Bianka Kitzke

Zwischen den Fronten


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erwachte Marie aus ihrer Trance.

      „Hier sind dann noch Ihre Papiere“, sagte ihr ehemaliger Chef zu ihr und reichte Marie den Umschlag. - „Ich wünsche Ihnen alles Gute. Lassen Sie den Kopf nicht hängen“, reichte ihr die Hand und geleitete sie hinaus. Sobald Marie das Büro verlassen hatte, schloss sich die Tür hinter ihr.

      Der hatte gut reden. Den Kopf nicht hängen lassen … er war ja nicht arbeitslos. Er würde sich nicht um einen neuen Job bemühen müssen. Nein, er saß ja nicht auf einem Blatt, das drohte meterhoch vom Baum zu fallen. Wie durch Nebel lief Marie den Flur hinunter zu den Büroräumen. Noch immer konnte sie es nicht fassen … man hatte sie entlassen. Rausgeworfen … einfach so.

      Wie würde sie es Erik erklären? Was würde er sagen? Marie betrat ihr ehemaliges Büro und ging wie ferngesteuert auf ihren Schreibtisch zu, als ihre Kollegin Dagmar auf sie zukam.

      „Marie! Alles ok? Was wollte der Chef denn von Dir?“

      Marie sah auf und Dagmar konnte die Tränen, die sich in Maries Augen gesammelt hatten, erkennen.

      „Oh mein Gott!“, sagte sie und hielt sich eine Hand vor den Mund.- „Sag nicht, dass … dass sie Dich …“.

      „Doch! Sie haben mich entlassen! Einfach so. Was soll ich denn nun machen?“, fragte Marie und ließ ihren Tränen freien Lauf. Dagmar lief schnell zu ihrem Schreibtisch, holte die Kleenex und eilte dann wieder zu Marie um ihr die Schachtel zu reichen. Marie nahm eins heraus und putzte sich die Nase.

      „Ich versteh es nicht … ich habe doch immer alles richtig gemacht. Und nun werfen die mich raus.“

      Marie schnäuzte noch mal in ihr Kleenex und fing dann an, langsam ihren Schreibtisch zu leeren. Sie nahm sich nicht mal die Zeit um alles schön in den Karton, den sie unter ihrem Tisch stehen hatte, einzuräumen. Willenlos warf sie alles hinein und verschloss ihn.

      „Wie soll ich das denn Erik sagen? Und wie sollen wir nun unsere Schulden abdecken?“, fragte Marie doch Dagmar verzog nur das Gesicht zu einer mitleidigen Miene und sagte nichts dazu. - „Naja, er wird mir schon nicht den Kopf herunterreißen“, sagte sie stattdessen und vergewisserte sich, dass Sie alles eingepackt hatte. Sie nahm sich den Karton und lief zur Tür. Dagmar ließ sie einfach stehen.

      „Marie!“, rief diese ihr jedoch noch mal nach. Marie drehte sich um und sah Dagmar lange an. Auch diese hatte Tränen in den Augen. - „Pass auf Dich auf … und melde Dich ab und zu mal“.

      Marie nickte und verließ dann das Büro. Jeder wusste, dass sie sich nicht melden würde und wahrscheinlich eher zu Hause Trübsal blasen würde als sich einmal zu melden. Draußen warf sie alles was sie hatte in den Kofferraum ihres Mercedes Cabrio und stieg ein. Lange saß sie hinter dem Steuer ihres Wagens ohne den Schlüssel umzudrehen. Dieses Auto würde sie sich auch nicht mehr leisten können, jetzt wo sie arbeitslos war. Marie wischte sich die Tränen aus den Augen und fuhr dann ein letztes Mal vom Hof der Marketingagentur.

      Als Marie nach Hause kam, war das Haus leer. Nachdem sie ihre Tasche in der Diele abgestellt und ihre Schuhe ausgezogen hatte, begab sie sich nach oben in das obere Stockwerk um sich zu duschen. Marie wusste nicht wie lange sie sich den Strahl der Dusche über die Haut hatte rinnen lassen, doch so langsam spürte sie wie ihr Magen nach etwas essbarem schrie. Sie betrat das Schlafzimmer und ihr Blick fiel über das Feld das hinter dem Haus war. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.

      Wie sollen sie hier weiter leben können wenn sie doch nun arbeitslos sein würde? Marie schüttelte die Gedanken ab, zog sich an und ging nach unten in die Küche. Erik war noch immer nicht zu Hause und Marie wunderte sich ein wenig als sie die Wasserflasche aus dem Kühlschrank nahm. Hatte er nicht etwas von Frühdienst gesagt? Mit einem Brot in der einen und einem Glas Wasser in der anderen Hand betrat Marie das Arbeitszimmer ihres Mannes. Alles war sauber und ordentlich aufgeräumt. In der Mitte seines Tisches lag sein Terminplaner. Marie schlug ihn auf und blätterte darin. Am Tag angekommen stand jedoch nichts von Frühdienst, sondern Bereitschaft.

      Oh Mann! Wieder eine ganze Nacht allein, - dachte sich Marie und verließ das Zimmer wieder. An manchen Tagen verfluchte sie Erik und seinen Job.

      Erik Karter war Arzt aus Leidenschaft. Er liebte nichts mehr als seinen Job und seine Frau, dachte zumindest Marie. Sie respektierte ihn und seinen Beruf, wünschte sich aber doch ab und zu, dass sie mal wieder einen Abend gemeinsam verbringen könnten. Marie setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer und starrte ins Leere. Nicht nur, dass sie seit Monaten Tag ein Tag aus immer öfter alleine war. - nein auch die Kommunikation die sie und Erik früher hatten fehlte. Immer seltener sprachen sie bis nachts miteinander. Was ja auch schlecht war, denn Erik war die meiste Zeit in der Klinik.

      Vielleicht würde Erik sich ja freuen wenn sie ihn in der Klinik besuchen würde? So nebenbei könnte sie ihm dann sagen, dass sie ihren Job verloren hatte. Marie sprang vom Sofa auf, zog sich ihre Schuhe wieder an, nahm ihre Tasche und verließ das Haus. Unterwegs hielt sie noch an der Pizzeria und holte eine Pizza, bevor sie zur Klinik fuhr.

      Im Klinikum war es still und ruhig. Ab und zu hörte man ein Baby weinen oder die Schritte einer der Schwestern, die Nachtdienst hatten. Marie kannte den Weg in das Bereitschaftszimmer in und auswendig und machte sich auf direktem Weg dahin. Kurz bevor sie die Tür erreicht hatte, sah sie jedoch wie die Tür geöffnet wurde und ihr Mann mit einer Schwester herauskamen. Sie unterhielten sich angeregt und lachten aus vollem Herzen. Wann hatte Erik das letzte Mal mit ihr so gelacht? Erik sah Marie als Erster.

      „Schatz? Was machst Du denn hier?“

      „Hallo! Ich wollte Dir was zu essen bringen und da dachte ich wir könnten uns vielleicht einen schönen Abend machen, wenn Du nicht allzu sehr beschäftigt sein solltest“.

      „Nein. Komm rein. Schwester Larissa und ich sind fertig“, sagte er und grinste die Schwester an. Diese drehte sich lächelnd um, wünschte noch einen schönen Abend und eilte den Flur hinunter. Während Marie Erik in das Bereitschaftszimmer folgte.

      Wenn Marie es geahnt hätte oder gar zwanzig Minuten früher gekommen wäre, wäre sie ganz sicher in einen Tobsuchtsanfall verfallen. Denn da lag er noch in den Armen von Larissa, - nachdem er mit ihr geschlafen hatte.

      „Setz Dich“, sagte er zu ihr und machte Platz auf einem Tisch der im Zimmer stand und schloss die Fenster, die er zum Lüften aufgemacht hatte.

      „Danke … ich sollte … ich muss mit Dir reden. Es ist wichtig. Ähm, seit wann kommen denn Schwestern in dein Bereitschaftszimmer?“, fragte Marie und stellte den Karton ab. Erik öffnete und nahm sich ein Stück Pizza raus, bevor er es sich auf dem Sofa gemütlich machte.

      „Ach, das kommt schon mal vor wenn sie was zu unterschreiben haben oder so. Aber deshalb bist Du ja nicht hier oder? Also … was ist denn los?“

      „Ähm … naja … ich wurde entlassen“.

      „Entlassen! Warum?“

      „Wegen Gehaltskürzungen und so …! Erik wie sollen wir das schaffen? Wie sollen wir unser Haus weiter finanzieren?“

      Das Haus! Es war Maries ganzer Stolz und sie liebte es wie nichts anderes. Dass ihre Ehe zu scheitern drohte, daran dachte sie anscheinend keine Minute oder sie wollte es einfach nicht wahr haben, ging es Erik durch den Kopf. Er gönnte Marie ihre Position im Job und er wusste, dass Werbung viel Arbeit machte und viel Arbeit brauchte, doch nun im Stillen war er froh darüber, dass Marie nun wieder mehr Zeit haben würde. Vielleicht würde das sogar ihre Ehe retten.

      Die Realität

      Als Erik und sie vor Jahren erfuhren, kurz nachdem sie geheiratet hatten, dass sie bald zu dritt sein würden, hatten sie beschlossen aus der vier Zimmer Wohnung in der Stadt auszuziehen und sich ein schnuckeliges Haus auf dem Land, aber auch nicht allzu weit weg von der Stadt zu suchen. Sie hatten viel Wert darauf gelegt, dass ein Garten und viel Platz da wären und hatten dann dieses Objekt entdeckt. Marie war sofort verliebt in das Gebäude und Erik ließ sich breitschlagen und hatte es aus Liebe zu seiner Frau gekauft.