Nadja Christin

Samuel, der Tod 2


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      »So, so«, murmelt Drake und geht die Namen der Liste durch.

      Garry rückt mit seinem Sessel näher an den großen Mann heran. »Wie Ihr seht«, meint er und tippt auf das Blatt. »Sind die Schweiz, Österreich und Ungarn bereits gesäubert …«

      »Ja«, unterbricht ihn Drake knurrend. »Dafür scheint England noch voll von ihnen zu sein.«

      »Eh … ja«, Garry grinst hilflos und kratzt sich hinter dem Ohr.

      »Jedoch werdet Ihr bemerken, dass es in allen anderen Ländern kaum noch welche von den Viechern gibt.«

      »Ja, ich sehe es. Sie leben weit auseinander.« Drake vertieft sich erneut in die Liste von Namen und Adressen.

      Bennet streckt die Beine von sich und verschränkt die Arme vor dem schmalen Körper.

      »Wir sollten sie alle nach England locken und dann die Insel sprengen.«

      Drake sieht ihn über das Blatt hinweg durchdringend an. Dave lacht glucksend wie ein Huhn. Als der große Kerl ihm einen Blick zuwirft, verstummt er jedoch augenblicklich, als bliebe ihm das Kichern im Hals stecken.

      Drakes Augen wandern erneut zu Bennet, der nach wie vor lässig auf dem Sofa sitzt, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen. Doch innerlich kocht und brodelt es in der jungen Hyäne. Bennet spürt, wie ihm der Schweiß aus den Poren rinnt und sich im Nacken, in den kurzen, blonden Haaren verfängt. Nur keine Schwäche anmerken lassen, denkt er, wenn ich mir jetzt über die Stirn wische, bin ich in der nächsten Sekunde tot. So grinst er Drake nur noch unverschämter an, breitet die Arme aus und meint:

      »Hey, das war nur ein Joke. Ich will doch nicht wirklich das gute alte England in die Luft jagen.«

      »Du solltest deine beschissenen Witze lassen«, knurrt Garry. »Ich will nicht bereuen müssen, dich mitgenommen zu haben.« Scheinbar leichthin zuckt Bennet mit einer Schulter und winkt ab.

      Drake jedoch, stiert die Hyäne weiterhin aus seinen hellgrauen Augen an.

      »Bennet«, knurrt er irgendwann, als die Spannung bereits greifbar zu sein scheint. »Ist das dein Name?«

      Der blonde Hyänenhund nickt stumm.

      »Wusstest du, dass er der Gesegnete bedeutet?«

      Bennet kann im letzten Moment verhindern, erneut zu nicken. Selbstverständlich weiß er, welche Bedeutung sein Vorname hat, aber das würde er vor Drake niemals zugeben.

      »Keine Ahnung«, brummt er stattdessen. »Meine Eltern hatten einen Dachschaden. Kein Wunder, bei zehn Kindern, ich denke, sie haben einfach das Los entscheiden lassen.« Er grinst schief. Es wäre ihm lieber, wenn der seltsame Kerl nicht mehr von seinem Vornamen reden würde. Drake wendet sich an Garry, der, als ihn der Blick aus den eisgrauen Augen trifft, erschrocken einatmet.

      »Wo hast du ihn her?«, fragt Drake und zeigt mit seinen schlanken Fingern auf Bennet. Garry, von dem Themenwechsel völlig irritiert, zuckt mit den Schultern.

      »I-Ich weiß nicht mehr …«, stottert er hilflos.

      Bennet räuspert sich leise. »Harry war mein Bruder«, sagt er. »Du erinnerst dich doch noch an ihn?«

      Hektisch wackelt Garry mit dem Kopf. Aufgeregt erzählt er Drake die tragische Geschichte, wie Demjan, ebensolch ein Hyänenhund wie er, seinen besten Freund Harry vor seinen Augen tötete. Nur weil dieser, seiner Ansicht nach, ein Zweifler war. Das stimmte zwar, erklärt Garry, was jedoch kein Grund war, ihn einfach umzubringen. Aber Demjan hat später seine gerechte Strafe dafür erhalten. Auch wenn Garry es selbstverständlich nicht gutheißen kann, so war er doch innerlich froh, als er hörte, dass der Hyänenhund von einem Werwolf in tausend Stücke zerrissen wurde. Als er und Dave damals Alice bei den Superior ablieferten, war der Job für sie erledigt. So zogen die zwei Anderswesen durch England und gaben ihr Geld für lauter sinnloses Zeug aus. Erst vor drei Monaten, kurz bevor Drake sie anheuerte, trafen sie auf Bennet. Er sagte, dass er sie bereits einige Zeit suchte. Er will sich für den Tod seines Bruders rächen. Auch wenn einer von ihrer eigenen Art ihn umbrachte, so sind doch die Werwölfe dafür verantwortlich. Sie waren schließlich der Grund, wieso Demjan erst auf der Bildfläche erschien. Auch wenn das Ganze jeglicher Logik entbehrt, einer muss schließlich für Harrys Tod büßen, und da Bennet nicht seine eigene Rasse angreifen kann, soll ein anderer als Sündenbock herhalten – da kommen ihm die Werwölfe gerade recht.

      Als Garry seine Geschichte beendet, nickt Drake, scheinbar wieder besänftigt.

      »Halte dich in Zukunft mit deinen Äußerungen zurück«, sagt er zu Bennet. »Ich kann nur konstruktive Ideen gebrauchen.«

      Der blonde Hyänenhund nickt und atmet erleichtert auf. In Zukunft wird er noch vorsichtiger sein. Nicht nur mit Worten, auch mit seinen Taten.

      Drake und Garry vertiefen sich erneut in die Todesliste. Bennet wirft einen raschen Blick nach rechts, aber Dave achtet weder auf ihn, noch auf seinen Boss, er bohrt sich in der Nase und betrachtet hinterher aufmerksam seinen Fund. So unauffällig wie möglich fasst sich Bennet in die Innentasche seiner olivgrünen Jacke, tastet nach seinem Handy. Er drückt blind ein paar Tasten und stellt es auf lautlos.

      Es wäre sein Todesurteil, wenn das Telefon ausgerechnet jetzt klingelt. Bennet ahnt, dass Drake nicht lange fackelt, die junge Hyäne würde einen raschen Tod sterben. Er ist noch nicht lange genug dabei, um einen Vertrauensbonus zu haben, weder bei den Hyänen, noch bei dem unheimlichen Kerl vor ihm.

      Bennet versucht seine Angst hinunterzuschlucken, und Garrys und Drakes Gespräch aufmerksam zu verfolgen.

      Er muss genau wissen, was als nächstes geschieht, denn davon hängen viele Leben ab. Inklusive seinem eigenen.

      Kapitel Drei

      Hazel fährt sich aufgebracht durch die Haare. »Sagt mal, was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?«, ruft sie und blinkt, um nach rechts auf die A3 abzubiegen, die sie geradewegs nach London führen wird.

      Samuel, der neben ihr sitzt, zuckt gleichgültig mit den Schultern. Ebenso Parker, der sich die Schwerter quer über die Oberschenkel legte.

      »Weiß nicht«, murmelt er nur, wirft jedoch vom Rücksitz aus, Samuel einen bitterbösen Blick zu. Hazel hat es im Rückspiegel gesehen.

      »Parker!«, sagt sie scharf. »Was ist los?«

      Ihr Zwillingsbruder fühlt sich ertappt, antwortet mürrisch. »Nichts, Haz. Konzentrier dich lieber auf die Straße.«

      Die junge Frau schnauft entrüstet.

      »Hat der Alte dich geschickt?«

      Hazel wirft Sam einen fragenden Blick zu. Sie versteht nicht gleich und so fragt Sam ein weiteres Mal. »Nate. Hat er dir gesagt, wo du uns finden kannst?«

      Das Mädchen mit den haselnussbraunen Haaren nickt. Ein sanftes Lächeln huscht über ihr Gesicht, wie immer, wenn sie an den blonden Antiquitätenhändler denkt, mit dem sie mittlerweile mehr, als nur reine Freundschaft verbindet.

      »Ja, Nathan hat mir gesagt, wo ihr ungefähr seid. Dennoch irre ich bereits geraume Zeit umher. Er wird sich inzwischen Sorgen machen.«

      Hazel tritt das Gaspedal weiter durch, der Mercedes T 500 vollführt einen kleinen Satz nach vorne, bevor er wieder so ruhig wie immer dahin rollt.

      »Was gibt es denn so Wichtiges, das er dich nach uns schickt?«, fragt Parker neugierig.

      Hazel umklammert das Lederlenkrad so fest, dass ihre Knöchel hell hervortreten.

      »Das soll er euch lieber selbst sagen.«

      Sie presst die Lippen zusammen und gibt noch mehr Gas.

      Samuel wendet sich ab und blickt aus der Seitenscheibe auf die vorbeihuschende, dunkle Landschaft. Er weiß, dass sie aus Hazel nichts herausbekommen werden, die junge Frau kann verdammt stur sein, genau wie ihr Bruder Parker. Dass sie Zwillinge sind, sieht