Nadja Christin

Samuel, der Tod 2


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bewusst, dass er seinen Freund nicht dazu zwingen kann, mit ihm zurück zu fahren. Jedoch weiß er genau, dass er selbst, so rasch es geht nach London reisen wird, alleine schon wegen Alice. Mit Charlie, oder ohne ihn.

      Stumm bohrt Charlie seinen Blick in die Augen seines Freundes. Er ist wütend, böse darüber, dass sie hier ihre einmalige Chance verpassen. Er könnte Liam alleine ziehen lassen, immerhin würden dann beide Mädchen ihm gehören. Aber was wäre danach? Er bliebe hier, einsam in Schottland und sein Kumpel wäre in London. Das wäre nur noch der halbe Spaß.

      Charlie atmet einmal kräftig durch, dann lässt er seine Faust auf Liams Schulter krachen.

      »Alles klar, Junge. Ich komme mit. Aber wehe, es war nichts Wichtiges und der alte Knacker wollte nur mal mit uns einen Trinken.«

      »Das glaube ich nicht, Charlie. Er klang … hm … ängstlich.«

      »Oh.«

      Zur Bekräftigung nickt Liam ein paar Mal mit dem Kopf. »Ja, genau. Oh. Das habe ich mir auch gedacht.« Er zupft an Charlies Hemd. »Komm mit, wir müssen uns von den McFerns noch verabschieden.«

      Seufzend trottet Charlie hinter seinem Freund her. Er hofft inständig, dass sich ihnen in naher Zukunft noch einmal solch eine gute Gelegenheit, wie die schottische Familie, bieten wird.

      Kaum haben die zwei das Pub verlassen, eilen sie zum Bahnhof. Sie hoffen, noch einen der Nachtzüge zu erwischen, der sie in ein paar Stunden nach London bringt.

      Nachdem er seine Endtäuschung verdaut hat, freut sich Charlie auf ein Wiedersehen mit seinem alten Freund Sam. Wie mag es ihm als arbeitsloser Sensenmann im letzten Jahr ergangen sein?

      *

      Als Alice bemerkt, dass sie ihr Handy zu Hause vergessen hat, ist es bereits zu spät. Sie befindet sich nur noch einige Kilometer von Genève entfernt.

      Na ja, so kann ich meinen Urlaub besser genießen, denkt sich die kleine Schwarzhaarige, nachdem sie den ersten Groll über ihr Missgeschick herunter geschluckt hat. Dass sie sich jetzt allerdings bei Eugenio Schwery nicht vorher anmelden kann, ärgert sie aber doch. So muss sie auf gut Glück zu ihm fahren, in der Hoffnung, dass sie ihn auch antrifft.

      Den restlichen Tag will sie aber erst mal in Genève verbringen und sich von der langen Autofahrt etwas erholen. Morgen kann sie sich immer noch aufmachen, in Richtung Airolo, und vielleicht bekommt sie ja auch seine Telefonnummer heraus und kann sich doch noch anmelden.

      Zwei Stunden später lässt sich Alice auf das herrlich weiche Bett im Swissôtel Métropole fallen. Der Preis für eine Übernachtung hat ihr zwar beinahe den Schweiß übers Gesicht laufen lassen, dennoch ist sie guter Dinge und will über so etwas nebensächliches, wie Geld, jetzt nicht nachdenken. Als sie am Fenster steht und die herrliche Aussicht auf den Park und den dahinter liegenden Genfer See genießt, entschädigt sie das für den horrenden Preis.

      *

      Drei Stockwerke über Alice, in einer der luxuriösen Suiten, sitzt jemand auf einem hellen Ledersofa und blättert durch die aktuelle Tageszeitung. Die langen Beine sind lässig übereinander geschlagen, der schmale, hochgewachsene Körper steckt in einem hellen, maßgeschneiderten Anzug, selbst die Krawatte ist farblich perfekt abgestimmt.

      Sein Gesicht jedoch, das etwas zu breit und grob erscheint, und die hellgrauen Augen, stören die edle Gesamterscheinung.

      Er wirkt wie ein Banker, oder jemand, der sein Geld an der Börse verdient. Mit seiner selbstsicheren Art, die an Arroganz grenzt, nimmt man ihm die Rolle des reichen Geschäftsmannes sofort ab, ohne weitere Fragen zu stellen. Das ist Drakes vorrangiges Ziel: dass ihm keine neugierigen Fragen gestellt werden, denn er will vor allem nicht auffallen. Genauso gut hätte er sich eines der kleineren Zimmer mieten können, jedoch benötigt er mehr Platz, besonders für seine Gäste, die er erwartet. Auch wenn sie nicht zu der gehobenen Klasse zählen, ja, eigentlich eher der Abschaum der Gesellschaft sind, so ist ihm ihre Anwesenheit doch sehr wichtig.

      Sorgfältig legt er die Zeitung zusammen und nimmt einen Schluck Tee. Nach einem Blick auf eine ausgesprochen schön restaurierte Wanduhr, deren Uhrzeit er mit seiner Junghans, am rechten Handgelenk, vergleicht, seufzt er ein weiteres Mal. Sie sind nicht pünktlich, denkt Drake, aber das habe ich auch nicht erwartet.

      Gerade, als er einen weiteren Schluck Tee nimmt, klingelt das interne Hoteltelefon. Drake nimmt ab.

      »Ja?«

      »Bonjour, Monsieur LaFont«, erklingt es aus dem Hörer. »Hier ist die Rezeption.«

      »Ja, bitte?«, fragt Drake und es klingt bereits etwas ungeduldig.

      »Hier sind drei … eh … Herren, die zu Ihnen möchten.«

      Über Drakes Gesicht huscht ein Lächeln. Ihm ist die Kunstpause des Hotelangestellten nicht entgangen. Also scheinen seine Gäste gut angekommen zu sein.

      »Schicken Sie sie hoch«, antwortet er und legt, ohne ein weiteres Wort, auf.

      Drake erhebt sich, wirft einen Blick durch die Suite. Alles an seinem Platz, alles sehr ordentlich und vor allem sauber. Ob das auch noch so sein wird, wenn ihn sein Besuch wieder verlässt, will Drake zwar hoffen, glaubt aber nicht daran. Er kennt die ewig sabbernden Viecher nun schon seit Jahrhunderten. Für einen kurzen Augenblick können sich Hyänenhunde zusammenreißen, jedoch ist das nie von Dauer, vor allem nicht, wenn Alkohol ins Spiel kommt, und Drake schätzt, dass heute Abend noch sehr viel Hochprozentiges fließen wird.

      Er wirft einen Blick in den mit Gold verzierten Spiegel, rückt seine Krawatte zurecht und streicht sich über das dunkle Haar. An den Schläfen wird es schon leicht grau, nicht viel, aber es fällt bereits auf. Nun ja, wenn man so alt ist, wie ich, denkt er, darf man sich über die paar grauen Strähnen nicht aufregen. Immerhin sieht man mir kaum an, dass ich über zweitausend Jahre alt bin.

      Er grinst seinem Spiegelbild zu.

      In diesem Moment klopft es leise an die Türe. Drake öffnet und bittet seinen Besuch höflich einzutreten.

      Kaum haben die drei jungen Kerle die Schwelle übertreten, fällt die aufgesetzte Förmlichkeit von ihnen ab und sie gebärden sich wie unerzogene Kinder.

      Einer von ihnen springt über die Lehne des Sofas und lässt sich auf das weiche Polstermöbel fallen »Ah, das ist klasse«, ruft er und legt die Füße mitsamt seinen schmutzigen Turnschuhen, auf das helle Leder. Ein anderer reißt die Gardinen beiseite, öffnet die Glastür, die auf einen kleinen Balkon herausführt, und beugt sich über das Geländer. Drake verdreht die Augen, als er hört, wie der junge Mann kräftig die Nase hochzieht und hinunter spuckt. Er wendet sich an den Hyänenhund, der noch neben ihm steht: »Garry, unterbinde das. Und zwar sofort.«

      Unmerklich nickt Garry, herrisch ruft er: »Dave, hör auf, die Menschen anzurotzen, und Bennet, Füße runter, oder es knallt.«

      Die Hyänen gehorchen, wenn auch unter leisem Protest. »Sch-sch-schade. H-h-h-abe best-st-stim-m-mt einen ge-ge-getroff-ff-ffen«, stottert Dave, schließt die Balkontür und zieht den Vorhang wieder zu.

      Er setzt sich neben Bennet, der seine Füße nur widerwillig von der Lehne nimmt, auf der jetzt ein deutlicher Schmutzstreifen zu sehen ist.

      Drake versucht es zu ignorieren, auch wenn er all seine Willensstärke zusammen nehmen muss, um den unverschämten Hyänen nicht hier und jetzt ihren verdammten Kopf abzureißen.

      Er deutet Garry an, Platz zu nehmen und setzt sich selbst in einen der zwei Sessel, die dem Sofa gegenüberstehen. Kaum hat der junge Hyänenhund sich fallengelassen, zieht er auch schon ein Blatt Papier aus der Innentasche seiner Jacke. Mit einem breiten Grinsen reicht er das Blatt an Drake weiter.

      »Was ist das?«, fragt der neugierig, kneift die Augen zusammen, um die schräge Handschrift besser entziffern zu können.

      »Das ist eine Liste«, antwortet Garry, mit einem Anflug von Stolz in der Stimme. »Darauf stehen alle Werwölfe, die noch in Europa existieren … Sire.«

      Ein Lächeln