Nadja Christin

Samuel, der Tod 2


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kichert jemand.

      »Begrüßt du deine Kunden immer so? Wundert mich nicht, dass dein Geschäft den Bach runter geht.«

      »Meinem Laden geht’s bestens«, antwortet Nathan. »Was willst du, Liam?«

      »Ich wollte nur beweisen, dass ich eine gute Erziehung genossen habe und dir Bescheid sagen, dass wir im Zug sitzen und unterwegs zu dir sind. Mehr nicht.«

      »Ah … Okay, Junge. Wann kommt ihr an?«

      »Hm … Warte mal, Charlie sieht gerade nach.« Nathan hört ein Rascheln und leises Stimmgemurmel im Hintergrund. Ungeduldig tippt er mit den Fingern auf die hölzerne Platte. Der kleine See aus Kaffee erreicht den Rand und tröpfelt auf den Fußboden. Nate sieht sich nach einem Lappen um, kann aber nichts entdecken. Kurz entschlossen wischt er mit dem Unterarm über den restlichen See. Er verzieht angeekelt das Gesicht, als die, nun kalt gewordene Brühe, durch sein Hemd zieht und auf seine Haut gelangt.

      »Komm, Blutsauger«, schnauzt Nate in den Hörer. »So genau wollt ich es auch nicht wissen. Sag es nur so ungefähr, damit ich mich drauf einrichten kann.«

      »In Ordnung«, Liam räuspert sich umständlich. »Wir hatten Glück und haben einen Schnellzug erwischt. So in einer Stunde werden wir wohl aufschlagen.«

      »Gut, bis dann.« Ohne eine Verabschiedung legt Nathan den Hörer auf.

      In dieser Sekunde fährt vor seinem Geschäft ein schwarzer Mercedes entlang.

      »Oh, da sind sie ja endlich«, ruft er laut und rennt um die Theke herum, auf die Eingangstür zu. Er reißt sie auf und läuft die wenigen Meter bis zu seinem Parkplatz.

      Hazel parkt den Mercedes neben Nates schwarzen Van, sie steigt aus, löst das Band, womit sie ihr Haar zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammen hielt und schüttelt den Kopf. Ihre üppigen, haselnussbraunen Locken wehen nur so um sie herum. Nathan sprintet auf sie zu und reißt sie an sich, er umarmt sie wie ein Ertrinkender. »So ein Glück, mein Engel. Du bist wieder zurück«, flüstert er. Nate hält seine Freundin auf Armeslänge von sich weg, betrachtet sie eingehend.

      »Ich habe dich vermisst, Haz.«

      Mit einem raschen Seitenblick auf Parker und Samuel, die wie unbeteiligt neben dem Mercedes stehen, sagt er: »Ich hoffe, die zwei Idioten haben dich nicht zu sehr genervt.«

      Lachend schüttelt Hazel den Kopf.

      »Nein, natürlich nicht, mein Liebster.« Sie legt ihre Hände gegen Nates Wangen. »Aber eine herzliche Begrüßung geht anders.«

      Ihre Lippen nähern sich Nates Mund, als sie sich treffen, umarmen sie sich wild. Hazel lässt Ihre Krallen aus den Fingern schnellen, die sich tief in Nates Rücken bohren. In einem leidenschaftlichen Kuss vereint, stöhnt Nathan lustvoll auf.

      *

      Alice wirft den Hörer zurück auf die Gabel.

      »Du verdammtes, feiges Biest«, schimpft sie mit sich selbst. Die junge Frau hat noch nicht mal das Klingeln am anderen Ende abgewartet, sie traut sich einfach nicht, mit Nathan zu sprechen.

      Zu groß ist ihre Furcht vor dem, was sie vielleicht über Samuel hören könnte.

      Die nächsten Stunden verbringt sie damit, auf dem Bett zu sitzen und sich einzureden, dass Eugenio Schwery nur einen Ausflug macht, wenn auch einen, der verflucht lange dauert. Oder, er ist einfach in eine andere Gegend gezogen, wie er es ihr gegenüber bereits erwähnte. Dass Schwery all seine Sachen zurückließ, lässt Alice dabei völlig außer Acht. Sie sucht auch nur nach Ausreden, all die kleinen Ausflüchte, die ihr dabei helfen, Gründe zu finden, sich nicht bei Nathan zu melden.

      Dabei ist alleine die Tatsache, dass ein Werwolf einfach so verschwindet, schon Grund genug, jemandem Bescheid zu sagen. Aber das Wichtige schiebt die kleine Alice von sich.

      Sie hat einfach Angst und zwar sehr große Angst. So sehr gefürchtet, wie jetzt, hat sie sich schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Dabei lähmt sie nicht ein Feind, oder eine gefährliche Lage, es ist nur eine Person, der sie ausweichen will.

      Sie hat Angst, dass Sam ihr erneut das Herz bricht.

      *

      Drake schlägt die Beine übereinander, stellt den Cognac beiseite und nimmt nochmals die Liste zur Hand. Das Blatt ist zerknittert, die Handschrift so schräg, als könne ein leichter Windhauch die Buchstaben einfach umwehen.

      Außerdem ist das Papier von fettigen Fingerabdrücken übersät. Man sieht eindeutig, dass der Schreiber die nötige Sorgfalt sausen ließ.

      Drakes Daumen streicht über drei Namen: Samuel, Parker und Hazel. Als Adresse ist 20 Cursitor Street, London, England, angegeben. Unter der Spalte Bemerkungen, steht in noch schrägerer Handschrift geschrieben: wohnen bei Nathan d’Cavenaugh.

      Drake grinst breit. Ich dachte, der alte Sack wäre schon längst in die Hölle gefahren. Hat die Superior ihm nicht eine Strafe auferlegt? Habe geglaubt, die wäre bereits abgelaufen. Nun ja, Drake zuckt mit den Schultern, dann wird dein Ende wohl vorgezogen, alter Junge.

      Drakes Finger wandert weiter zu Sams Namen.

      Samuel, denkt er und spürt, wie die Wut in ihm hoch kriecht. Ich habe über deine unfreiwillige, seltsame Verwandlung vom Sensenmann in einen Werwolf gehört. Jetzt wird es für mich noch leichter werden, dich zu töten.

      Mich für das grausame Sterben meiner Geliebten zu rächen, ist schon lange mein Ziel, aber das du es mir so einfach machst und ein Wölfchen wirst, das ist ja fast schon peinlich.

      Ganz in Gedanken versunken kichert Drake vor sich hin. Selbstverständlich werde ich dich leiden lassen, lieber Samuel. Du musst genauso zusehen, wie deine Freundin langsam zugrunde geht, wie es auch einst mein Schicksal war. Das schwor ich damals, und heute bin ich bereit, diesen Schwur einzulösen.

      An Garry gewandt sagt Drake mit leiser Stimme: »Was ist mit dieser Alice? Die den seltsamen Laden in Paris hat?«

      Garry wendet den Kopf, ein großes Glas aus zusammen gepanschtem Alkohol in der Hand, sein Blick ist bereits leicht verklärt.

      »Oh, wir wären sehr erfreut, wenn Ihr sie töten würdet, Sire«, murmelt der Hyänenhund mit undeutlicher Stimme.

      »Ho-ho-hocherf-f-freut«, schließt sich Dave an und grinst breit.

      »Richtig.« Garry klopft seinem Kumpel zustimmend auf den Rücken.

      »Wisst ihr denn, wo sie sich aufhält? Auf der Liste steht keine Anschrift von ihr.«

      »Ja, Sire«, Garry dreht sich um, er gerät leicht ins Schwanken. »Sie ist am 8. in Lyon, beim Lichterfest.«

      Drake zieht erstaunt eine Augenbraue hoch.

      »Ach, ehrlich? Woher wisst ihr das?«

      Der junge Hyänenhund zuckt mit den Schultern, was seinen Körper noch stärker aus dem Gleichgewicht bringt.

      »Unsere Informanten sind überall, Sire. Was immer Ihr wissen wollt, wir werden es herausbekommen.«

      »So, so.« Drake vertieft sich erneut in die handgeschriebene Liste.

      Ohne das Johlen und Knurren der Hyänen, die inzwischen einen hohen Alkoholpegel erreicht haben, zu beachten, überlegt sich Drake einen Plan, wie er am 8. Dezember, mitten in einem Haufen Menschen, am besten eine Werwölfin fängt. Er braucht sie lebend, nur so kann er seine Rache genießen. Aber bis dahin sind es nur noch knapp zwei Tage, er muss sich also rasch etwas einfallen lassen.

      *

      Parker wendet sich ab, presst eine Hand gegen den Bauch und gibt würgende Geräusche von sich. Samuel verzieht nur andeutungsweise seine Mundwinkel zu einem Lächeln. Es sieht zwar lustig aus, wie Parker so tut, als wäre ihm schlecht geworden, von Hazels und Nathans Knutscherei, aber Sam findet das eigentlich gar nicht komisch. Nur zu gerne würde er ebenso ein ganz bestimmtes Mädchen in seine Arme reißen und sich mit ihr in den Tiefen der Leidenschaft verlieren.