Elmar Weihsmann

The New York City Moviegoers


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Mom vor ihrem Umzug nach Texas aufgelöst und ich armer, junger Esel habe sie bisher nicht nach ihrer neuen Adresse gefragt. Sicher hat sie irgendwo im Village Quartier bezogen, wo wird sich sicher bald auskundschaften lassen, spätestens dann, wenn George genug mit ihr gevögelt hat, aber dann, werde ich es mir auch dreimal schwer überlegen ob ich als Ausheulbaum herhalten will.

      Wie auch immer. Ich bin gegen 4 am Nachmittag zu Hause und falle auf mein Bett in der Schülerbude, die sich bisher noch nicht sehr verändert hat.

      Der einzige Stilbruch im High School-Schick ist das Buch „Film verstehen“, das tatsächlich ein New Yorker geschrieben hat, der an der Columbia Vorlesungen hält, wie ich dem Klappentext entnehme.

      Okay, ich schlage den Schmöker auf und lege los.

      Ich sehe erst auf, als es an die Zimmertür klopft.

      „Hey, Jerry, Abendessen! Kommst du?“ Moms Stimme ruft mich unüberhörbar.

      „Hab keinen Hunger“, sage ich nur und lese weiter.

      „Film verstehen“ zieht mich total rein in eine unbekannte Hemisphäre, die, als „Filmwelt“ bekannt und mir bisher völlig unbekannt gewesen ist.

      Was für Filme habe ich bisher gesehen? Fast ausschließlich Blockbusterkino, nach der Definition von Mister Monaco, also schnöde Unterhaltungsware, die nur zur Gewinnmaximierung hergestellt wurde. Die beiden einzigen Filme, die ich kenne und in dem Buch erwähnt werden sind „Zazie fährt in der Metro“ und „Taxi Driver“.

      Uff, ich hab wohl noch ganz schön Aufholbedarf.

      Es ist stockdunkel.

      Bin ich eingeschlafen?

      Nein. Ich habe wie der Irre gelesen und bin bereits auf Seite 100 in dem dickleibigen Schmöker.

      Mein Blick streift die Uhr.

      Oh mein Gott, es ist bereits Mitternacht.

      Ich habe Suzie Q. versetzt, jetzt brauche ich erst gar nicht mehr losziehen, denn selbst die Mitternachtsvorstellung von den „Blues Brothers“, die ebenfalls in meiner neuen Bibel erwähnt werden, hat bereits begonnen.

      Ich suche nach meinem Handy und checke die Nachrichtenbox.

      Nichts.

      Aha.

      Sie hat es nicht für nötig befunden mich via SMS oder Anruf an unser Date zu erinnern.

      Ob sie noch mit diesem Wichtigtuer George abhängt?

      Wahrscheinlich.

      Soll ich noch mal ausrücken und in einen der Clubs im Village nach Suzie Q. suchen?

      Kommt gar nicht in die Tüte. Ich ziehe mir lieber noch ein paar Seiten von „Film verstehen“ rein. Das ist besser für meine persönliche Erbauung.

      Ich lese bis drei Uhr morgens durch, was bisher noch nie vorgekommen ist, dann schlafe ich endlich ein.

      Samstag:

      Ich lese bis Mittags durch und erscheine ohne Katzenwäsche beim Mittagstisch.

      Allgemeines Naserümpfen. Meine Ausdünstung ist nicht die beste.

      Mein älterer Bruder Danny, der ebenfalls an der New York University studiert, reißt als erster das Maul auf.

      „Jerry liest ein Sachbuch“, knallt Danny die Sensation des Tages in die völlig unvorbereitete Runde.

      Sämtliche Augenbrauen, außer natürlich meine, werden nach oben gezogen.

      „Wow“, sagt Mom.

      „Ein Sachbuch?“ Dad nimmt mich ins Visier.

      „Echt? Tatsache?“, fragt Berry, der an der Columbia studiert.

      „Wird ja auch Zeit“, gibt Danny zum Besten.

      „Hat eh länger als Usus gedauert“, feixt Berry.

      „Cool bleiben, Jungs, bisher war Jerry nicht gerade der Intellektuelle in unserer Familie“, sagt Dad.

      „Was ist eigentlich ein Sachbuch?“

      Allgemeiner großer Megaseufzer. Haarraufen. Kopfschütteln. Stirnrunzeln.

      „Scherzt du, mein Sohn?“ fragt Dad, ganz der supercoole Psychoanalytiker.

      „Äh?“

      „Was liest du denn eigentlich?“ fragt Mom um mir aus der Patsche zu helfen.

      „Film verstehen. Von einem gewissen James Monaco. Ist echt cool“, antworte ich sofort.

      „Monaco? Ein guter Mann. Kenne ich. Lehrt seit Ewigkeiten an der Columbia“, sagt Mom.

      „Stimmt. Ein Standardwerk“, sagt Dad.

      „Kann mir endlich einmal einer sagen, worum es geht?“ gebe ich mir jede Blöße, da ich sowieso schon unten durch bei allen Oberschlauen am Tisch bin.

      „Ein Sachbuch ist ein Band, der sich im besten Fall wissenschaftlich mit einem Thema beschäftigt. Bisher hast du dir ausschließlich Belletristik vom absolut tiefsten Niveau rein gezogen, außer vielleicht dem ‚Fänger im Roggen’“, werde ich von Danny aufgeklärt.

      Aha. Verstehe. Alles was Spaß macht ist völlig uninteressant, alles was anstrengend ist liest man an der Uni.

      „Ich finde es toll, dass Jerry bereits in der ersten Woche an der Uni, ein Standardwerk liest“, versucht Mom mir beizustehen.

      „Das ist ja wohl das Mindeste was man verlangen kann. Die letzten Jahre war der Knabe ja total aus der Spur und es wird Zeit, dass er endlich aufholt“, sagt Berry von oben herab.

      „Arschloch“, sage ich.

      „Nicht dieser Ton bei Tisch“, stoppt Mom jede weitere Attacke meiner älteren Brüder.

      „Den Arsch lasse ich nicht auf mir sitzen“, feixt Berry.

      „Klappe halten, Jerry ist Junior an der Uni. Ihr solltet ihn besser unterstützen“, sagt Mom.

      „Abwarten wie lange der Eifer anhält. Er hängt mit dieser High School Tussi ab, die außer heiße Titten und einen straffen Po gar nichts drauf hat“, petzt Danny.

      „Wow“, sagt Dad.

      „Du hast eine Freundin?“ fragt Mom sehr interessiert.

      „Und was für eine. Eine echt steile Braut, die sich nicht entblödet in Lederhotpants an der Uni aufzukreuzen und ständig mit dem Hintern wackelt“, erläutert Danny genüsslich alle Peinlichkeiten dieser Welt.

      „Doch etwas unpassend“, meint Dad.

      „Die ist nichts für dich, Jerry, die vögelt sich bald durch den Mittelbau ganz nach oben“, sagt Berry.

      „Still jetzt! Die Kleine ist frisch von der High School!“ fährt Mom dazwischen und wendet sich an mich: „Kennen wir das Mädchen?“

      „Es ist Suzie Q., letztes Jahr bin ich ein paar Mal mit ihr zusammen gewesen“, antworte ich.

      Berry und Danny intonieren den CCR-Song.

      „Ist sie nett?“ will Dad wissen.

      „Nett nicht aber geil“, meint Danny.

      „Sie ist okay“, sage ich.

      „Ich nehme an du weißt was zu tun ist, wenn es soweit ist?“, fragt Dad.

      Allgemeines Gelächter meine Brüder.

      „Diesbezüglich musst du noch ein paar Sachbücher lesen, Bubi“, feixen meine Brüder, dass mir fast der Kaffee hoch kommt.

      Samstag/Fortsetzung: Trotz der Hitze verlasse ich nicht die Wohnung bis ich „Film verstehen“ in einem Zug runter gerissen habe.

      Wow.

      Das Buch ist schwer okay, ich werde es in Zukunft immer griffbereit in meiner Tasche