J. U. Gowski

Whisky Blues


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      Trotzdem treten in diesem Krimi auch real existierende Personen auf. Ihnen gilt mein Dank für ihr Einverständnis, sie für diese Geschichte »missbrauchen« zu dürfen.

      Prolog

      

       Einen Monat zuvor...

      Mohammed Javed Zarif betrat den Hausflur des Mietshauses am Paul-Linke-Ufer, in dem sich seine Wohnung befand. Er schaltete das Licht nicht an, stellte sich mit der Pistole in der Hand wartend in den hintersten Teil des Flures. Die schützende Dunkelheit verschluckte seine Gestalt. Es war 19.45 Uhr. In etwas mehr als einer Stunde würde sein Zug nach Paris gehen. Bis dahin musste er überleben. Er sah durch das Fenster der Hausflurtür die tanzenden Schneeflocken, die von der Straßenlaterne angestrahlt wurden. Er lächelte melancholisch. Der Schnee würde nicht liegenbleiben. Seit ein paar Jahren mussten die Kinder in Berlin auf das Rodeln verzichten. Er konnte sich noch an Zeiten erinnern, da war der Landwehrkanal im Januar zugefroren. An die Geräusche, wenn es wärmer wurde. Von brechendem Eis oder von treibenden Eisschollen, die scharrend gegen Bootswände stießen. Seine Kindheitserinnerungen. Er sah wieder auf die Armbanduhr. Er hatte jetzt zehn Minuten in der Dunkelheit gestanden. Es war ihm niemand gefolgt. Erleichtert steckte er die Waffe in seine Manteltasche. Dann stieg er die Treppen zu seiner Wohnung hinauf.

      R.R. saß in dem bequemen Sessel, der in der Ecke des Wohnzimmers stand. Seinen Mantel hatte er geöffnet, die weichen Lederhandschuhe anbehalten. Die Waffe mit dem aufgesetzten Schalldämpfer lag griffbereit neben ihm auf dem kleinen Tischchen. Kurz nachdem Mohammed Javed Zarif gegen 18.15 Uhr die Wohnung verlassen hatte, war er hineingegangen. Das Schloss war keine Herausforderung für ihn. Er hatte sich in der Wohnung umgesehen. Den gepackten Koffer im Schlafzimmer entdeckt und die Sporttasche mit dem Geld, welches Zarif scheinbar seinem Boss, Nasser Al-Sharif, abgenommen hatte für eine Zukunft mit Kirsten Bommer, die er nun nicht mehr haben würde. R.R. sah auf die Uhr. 19.55 Uhr. Er saß jetzt schon fast zwei Stunden in der Dunkelheit. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Zarif wieder auftauchen würde. Um 20.58 Uhr ging Zarifs Zug vom Hauptbahnhof nach Paris. Wie er wusste, hatte Zarif für diesen Zug vor drei Tagen eine Fahrkarte mit Sitzplatzreservierung gekauft. Da die Deutsche Bahn die Nachtzüge eingestellt hatte, war Zarif auf die russische Bahn RŽD ausgewichen. Die RŽD fuhr Paris dreimal in der Woche an. Zarif hatte die Illusion, in Paris seine Geliebte wiederzutreffen. Sie war vorgestern vorgefahren und er wollte nicht, dass man sie zusammen sah. Getrennt hatten sie bessere Chancen, glaubte er. R.R. vermutete, sie wollten sich später am Gare de Lyon treffen, um dann über Montpellier weiter nach Sète zu fahren. Dort fuhren die Fähren nach Marokko ab, wo Zarif sicher Freunde hatte, die ihnen weiterhelfen konnten. Was Zarif noch nicht wusste, Kirsten Bommer hatte Paris nicht lebend erreicht. Ein kleines Loch in der Schläfe hinderte sie daran. Als die Zeit für die Ankunft in Paris gekommen war, hatte R.R. mit ihrem Handy eine SMS an Zarif geschickt. Sie lautete: Bin gut angekommen. Warte hier auf dich.

      R.R. hörte das Drehen des Schlüssels im Schloss und griff behutsam zur Pistole. Zarif betrat das Zimmer und wollte das Licht anschalten, als R.R. sagte: »Lass es aus.«

      Zarif fuhr herum und sah die matt schimmernde Pistole mit dem Schalldämpfer auf sich gerichtet. Jegliche Hoffnung wich aus seinem Gesicht. Er wusste mit einem Schlag, das Spiel war aus. Es war vorbei.

      »Setz dich auf den Stuhl dort«, forderte R.R. Zarif auf und deutete mit dem Pistolenlauf zum Schreibtisch am Fenster. »Und mach dir keine Illusionen wegen der Pistole unter deinem Schreibtisch, die habe ich hier.«

      Er hob die Waffe, die er in der Hand hielt, mit gespreizten Fingern. Zarif erkannte den Perlmuttgriff. Woher wusste R.R. von der Waffe? Er hatte den passenden Schalldämpfer dazu. Er musste sich also schon vorher in der Wohnung umgesehen haben. Und er hatte nichts bemerkt. Sein Verstand begann vergeblich, nach einem Ausweg zu suchen. Langsam ging er zum Schreibtisch. Er dachte an die Pistole in seiner Manteltasche.

      R.R. sah ihn an. »Bevor du dich setzt, zieh deinen Mantel aus. Vorsichtig. Wir wollen doch die Nachbarn nicht durch einen lauten Schuss wecken, der sich aus Versehen aus der Pistole in deiner Manteltasche gelöst hat, oder? Wär auch schade um den Mantel. Ich nehme an, Kaschmir.«

      Zarif nickte unbewusst und zog den Mantel vorsichtig aus, dabei R.R. taxierend, auf eine Unachtsamkeit von ihm hoffend. Der lächelte nur amüsiert. Zarif war der Mann unheimlich. Als er den Mantel wie aufgefordert in die Ecke des Raumes warf, wusste er, seine Chance war vorbei. Mutlos setzte er sich auf den Stuhl.

      »Du hättest ein Haar oder einen Streichholz oder etwas Ähnliches in deine Tür stecken sollen, dann hättest du vielleicht gewusst, dass hier jemand auf dich wartet.«

      »Lebt Kirsten noch?«, fragte Zarif nur besorgt, der Rest interessierte ihn nicht. Abgehakt. Schnee von gestern. Er wusste selber, dass er einen tödlichen Fehler begangen hatte, dafür brauchte er nicht R.R.

      »Wer ist Kirsten?«, entgegnet der.

      »Ich weiß, wer du bist und du weißt, wer Kirsten ist, also lassen wir den Unsinn.«

      »Wenn du weißt, wer ich bin, was soll dann diese Frage?«

      Zarif wurde blass.

      R.R. sah ihn an, Mitgefühl regte sich in ihm. Er respektierte Zarif und seinen vergeblichen Versuch auszubrechen. R.R. war klar, dass Zarif selber nur mit einer Chance von 1:100 gerechnet hatte, mit der Nummer davonzukommen. Nicht umsonst hatte er seine Geliebte vorfahren lassen.

      »Ich habe nur dich als Auftrag«, log er. »Wenn du clever warst, hast du sie vorgeschickt, wohin auch immer, und sagst es mir nicht.«

      Zarif musterte R.R.s steinerne Miene. Etwas Erleichterung machte sich in ihm breit.

      »Ich werde hier sterben, stimmt’s?«

      »Ja«, war R.R.s knappe Antwort.

      »Es war den Versuch wert.« Zarif hielt kurz inne und vollendete dann: »Sie war den Versuch wert.«

      »Du musst es ja wissen. Es war eure Entscheidung.«

      Zarif sah R.R. stumm an, plötzlich sagte er: »Ich hätte noch einen Auftrag für dich.«

      R.R.s Miene blieb undurchdringlich. Er schwieg. Da kein Protest kam, wagte Zarif es, ihn auszusprechen. Er hatte nichts zu verlieren.

      »Töte den, der dir diesen Auftrag gegeben hat.«

      R.R. schwieg.

      »Ich kann dich bezahlen.«

      »Ich weiß.«

      Zarif stutzte. »Ahh, du hast die Tasche mit dem Geld gefunden.«

      »Ja, sie war nicht zu übersehen. Ich hab sie aber nicht genommen. Ich bin kein Dieb.«

      »Stimmt ja, du hast ja deine Prinzipien. Nasser hat mir davon erzählt.« Es klang bitter. Dann kam langsam die Erkenntnis: Warum sollte der Mann, den Nasser immer nur R.R. genannt hatte, ihm das sagen? War es vielleicht doch möglich? Vorsichtig fragte er nach: »Dann übernimmst du den Auftrag?«

      »Du weißt, von wem der Auftrag kam?« Eine rhetorische Frage.

      »Ja.«

      »Damit wird ein Krieg losbrechen. Thronfolge, Gebietsstreitigkeiten«, sagte R.R. leise. »Und es wird mehr Tote geben als nur den einen.«

      »Ich weiß, aber solange Nasser Al-Sharif lebt, wird Kirsten in Gefahr sein.«

      R.R. sah ihn an und musste ihm Recht geben. Jetzt ärgerte er sich über seine Schwäche. Was hatte ihn da nur geritten?

      Zarif sah R.R. erwartungsvoll an. Der schwang sich aus dem Sessel auf und ging zum Fenster neben dem Schreibtisch. Überlegte. Kurz blitzte bei Zarif der Gedanke auf: die Chance. Aber der ging so schnell, wie er gekommen war. Ehe er aus dem Stuhl gekommen wäre, hätte R.R. schon abgedrückt. Und was wäre dann aus Kirsten geworden?

      R.R. wandte sich zu ihm und sagte: »Okay. Ich nehme den Auftrag an.« Dann konzentrierte