Nadja Christin

Samuel, der Tod 2


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und Nathan, denkt Samuel. Er hätte niemals vermutet, dass der alte Sack überhaupt zu einer funktionierenden Partnerschaft in der Lage ist, und das ausgerechnet mit einer Werwölfin. Nie und nimmer hätte Sam gedacht, dass das gut geht, spätestens beim nächsten Vollmond erwartete er, dass Hazel ihren geliebten Nate in Fetzen reißt. Die zwei Liebenden jedoch, haben einen Weg gefunden und bis heute ist auch noch kein nennenswerter Unfall geschehen.

      Wehmütig denkt Samuel an eine andere Werwölfin, an die, der er seinen Zustand verdankt. Alice, die ihn unbeabsichtigt in dieses blutrünstige Tier verwandelte, und die bis jetzt immer noch nichts davon weiß. Was mag sie nur über ihn denken, weil er sich bei ihr nicht mehr meldete? Wahrscheinlich hat sie mich bereits vergessen, versucht sich Sam selbst einzureden, und tollt mit anderen in den Wäldern Frankreichs umher. Irgendetwas, tief in ihm drin, murmelt mit einer ärgerlichen Stimme: Das glaubst du doch selbst nicht, du Idiot. DU könntest derjenige sein, mit dem die kleine Alice über Wiesen und Felder tollt. Des Nachts könntet ihr über die Menschheit herfallen, ihr wärt zusammen, jede Stunde, Minute, jede Sekunde eines Tages. Du müsstest sie nie wieder loslassen. Du könntest sie küssen, sie streicheln. Ihre herrlich vollen Lippen …

      »Ruhe verdammt!«, brüllt Samuel in die Stille des Wagens hinein. Parker und Hazel zucken erschrocken zusammen.

      »Was ist mit dir?«, fragt Hazel und Parker meint irritiert: »Ich habe doch gar nichts gesagt.«

      Samuel fährt sich mit den Händen durch die kurzen Haare und anschließend übers Gesicht. Er spürt, dass es schweißnass ist.

      »Entschuldigt, bitte«, flüstert er.

      Es war ihm nicht bewusst, dass er laut gebrüllt hat, er wollte doch nur diese furchtbare Stimme in sich zum Schweigen bringen. Die ihm die Wahrheit so erbarmungslos vor die Füße spuckte und sich grausam nach ihm selbst anhörte.

      Die Stimme, die jetzt leise vor sich hin kichert und ihn zu verhöhnen scheint.

      *

      Drake öffnet, als es dezent an der Zimmertür klopft. Ein Hotelpage bringt einen fahrbaren Wagen hinein, auf dem sich eine erlesene Auswahl an verschiedenen alkoholischen Getränken befindet. Drake möchte den anderen Hotelbewohnern seine ungehobelten Gäste ersparen, somit hat er sich etwas zu Trinken auf das Zimmer liefern lassen. Er steckt dem Kellner einen Geldschein zu. Erstaunt sieht Bennet, dass es sich um zwanzig Schweizerfranken handelt.

      »Ihr seid aber großzügig«, meint er zu Drake, als der Kellner die Tür hinter sich schließt.

      »Das wird den Mund des Pagen verschließen«, antwortet Drake und nimmt sich eine Flasche Cognac, die er extra angefordert hat.

      »Es ist nicht alltäglich, sich so viel Alkohol aufs Zimmer liefern zu lassen, ich will aber nicht sonderlich auffallen.«

      »Aha«, Bennet nimmt sich eine Flasche Bier, öffnet den Kronkorken mit den Zähnen, setzt an und trinkt den Inhalt mit einem riesigen Schluck bis über die Hälfte leer. Danach rülpst er so laut und lange, dass ihm Dave und Garry anerkennend auf die Schultern klopfen.

      Bennet grinst in sich hinein.

      Auch meine vorherrschende Aufgabe besteht darin, nicht aufzufallen, denkt er, schließlich bin ich der Löwe unter all den verdammten Hyänen.

      Drake gießt den Cognac vorsichtig in einen riesigen Weinbrandschwenker, er stellt die Flasche auf den kleinen Tisch und setzt sich auf das Sofa. Während er sich das Glas unter die Nase hält und tief den herrlichen Duft einatmet, beobachtet er verstohlen die drei Hyänen, die sich gerade um eine Flasche Wodka streiten. Garry ist ja ganz okay, denkt Drake, und auch sein Handlanger, der stotternde Freak, aber dieser Bennet ist mir nicht geheuer. Er hat etwas an sich, das mir missfällt. Ich werde Garry nach ihm ausfragen, und bis dahin, werde ich die junge Hyäne nicht aus den Augen lassen.

      Drake nimmt einen Schluck Cognac, der scharfe Alkohol löst einen kleinen Brand in seinem Rachen aus, erst als er in seinem Magen ankommt, breitet sich ein wundervolles und warmes Gefühl aus.

      Drake fühlt sich wieder ganz bei sich, entspannt lehnt er sich zurück.

      Dave, der einen flüchtigen Blick auf ihren Gastgeber wirft, erschrickt fast zu Tode. Er stupst seinen Kumpel Garry an. »Sch-sch-schau mal, G-G-Garr-rr-rry«, stottert er und zeigt verstohlen auf Drake.

      Die Hyänen drehen sich um. Auf der hellen Ledercouch sitzt ein mit Schuppen bedecktes Tier. In den Händen, die in lange Krallen enden, hält es einen Cognacschwenker fest.

      Selbst die Lider sind mit kleinen Schuppen bedeckt. Das Wesen hält die Augen geschlossen, auf dem Gesicht, das zu einer langen Schnauze geformt ist, liegt ein leichtes Lächeln.

      Erst als die Hyänen anfangen, leise zu kichern, wacht Drake aus seiner Trägheit auf. Erstaunt sieht er seine Gäste an, einem nach dem anderen. Erst nach ein paar Sekunden bemerkt er, dass er wohl so tiefenentspannt war, dass er sich in ein Drachenmonster verwandelt hat. Seltsam, denkt er und betrachtet seine eigene, schuppenbedeckte Hand, so unabsichtlich verwandele ich mich eigentlich selten, das muss wohl an dem Alkohol liegen. Schon lange habe ich nicht mehr solch einen guten Tropfen genossen, überlegt er weiter und schnuppert an dem Cognac.

      Nur zögerlich verwandelt er sich wieder zurück, Garry und seine Kumpels beschäftigen sich erneut mit dem viel zu reichhaltigen Alkoholangebot. Sie haben in ihrem Leben bereits so viele verschiedene Anderswesen gesehen, dass es auf einen Drachen mehr oder weniger auch nicht mehr ankommt.

      *

      Drei Stockwerke unter den mehr als merkwürdigen Wesen, legt Alice gerade aufatmend den Hörer des Hoteltelefons auf die Gabel.

      Nach langem hin und her und einigen sprachlichen Verständigungsproblemen, hat sie endlich die Telefonnummer von ihrem Bekannten Eugenio Schwery herausbekommen. Sie streicht sich die langen, schwarzen Haare zurück, atmet einmal tief ein, nimmt den Hörer und hält ihn sich ans Ohr. Genau in diesem Moment lechzt sie nach einer Zigarette. Die Gier danach überfällt sie aus dem Nichts, dabei ist es über ein Jahr her, seit sie ihre letzte geraucht hat. Damals war sie auf dem Rückweg von England nach Paris, kurz bevor sie Samuel mitten in London absetzte. Seit dem hat sie die verdammten Glimmstängel nicht mehr angepackt, zu sehr erinnerte sie das Rauchen an Sam. Zu schmerzhaft wäre das gewesen, darum hat sie es einfach gelassen. Sie würde erst mit ihm, sollte sie ihn jemals wiedersehen, eine rauchen.

      So schluckt sie die Begierde auf eine Zigarette herunter und meldet bei der Rezeption, die mit monotoner Stimme nach ihren Wünschen fragt, ein Ferngespräch an.

      »Natürlich, Mademoiselle. Ich werde es ihnen auf die Rechnung setzten«, klärt sie die eintönige Stimme auf.

      »Selbstverständlich«, antwortet Alice und kommt sich gleichzeitig wie ein kleines Mädchen vor.

      »Als wenn ich das nicht wüsste«, murmelt sie.

      Doch der Typ an der Rezeption hat ihre Leitung bereits nach draußen verlegt.

      In Alices Ohr erklingt das gleichförmige Geräusch des Freizeichens. Mit fliegenden Fingern wählt Alice Schwerys Nummer, die sie auf einem Block, mit Monogramm des Hotels, notierte.

      Es klingelt lange durch, Alice will gerade wieder auflegen, als am anderen Ende doch noch abgenommen wird.

      »Buon giorno, questa è la Signora della Mea.«

      »Oh … Eh …« Für einen Augenblick ist Alice völlig überrascht. Sie hat weder mit einer Frauenstimme, noch mit dem perfekten Italienisch gerechnet, mit dem sie angesprochen wird.

      »B-Boun giorno«, stottert Alice und kramt in ihrem Gehirn verzweifelt nach ein paar Brocken der fremden Sprache.

      »Eh … Monsieur Eugenio Schwery … eh … per favore«, bringt sie nach einigem Überlegen über die Lippen.

      »Entschuldigung«, antwortet Signora della Mea und verfällt in fast akzentfreies Französisch. »Ich denke, in dieser Sprache fühlen Sie sich wohler.«

      »Oh, ja.« Alice lacht erleichtert auf.