Nadja Christin

Samuel, der Tod 2


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Vom Büfett holt sie sich noch eine große Kanne Kaffee und verzieht sich mit ihrem Frühstück in die hinterste Ecke des noch leeren Speisesaales. Sie hat einen guten Platz erwischt, durch das Fenster neben ihr, kann sie auf den Genfer See blicken, der im Moment allerdings hinter dichten Nebelschwaden verschwunden ist.

      Plötzlich steht jemand neben ihr und räuspert sich leise. Alice erschrickt, sodass der winzige Toast aus ihrer Hand rutscht und in die volle Kaffeetasse fällt.

      »Verdammt«, murmelt Alice und versucht das Brotstück wieder herauszufischen. Gleichzeitig sieht sie den jungen Kerl an, der neben ihrem Tisch steht und sie so zusammenzucken ließ.

      *

      Garry schlägt sich auf den flachen Bauch.

      »Boah, Mann ich hab vielleicht einen Hunger. Ich könnt glatt einen Bären fressen.«

      »O-oder e-e-einen Wer-Wer-Werw-w-wolf«, ergänzt Dave und lacht laut.

      »Ich kann euch etwas bestellen«, sagt Drake und greift bereits zum Telefon.

      »Wartet mal«, mischt sich Bennet ein. »Wäre es nicht unauffälliger, wenn einer von uns hinunter geht, um was am Frühstücksbüfett zu holen? Da kann man sich doch auch was einpacken lassen.« Drake wirft einen Blick auf seine Armbanduhr.

      »Ja, die dürften inzwischen aufgedeckt haben. Du hast recht, junge Hyäne. Und zur Belohnung darfst du gehen und für deine Brüder was Essbares organisieren.«

      »Och, nö«, Bennet stöhnt auf. »So war das nicht gemeint.«

      »I-i-ich k-k-k-kann-nn a-auch ge-ge-gehen«, mischt sich Dave ein.

      »Nein danke«, sagt Bennet mit einem schiefen Grinsen. »Bist du bestellt hast, haben die schon den Tisch fürs Abendessen gedeckt, 'ne lass mal.«

      Garry lacht kichernd und schlägt seinem Freund auf die Schultern.

      »Der war echt gut, Dave. Das musst du zugeben.«

      Gezwungen grinst Dave zurück.

      »Ich gebe dir meine Zimmerkarte«, sagt Drake und reicht dem jungen Hyänenhund eine Scheckkarte in Gold, mitten drauf prangt die Zimmernummer. »Die brauchst du nur vorzeigen und die packen dir ein, was du willst.«

      »In Ordnung. Bin gleich wieder da.«

      »He, willst du nicht erst fragen, was wir essen wollen?«, ruft ihm Garry empört nach.

      Die Klinke bereits in der Hand, dreht sich Bennet noch einmal um. »Fleisch, was denn sonst?«

      Das hohe Kichern seiner Freunde begleitet ihn noch bis zum Aufzug.

      Erst in der engen Kabine fällt die ganze Anspannung von der Hyäne ab.

      Seine Hände beginnen zu zittern und der Schweiß bricht ihm aus. Er hat gemerkt, dass er Drake nicht geheuer war und die letzten Stunden verzweifelt versucht, das wieder wettzumachen. Jetzt war es allerdings kaum noch auszuhalten, er musste raus aus der Situation. Da kam ihm die Idee mit dem Büfett ganz recht.

      Als er den Speisesaal betritt, der nur mäßig gefüllt ist, lässt er aus einem Impuls heraus den Blick schweifen.

      In der hintersten Ecke sitzt eine junge Frau, sehr schlank, klein, mit langen schwarzen Haaren. Sie kommt Bennet auf eine merkwürdige Art vertraut vor.

      Das gibt’s doch nicht, denkt er nach ein paar Sekunden, was macht die denn hier?

      Für einen Augenblick ist Bennet hin und her gerissen, dann trifft er eine Entscheidung und geht zielsicher zu ihrem Tisch.

      Leise stellt er sich neben sie und räuspert sich. Vor Schreck lässt Alice ihr Brot fallen, das natürlich ausgerechnet im Kaffee landet. Bennet grinst über das ganze Gesicht. Mit großen, runden Augen sieht sie ihn an, sie scheint ihn nicht zu erkennen.

      »Hallo, Alice-Mäuschen«, sagt er und schafft es, seiner Stimme einen rauen Ton zu verleihen.

      Die Kleine stutz einen Moment, dann zeigt sie mit dem Finger auf den jungen Mann und sagt: »Bennet? Bist du das wirklich?«

      »Ja, ich bin‘s«, meint er überheblich.

      Alice erhebt sich und fällt der Hyäne um den Hals. Auch Bennet drückt das Mädchen an sich.

      Von allen Anderswesen in Paris, hat er die kleine Alice immer am liebsten gemocht, auch wenn alle Welt wusste, dass sie niemanden an sich heran ließ, so gab es doch immer einige, die um ihre Gunst buhlten. Bennet war einer von ihnen, wenn er auch etwas höher stand, als alle anderen, so gab es zwischen ihm und Alice nie mehr, als nur eine lockere Freundschaft. Doch jetzt freut sich die kleine Schwarzhaarige wirklich ein bekanntes Gesicht zu sehen.

      »Mensch, Junge, was machst du denn hier?«, sagt sie und lässt die Hyäne los. Sie deutet ihm an, sich zu setzen.

      »Ich habe leider nicht viel Zeit, Mäuschen«, lehnt Bennet ihr Angebot ab. »Ich bin mitten in einem Auftrag.«

      »Oh«, Alices Augen weiten sich. »So einen Schwachsinn machst du also immer noch?«

      »Das ist kein Schwachsinn, das ist mein Leben. Davon bezahle ich meine Rechnungen. Wie du ja weißt, sind die nicht gerade niedrig.«

      Das weiß Alice nur zu gut. Damals war Bennet süchtig, nicht nur nach Drogen, nach ihrem Samento, was sie selbst herstellte, sondern auch nach Glücksspielen und Frauen. Wie man ja weiß, verschlingt all das einen Haufen Geld. Selbst bei ihr hatte der junge Hyänenhund Schulden, die er nach und nach bezahlte, bevor er eine Entziehungskur durchmachte.

      Seit dem hat sie ihn nicht mehr wieder gesehen.

      »Na ja«, Alice wischt seine Äußerung beiseite. »Ich freue mich, dich zu sehen. Wie ist es dir ergangen in den letzten Jahren?«

      Bennet zuckt mit einer Schulter.

      »Ohne dich? Beschissen, mein Mäuschen.«

      »Das glaube ich nicht. Du siehst gut aus, viel besser als früher … hm … gesünder.«

      »Klar, ich esse ja auch immer brav meinen Teller leer.« Bennet blickt hektisch über seine Schulter, ihm war so, als habe er etwas gehört, aber es sind nur einige junge Burschen, die gerade den Saal betreten.

      »Was ist mit dir?«, murmelt Alice und zupft an Bennets Jacke. »Du bist ja ganz schön nervös.«

      Der junge Mann packt Alices Hand, hält sie fest und blickt ihr tief in die dunklen Augen.

      »Ich bin nicht nervös, mein Mäuschen. Ich bin tot, ich stehe quasi mit beiden Beinen bereits in der Hölle, nur noch mein knackiger Arsch hindert mich daran, ganz hinab zu rutschen.«

      »Bennet, was …«

      Mit einer Handbewegung unterbricht er sie.

      »Ich hab echt keine Zeit«, wiederholt er. »Hör mir nur aufmerksam zu. Du darfst auf keinen Fall zu diesem bescheuerten Lichterfest gehen. Du musst irgendwohin fliehen, wo du sicher bist. Er will dich töten, oder noch schlimmer, entführen, um dich und deine Sippe später umzulegen.«

      »Wer denn, zum Teufel?«, fragt Alice in eine Atempause von Bennet hinein.

      »Drake, natürlich. Er …«

      In diesem Moment vibriert Bennets Handy. Er fischt es aus der Innentasche und sieht, dass es Garry ist. Rasch nimmt er den Anruf entgegen.

      »Ja, was gibt’s?«

      »Wo bist du, Alter? Ich soll dir tragen helfen, kann dich aber nirgends finden.«

      In der nächsten Sekunde sieht Bennet seinen Kumpel, wie er in den Speisesaal kommt und sich suchend umsieht. Sofort lässt sich Bennet auf den Boden nieder und tut so, als sei sein Schnürsenkel offen.

      »Ich bin am Büfett, Garry. Ich glaub ich sehe dich. Warte, ich komm dir entgegen.«

      Damit legt er auf. Hektisch flüstert er Alice zu: »Sieh zu, dass du so schnell wie möglichst von hier verschwindest. Noch weiß