J. U. Gowski

Whisky Blues


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lag er noch meterhoch.

      Langsam ging er zu seinem Schreibtisch, knipste dort die Lampe an und setzte sich in den Stuhl. Seine Gedanken wanderten hin und her. Eine Frage beschäftigte ihn, ließ ihm keine Ruhe: Warum ist sein Plan bisher nicht aufgegangen? Jeden Tag schaute er auf die Whisky-Forumseite, eine bestimmte Meldung erwartend. Genauer gesagt eine Todesanzeige. Aber nichts. Er schaltete den Rechner an, wollte wieder in die Rubrik ›in Memory of…‹ schauen, in der das Forum verstorbener Whiskyfreunde gedachte. Für ihn ein mittlerweile tägliches Ritual, seit er vor einem halben Jahr ein Sample von dem 1977er Laphroaig als Päckchen auf die Reise geschickt hatte. Zumindest war das Sample von ihm so beschriftet worden. Ein echter 77er wäre Perlen vor die Säue geworfen. Warum sollte er so etwas tun? Nein, er hatte genau die richtige Mixtur für diesen Kerl. Ein bisschen ›Racke rauchzart‹, etwas von dem Laphroaig ›Quarter Cask‹, dazu noch einen Schuss Ananassaft und Citruskonzentrat für die fruchtigen Noten. Eigentlich wollte er noch Grapefruitsaft hinzufügen, hatte aber Angst, dass es den Whisky zu sehr eintrüben würde. Natürlich kam die Mixtur nicht annähernd an den echten 77er heran, aber das Label auf dem Fläschchen würde erste aufkommende Zweifel überdecken. Zum Schluss hatte er die wichtigste Komponente hinzugefügt: eine ordentliche Portion Aconitin, hochdosiert, gewonnen aus dem Blauen Eisenhut. Dieser Whiskycocktail würde reichen, um ihn ins Jenseits zu befördern. Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass der Typ ihn gelinkt hatte. Es hätte so schön sein können. Er hatte einen Haufen Geld für diesen alten 62er Macallan hingelegt, der trotz der hohen Summe immer noch ein Schnäppchen war. Man konnte ihn gut für das Doppelte oder gar Dreifache verscherbeln. Es wäre ein satter Profit für ihn drin gewesen. Aber nein, der Typ aus dem Whiskyforum hatte ihn reingelegt. Die Flasche war eine Fälschung. Die Kapsel sah verdächtig neu aus und der Macallan Schriftzug auf dem Etikett war um zwei Millimeter zu weit nach oben platziert. Ein gutgemachter Fake. Vermutlich aus Italien. Auf den Fotos war es nicht zu erkennen gewesen. Erst als er die Flasche in der Hand hielt. Da war es zu spät. Damit hatte er das Problem, viel Geld für nichts ausgegeben zu haben. Der Typ wollte die Flasche nicht zurücknehmen, geschweige ihm sein Geld wiedergeben. Sagte: Gekauft wie gesehen, so stand es eindeutig im Text der Kaufofferte und die Fotos wären doch eindeutig und detailgenau gewesen, die er ihm per Postnachricht hatte zukommen lassen. Er behauptete tatsächlich: Es wäre eine Originalflasche. Das brachte ihn auf hundertachtzig. Wen wollte der Vogel verarschen? Erst wollte er ihn verklagen. Doch das würde Geld kosten. Anwalt, Gutachter, Prozesskosten. Also bleib ihm nichts anderes übrig, als wütende Mails zu schreiben. Doch es kam keine Reaktion mehr. Der Mensch stellte sich tot. Nun ja, bald würde er es auch sein. Er lächelte finster.

      Es war mittlerweile sein zweiter Versuch. Das erste Sample war scheinbar im Nirvana namens DHL verschwunden. Verschlampt, wie so oft. Nach einem Vierteljahr vergeblichen Wartens und vorsichtiger Nachfragen musste er feststellen, der Kerl lebte noch. Das Päckchen hatte natürlich einen falschen Absender. War nicht zu ihm zurückverfolgbar. Durch seine Kontakte, seine Flaschenteilungen im Forum, hatte er genug Anschriften von Leuten gesammelt, die dafür herhalten konnten. Der Adressat sollte ja dem Absender vertrauen. Und bei dem war er sicher, dass er es auch tat. Koslowski war nicht irgendwer, immerhin ein Bulle. Der hatte sich mal bei ihm an einer Teilung von einem alten Glen Grant beteiligt. Es war schon über drei Jahre her, aber die Adresse hatte er sich aufgehoben. Er hatte extra einen stark lädierten, gefütterten Umschlag gewählt und war sich sicher, dass der Adressat die Verpackung nicht aufheben würde. Wenn doch, und man zog auch noch die richtigen Schlüsse aus dem Todesfall, würde Koslowski einiges erklären müssen. Welch Ironie. Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem boshaften Grinsen.

      Er klickte sich durch die Whisky-Forumseite. Wieder nichts. Er musste zugeben: Es nervte ihn. Er war zwar ein geduldiger Mensch, aber hier wurde er arg auf die Probe gestellt. Er lehnte sich zurück und starrte vor sich hin. Dann gab er sich einen Ruck. Es gab noch anderes zu erledigen. Er wollte sich davon nicht unterkriegen lassen. Er öffnete ein neues Fenster seines Webbrowsers, um den Stand der verschiedensten Whiskyauktionen zu checken, bei denen er an einigen Flaschen dran war, und nicht zu vergessen, Ebay. So wie es nach einem ersten Überfliegen aussah, war er noch bei allen Geboten im Rennen. Er sah auf seine Armbanduhr. Es war noch etwas Zeit. Er stand auf und lief zu dem alten Holzschrank im Flur, in dem er die Whiskyproben, meist 5 oder 10 cl Fläschchen, alle ordentlich beschriftet, aufbewahrte, um zu schauen, was er mitnehmen könnte. Nach kurzem Abwägen holte er einige der kleinen Sampleflaschen aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch. Er setzte sich wieder an den Rechner und klickte im Forum auf die Rubrik ›Stammtisch Berlin‹, wollte noch einmal nachsehen, wer sich alles für heute noch angemeldet hatte. Er stellte fest: die üblichen Verdächtigen. Die einen nahmen regelmäßig teil, andere nur selten. Er kannte sie alle. Und da sah er es, ein Neuer hatte sich angemeldet. Einer, der noch nie beim Stammtisch gewesen war. Es war der Mann, der nie mehr auf seine Mails geantwortet hatte. Er war, wie es aussah, quicklebendig. Wut kochte in ihm hoch. Was für ein freches Aas, dachte er. Warum wollte der auf einmal an dem Stammtisch teilnehmen? Was hatte der vor? Der wird sich wundern. Sie waren sich persönlich noch nie begegnet, aber das würde sich jetzt ändern. Heftig stand er auf. Der Stuhl kippte bedrohlich, fing sich aber gleich wieder. Wütend stapfte er in die Küche. Dort holte er aus der Kammer eine Blechschachtel. Darin befanden sich zwei Sampleflaschen. Eine unbeschriftete ohne Label und eine mit. Die letzten zwei von denen, die er präpariert hatte. Er nahm beide Fläschchen heraus und stellte die leere Blechschachtel wieder zurück. Mit den beiden Samples in der Hand ging er zurück ins Zimmer. Er überlegte, welches er mitnehmen sollte. Das beschrifte? Laut Label ein 77er Laphroaig. Nein. Wenn er das auf den Tisch stellte, würde es nur Begehrlichkeiten wecken. Er kicherte. Wenn die wüssten. Kurz entschlossen packte er das nackte Fläschchen und die anderen Sampleflaschen, die auf dem Tisch standen, in seinen Rucksack. Das Zweite stellte er in den Flurschrank zu den anderen seiner Sammlung. Er könnte es später immer noch entsorgen. Er sah auf die Uhr, schon 18.30 Uhr. Es war Zeit zum Aufbruch. Aufgeregt schaltete er den Rechner aus und warf sich die Jacke über. Nach einem kurzen Rundumblick verließ er die Wohnung. Auf der Straße empfingen ihn die abendliche Dunkelheit und kalter Nieselregen. Der Wind hatte nachgelassen. Er zog sich die Mütze seiner Jacke über den Kopf und eilte in Richtung S-Bahn. Sie fuhr nur alle 20 Minuten und er verspürte keine Lust, die zwanzig Minuten in der Kälte auf dem Bahnhof zu verbringen. Aber er war sich sicher, sie zu bekommen, schließlich war heute sein Glückstag.

      4.

      

      R.R.s Gefühl hatte nicht getrogen. Nassers Anruf entpuppte sich als leicht zu durchschauender Vorwand. Vermutlich hatte er mit seiner Zeitvorgabe Nassers eigentlichen Plan zunichtegemacht. Zu viele Menschen haben ihn gesehen, wie er das Bistro betrat, sich am Tisch vor dem Fenster platzierte und Falafel aß und dann ganz laut zu Karim, Nassers Sohn hinter dem Tresen, rief: »Kannst deinem Vater sagen, ich bin wie immer begeistert von seinem Falafel.«

      Eine vierköpfige Familie hatte aufgeschreckt zu ihm hingesehen, ein junger Mann ihm zustimmend den Daumen hochgehalten. Auch der hagere Mann in der Ecke mit den blassen Augen hatte kurz zu ihm hingesehen, bevor er sich wieder dem Essen widmete.

      Karims Antwort fiel knapp und mürrisch aus: »Sag es ihm selber!«

      Was R.R. dann auch machte, nicht ohne im Gehen zu rufen: »Bin gleich wieder zurück, kannst mir schonmal die Rechnung fertig machen.«

      Nasser hatte ihn nur kurz zu seinem letzten Auftrag befragt, den R.R. erfolgreich für ihn ausgeführt hatte. Es war nichts, was man nicht auch hätte am Telefon klären können. Wenig später verließ er das Bistro. Der Wind blies ihm kalte Regentropfen ins Gesicht. Er schlug den Mantelkragen hoch und ging langsam in Richtung Hochtrasse der U-Bahn. Unschlüssig blieb er stehen. Überlegte, fragte sich, wie viel Zeit er gewonnen hatte. Es würde sicher nicht lange dauern, bis Nasser sich erneut melden würde. Und da würde er keine Ausrede parat haben. Er wusste, er musste handeln. Die Zeit des Abwartens war endgültig vorbei. Der Blick auf die Uhr sagte ihm, er würde noch rechtzeitig zu seiner Verabredung mit Sal kommen. Doch vorher wollte er noch etwas überprüfen. Langsam schlenderte er los. Er war etwa dreißig Meter gegangen, da öffnete sich erneut die Bistrotür. Eine schlanke Gestalt betrat die Straße und sah dem davonschlendernden R.R. hinterher. Der Mann wartete kurz und folgte R.R.