J. U. Gowski

Whisky Blues


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klar, der Kalender«, höhnte Nasser.

      »Und ich muss dir sagen«, erwiderte R.R. gleichmütig, »heute Abend geht es nicht. Bin verabredet. Aber ich könnte gegen 18.00 Uhr bei dir sein, dann kann ich auch gleich dein leckeres Falafel essen.«

      R.R. hörte Nassers schweren Atem. Es schien ihm nicht zu passen. Aber wenn er sich keine Blöße geben wollte, musste er wohl zustimmen. R.R. lächelte in sich hinein.

      »Gut 18.00 Uhr.« Nasser Al-Sharif legte auf.

      2.

      Paul Haverkamp saß in der S-Bahn auf dem Weg nach Neukölln. Er hatte das Autofahren in Berlin aufgegeben. Die ersten zwei Tage, als er mit dem Mietwagen in der Stadt unterwegs war, hatten ihm gereicht. Berlin war einfach zu stressig. Seine alte Heimatstadt Bremen war dagegen geradezu gemütlich. Als Nasser Al-Sharif ihn überraschend anrief und den abendlichen Termin auf 17.00 Uhr vorverlegte, war er früher als notwendig losgegangen. Lange vor der vereinbarten Zeit. Er kannte sich immer noch nicht so gut aus in der Stadt, hatte sich schon öfter verfahren. War in die falsche Ringbahn gestiegen und damit in die entgegengesetzte Richtung gefahren. Ein zeitlicher Puffer war für ihn in dieser Stadt unabdingbar. Der S-Bahnhof Tiergarten lag nur zwei Minuten von der kleinen Wohnung entfernt, in der er zur Zeit wohnte. Erstaunlicherweise war die Bahn pünktlich, hatte sich an den Fahrplan gehalten. Laut Streckenplan, der am Bahnhof aushing, musste er zum Westkreuz fahren und von dort weiter mit der Ringbahn. Diesmal wusste er, welche die richtige Richtung war. Aus Fehlern lernt man und er lernte schnell. Es blieb ihm noch etwas Zeit, die er nutzen wollte, sich in Neukölln umzusehen. Er überlegte, was die Ursache für die Verlegung des Termins und damit vermutlich die Hinfälligkeit ihres Plans gewesen sein könnte. Ein einfacher, simpler Plan. Alles war vorbereitet. Die Plane lag bereit. R.R. sollte spät abends ins Bistro kommen, das um diese Zeit geschlossen war. Ein Schuss. Keine Zeugen, alles prima. Die Leiche in einer vorbereiteten Baugrube versenkt. Soweit, so gut. Nur schien sich etwas am zeitlichen Ablauf geändert zu haben. Nasser hatte sich am Telefon nicht geäußert, klang nur sehr missgelaunt. Paul Haverkamp fragte sich, hatte R.R. etwas mitbekommen? Vorstellen konnte er es sich. R.R. schien ein cleverer Kerl zu sein, nicht umsonst hat er so lange in dem Metier in dieser Stadt überlebt. Doch damit sollte nun Schluss sein und er wird es sein, der es beendet.

      ***

      Die Bürouhr zeigte 17.30 Uhr. Hauptkommissar Salvatore Hieronymus Koslowski hatte den ganzen Tag im Gericht zugebracht. Der Prozess gegen Tesboč hatte begonnen. Tesboč war von der Schussverletzung genesen und würde sich für den Mord an fünf, vielleicht auch sechs Menschen verantworten müssen. Koslowski war als Zeuge vernommen worden. Die Dienstaufsicht hatte ihn im Zusammenhang mit Tesbočs Verhaftung noch einmal mit einer Rüge davonkommen lassen. Der nächste Makel in seiner Personalakte. Er hatte aufgehört sie zu zählen. Am späten Nachmittag war er dann zurück ins LKA gefahren und hatte seinen Schreibtisch nach neuen Mitteilungen durchwühlt. Ordnung war nicht seine Stärke. Jetzt saß er an seinem Schreibtisch, um sich auf den nächsten Prozesstag, der in zwei Tagen stattfinden sollte, vorzubereiten. Er war erneut vorgeladen worden. Zur Vorbereitung hatte er sich dazu noch einmal die Akte geholt. Er las sich die Berichte ein wiederholtes Mal durch. Der Regen prasselte geräuschvoll gegen die Fensterscheiben des Büros. Mal stärker, mal schwächer, doch mit Ausdauer. Nach einer Weile sah Koslowski zu Tom Meyerbrincks aufgeräumtem Arbeitsplatz hinüber, fragte sich, wo er steckte. Dann fiel ihm ein, dass Tom gesagt hatte, er mache heute früher Feierabend. Es war ihm wohl gelungen. Eine nette Familienfeier, so hatte es Meyerbrinck genannt. Koslowski hatte ihm missmutig widersprochen. Das sind nur familiäre Verpflichtungen, hatte er gemeint und dabei mürrisch das Gesicht verzogen. Meyerbrinck fand, es sagte alles über seinen Freund und Chef aus. Er nahm es ihm nicht übel. In solchen Situationen tat er ihm einfach nur leid. Und das nervte wiederum Koslowski, weil es deutlich in Meyerbrincks rundem, rosigen Gesicht geschrieben stand.

      Das Klopfen am Türrahmen riss ihn aus den Gedanken. Ben Lorenz, die schulterlangen, dünnen Haare, die seine Halbglatze säumten, nach hinten zu einem Zöpfchen gebunden und wieder mit einem seiner farbenfrohen Hemden bekleidet, stand in der Tür. Koslowski sah ihn an und stellte fest, es war eindeutig zu warm. Er wünschte sich die nicht funktionierende Heizung zurück.

      Lorenz‘ Westover oder Westen waren farblich nicht ganz so grell.

      »Sal, wir machen Feierabend.«

      »Von was?« Koslowski grinste Lorenz schräg an. Seine Art von Humor.

      Mit wir meinte Lorenz sich und die Kollegen Bulut, Kempa, Grabowski und Di Stefano, die hinter ihm standen. Sie hatten wie immer den Dienstältesten vorgeschickt. Frederieke Bloom war heute zu Hause geblieben, da ihr kleiner Sohn Michel an einer Mittelohrentzündung litt. Morgen würde dafür Matteo Di Stefano, ihr Lebenspartner und der Vater von Michel, zu Hause bleiben. Tom Meyerbrinck hatte es befürwortet. Koslowski war es egal, Hauptsache der Laden lief.

      »Von dem harten Tag mit dir«, entgegnete Lorenz schlagfertig. Hinter ihm kicherte es. Koslowski vermutete, dass das Gekicher von Ibrahim Bulut kam. Er grunzte kurz, was man als Lacher deuten konnte.

      »Ich war doch kaum da«, entgegnete er.

      »Ein paar Minuten reichen manchmal schon.«

      Koslowski verzog beleidigt das Gesicht. »Alles klar, wir sehen uns morgen.«

      Lorenz lachte und hob zum Abschied die Hand, auch die anderen Kollegen, die hinter ihm standen, winkten. Koslowski nahm es nur noch aus den Augenwinkeln wahr, er hatte sich schon wieder der aufgeschlagenen Akte zugewandt. Es war noch etwas Zeit, bevor er zum Union Jack aufbrechen wollte.

      ***

      Es war 18.15 Uhr. Für Van Bergen wurde es Zeit, sich fertig zu machen. Er war dran, die Flasche für den heutigen Abend auszusuchen, für die kleine Runde, die sich einmal im Monat mittwochs bei Wein & Whisky traf. Ein kleiner Laden unweit der Hauptstraße in Berlin-Friedenau. Früher befand sich der Laden in der Eisenacher Straße. Damals brauchte er nur aus dem Haus gehen und ein paar Meter auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlanglaufen. Keine 2 Minuten. Das war seit etwas mehr als einem Jahr vorbei. Der Laden war umgezogen. Jetzt musste er noch ein paar Stationen mit dem Bus fahren.

      Er hatte gehofft, Taek zu sehen, bevor er zu dem Treffen aufbrach, und war deswegen extra früher aus dem Büro gekommen. Doch der war nicht zu Hause. Seit Taek das Thairestaurant am Winterfeldtplatz eröffnet hatte, vollzog sich bei ihm eine Veränderung. Taek war mit dem Erfolg selbstbewusster geworden. Van Bergen wusste noch nicht, ob ihm das gefiel. Was er wusste, er liebte ihn. War es Eifersucht, Neid, Angst? Er war sich darüber nicht im Klaren. Nur, dass sie jetzt weniger Zeit miteinander verbrachten. Taek war 15 Jahre jünger als er und sah entschieden jünger aus. Er, Van Bergen, war Mitte 50. Bald würde er in Pension gehen. Wie ginge es dann mit ihnen weiter? Eine Frage, die ihn schon länger beschäftigte, in letzter Zeit häufiger. Er hatte schon überlegt, Taek zu fragen, ob sie heiraten wollen. Doch er war sich unsicher, hatte Angst vor einem Nein.

      Van Bergen strich sich über die messerscharfe Bügelfalte seiner Stoffhose. Er seufzte. Taek würde wohl nicht mehr kommen, bevor er losging. Er beschloss, er würde heute Nacht auf ihn warten. Der Inner Circle ging eigentlich nie länger als bis 22.00 Uhr. Das Restaurant schloss um 23.00 Uhr. Er fand, dann hatten sie noch genug Zeit für einander.

      3.

      Die Hände in den Hosentaschen vergraben stand er in seinem Wohnzimmer und sah aus dem Fenster. Es regnete. Tropfen klatschten an die Fensterscheiben. Das Tageslicht hatte sich endgültig verabschiedet und am abendlichen Himmel war kein Mond zu sehen. Eine einsame Straßenlaterne spendete warmes Licht, ließ die Regentropfen an der Scheibe schimmern. Die kahlen dünnen Äste des Baumes vor seinem Haus schwankten zitternd im Wind. Pfützen bildeten sich in den Senken der mit Kopfsteinen gepflasterten Straße. Die trübe Aussicht verstärkte seine gedrückte Stimmung. Eigentlich hatte er keine Lust, bei diesem Wetter noch einmal loszugehen. Er überlegte, hatte es diesen Winter überhaupt schon einmal geschneit? Er konnte sich nicht erinnern. Aber vermutlich schon, wenn der Schnee auch nicht