich diese Strecke wohl kaum fahren.»

      Stella klammerte sich am Sitz fest. «Auf jeden Fall nicht in diesem

      Tempo», sagte sie gespielt vorwurfsvoll.

      Immer wieder flogen Steine gegen das Auto, doch das störte Ben wenig. Der Wagen schaukelte und wurde durchgeschüttelt. Ben fuhr mit Vorliebe in die Schlaglöcher und freute sich wie ein Kind.

      Stella wurde es irgendwann zu viel. Sie rief: «Mann, Ben, kannst du nicht langsamer fahren? Die Straße ist in einem furchtbaren Zustand!»

      Ben lachte und sah zu Stella hinüber. Doch als er merkte, dass sie sich wirklich nicht mehr wohl fühlte, drosselte er sofort das Tempo und umfuhr die nächsten Löcher vorsichtig.

      Endlich erreichten sie ihr Ziel, einen Kiesplatz direkt am Waldrand. Die beiden zogen sich ihre Trekkingschuhe an und sprühten sich mit Insektenspray ein.

      «Am Strand gibt es bestimmt extrem viele Sandfliegen», sagte Ben und sprühte Stellas Beine besonders gut ein. «Jetzt stinken wir dermaßen, dass uns die lästigen Viecher bestimmt meiden!»

      Die Wanderung durch den Regenwald war fantastisch.

      «Schau dir den riesigen Farnbaum an, Ben! Ich liebe diese Bäume, sie sind so typisch für Neuseeland.»

      Ben umarmte Stella, die staunend am Wegrand stehen geblieben war, von hinten und stützte sein Kinn auf ihre Schulter. «Ja, wunderschön, Stella. Magst du auch dieses fast ohrenbetäubende Zirpen der Zikaden?»

      Stella musste lachen. «Tja, sie sind wirklich ziemlich laut. Sie übertönen fast das herrliche Vogelgezwitscher!»

      Ben bedeckte Stellas Nacken mit Küssen. Ein angenehmer Schauder lief ihr über den Rücken. «Die Vögel klingen so anders als in der Schweiz, nicht wahr?»

      Stella drehte sich um und zog Bens Kopf sanft zu sich. Sie küssten sich innig.

      Bens Herz raste schon wieder. «Ich liebe dich, Stella!»

      Sie küsste ihn nochmals und flüsterte ihm ins Ohr: «Ich bin so glücklich mit dir. Ich liebe dich auch.»

      Stella bereute es nicht, Ben zuliebe auf den Gottesdienst verzichtet zu haben, sie genoss es zutiefst, mit ihm zusammen zu sein.

      Eigentlich wollten sie ihr Picknick am Wasser einnehmen. Doch der wunderschöne Strand mit dem grobkörnigen goldgelben Sand und den bizarren Felsen, die aus dem tiefblauen Meer ragten, war Heimat von unzähligen Sandfliegen. Eine regelrechte Invasion der stechenden kleinen Insekten ließen Stella und Ben nach kurzer Zeit schon fast fluchtartig die Idylle verlassen. Wild um sich schlagend rannten sie zurück in den Wald, wo es besser war. Vor allem Stella war an Armen und Beinen von Stichen übersät und reagierte mit einem starken Ausschlag.

      «Du Arme!» Ben behandelte Stellas geplagte Haut mit einem kühlenden Gel.

      «Du bist gut ausgerüstet, was?»

      Ben tippte Stella zärtlich auf ihre Stupsnase. «Klar, wenn ich mit der schönsten Frau im gefährlichen Bush unterwegs bin!»

      Sie aßen ihr mitgebrachtes Essen im Schutz des Waldes. Ben fütterte Stella mit kleinen Tomaten und schaute ihr zu, wie sie mit geschlossenen Augen genüsslich kaute.

      Der Tag ging viel zu schnell zur Neige. Es wurde bereits dunkel, als sie den Campingplatz erreichten.

      «Trinken wir noch etwas bei mir?» Ben wollte Stella noch eine Weile für sich haben und zeigte auf sein bescheidenes Heim unter den hohen Bäumen.

      Stella überlegte einen Moment. Sie hatten sich vor einer Woche versprochen, dass sie es beim Händchenhalten, Küssen und Umarmen belassen wollten. War es richtig, mit ihm alleine in die Cabin zu gehen? Nun, sie waren auch den ganzen Tag alleine gewesen und Ben würde sich gewiss an seine Abmachung halten.

      Sie schaute, ob Julia und Phil da waren. Im Esszimmer brannte Licht. Sie sehnte sich sehr danach, noch ein wenig Zeit mit Ben zu verbringen. «Hast du Eistee?»

      Ben war erfreut, dass sie noch zu ihm kommen wollte. «Klar, im

      Kühlschrank sollte eine Flasche stehen.»

      Sie meldeten sich kurz bei Julia und Phil, damit sie wussten, dass sie zurück waren.

      «Seid vorsichtig», sagte Phil schmunzelnd, «ihr könnt wohl nicht genug voneinander bekommen, was?»

      Ben und Stella nickten lachend.

      Ben nahm Stella an der Hand und zog sie zu seinem Häuschen. Mit Schrecken stellte er fest, dass alle seine Sachen verstreut herumlagen. Wäschestücke, Papier und sogar Essensreste. «Oh Mann, ich habe nicht mit Besuch gerechnet. Ich sollte wohl einmal aufräumen!»

      Stella hielt sich die Hände vor den Mund und starrte auf Bens unglaubliche Unordnung.

      «Es tut mir echt leid, mein Schatz.» Ben war die Sache peinlich. Er nahm sich vor, in Zukunft ordentlicher zu sein, wenigstens Stella zuliebe. «Komm wir trinken den Eistee draußen, okay?»

      Stella nickte lachend.

      Sie machten es sich auf der Veranda gemütlich. Weil es schon ziemlich kühl war, kuschelten sie sich ganz nah aneinander.

      «Am nächsten Sonntag begleite ich