Nadja Christin

Samuel, der Tod 2


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das möglich ist.«

      »Es tut mir sehr leid, junge Dame«, sagt Signora della Mea und ihre Stimme fließt beinahe über, vor Bedauern. »Aber Eugenio ist seit einigen Wochen spurlos verschwunden.«

      »Was?«, ruft Alice in die Sprechmuschel. »Seit wann denn? Ich habe vor einem Monat noch mit ihm telefoniert.«

      »Ach Gott«, meint die Ältere und schnalzt bedauernd mit der Zunge. »Sind sie eine Freundin?«

      »Bekannte«, murmelt Alice mürrisch und nagt nervös an der Unterlippe.

      »Wir haben Eugenio am Neunten November das letzte Mal gesehen, danach nicht mehr. Seit dem ist er wie vom Erdboden verschluckt. Er hat seine gesamten Sachen hiergelassen, darum schaue ich ab und zu nach dem Rechten.«

      »Wurde er denn gesucht?«

      »Selbstverständlich«, die Signora scheint empört über die versteckte Unterstellung, man habe sich nicht um den Verbleib des Metzgers gekümmert. »Wir haben tagelang alles nach ihm abgesucht. Aber leider … Nichts.«

      »In Ordnung. Vielen Dank auch.«

      Alice will auflegen, sie muss dringend ihre Gedanken ordnen.

      »Soll ich ihm etwas ausrichten, mein Fräulein? Falls er doch noch zurückkehrt?«

      »Eh … nein. Nein danke«, sagt Alice und knallt den Hörer auf die Gabel.

      Sie schlägt sich die Hände vors Gesicht und rechnet nach. Wenn Schwery am Neunten verschwunden ist, dann war das beim letzten Vollmond. Was mag ihm an dem Tag nur zugestoßen sein? Oder besser, in der Nacht.

      Es kommt selten vor, das einer ihrer Art einfach so von der Erde verschwindet, wenigstens nicht, ohne ein Zeichen zu hinterlassen.

      Das die Bewohner der komischen Gemeinde Airolo wirklich ernsthaft nach Eugenio gesucht haben, bezweifelt Alice.

      Sie weiß, dass der Metzger allen ein Dorn im Auge war, hat Schwery es ihr doch bei ihrem letzten Telefonat selbst gesagt, auch, dass er vorhatte, diese komische Stadt zu verlassen. Er dachte sogar darüber nach, nach Frankreich, in ihre Nähe, zu ziehen. Dass er einfach so von der Bildfläche verschwindet, sieht dem alten Werwolf gar nicht ähnlich.

      »Er hätte sich auf jeden Fall bei mir gemeldet«, murmelt Alice vor sich hin. »Keine Gefahr kann so dauerhaft sein, dass er nicht wenigstens die Zeit für ein Telefonat gefunden hätte.«

      Die kleine Schwarzhaarige schlägt sich mit der Faust in die offene Hand. »Da stimmt etwas nicht«, sagt sie zu sich selbst.

      Entschlossen nimmt sie erneut den Hörer in die Hand. »Und es gibt nur einen, der mir das erklären kann.«

      »Ja bitte?«, der Kerl an der Rezeption klingt noch gelangweilter als vor ein paar Minuten.

      »Verbinden Sie mich mit einer Nummer in England«, herrscht Alice den unbekannten Typ an.

      »Sehr wohl.«

      Alice nennt ihm Nathans Telefonnummer aus dem Gedächtnis. Zu oft hat Alice sie im letzten Jahr angestarrt und darüber nachgedacht sie zu wählen. Als das Freizeichen ertönt, sehnt sich Alice erneut eine Zigarette herbei.

      *

      Die Cursitor Street ist menschenleer, auch in dem Antiquitätenladen geht kein Kunde umher.

      Es ist Sonntag und so früh, dass sich noch nicht mal die Sonne aus ihrem Bett erhoben hat. Nathan wird immer unruhiger, sehnlichst erwartet er die Rückkehr seiner Freundin und der zwei Wölfe. Ihm liegt so viel auf der Seele, das er gerne loswerden will, er möchte seinen Verdacht, seine Vermutungen mit jemandem teilen. Auf keinen Fall will er sein Wissen für sich behalten. Alle sollen es erfahren und dann müssen sie sich gemeinsam einen Plan überlegen.

      Um die Zeit totzuschlagen, räumt Nate ein paar seiner Ausstellungstücke hin und her, hängt einige Bilder und Uhren um und dekoriert das Schaufenster neu. Ein Blick auf die Uhr verrät ihm, dass erst ein paar Minuten vergangen sind, seit er das letzte Mal die Zeit kontrollierte. Er schnauft entrüstet und will sich über seinen blonden Schnurrbart streichen, wie er es immer tut, wenn er nervös ist. Jedoch hat er ganz vergessen, dass er ihn sich, Hazel zuliebe, abrasierte. So spürt er unter seinen Fingern nicht die stoppeligen Haare, sondern eine glatte Haut.

      Was macht man nicht alles, den Weibern zuliebe, denkt Nate und lässt die Hand sinken. Er verschwindet wieder hinter dem Verkaufstresen und gießt sich aus einer riesigen Kanne, einen Kaffee in eine alte, bereits angeschlagene Tasse. Nachdem er drei Stück Zucker in die schwarze Brühe gleiten ließ, trinkt er den Kaffee langsam und schlürfend.

      Er bemerkt weder die Süße, noch dass die Bohnen alt und bitter waren. Nathan versucht einzig und allein die Zeit zu verkürzen. Er stützt sich mit den Ellenbogen auf die Theke, hält die Tasse mit beiden Händen fest und starrt ins Leere.

      Es kommt etwas Schreckliches auf uns zu, denkt er, selbst ich habe Angst davor, und das will schon etwas heißen, denn so schnell wirft mich nichts aus der Bahn.

      Selbst vor einem Jahr, als Samuels Dasein auf dem Spiel stand, war Nathan noch die Ruhe selbst. Sie entwickelten zusammen einen Plan an dessen Ende die Tötung ihrer Feinde, allen voran der böse Sensenmann Gerome, stand. Das Samuel seine Liebste ziehen ließ und Nate dagegen eine neue Liebe gewann, stimmte den alten Mann nicht besonders fröhlich. Verhielt sich Sam im letzten Jahr doch mehr und mehr wie ein Verrückter. Scheinbar krank vor Sorge um Alice, jedoch zu feige, um sich bei ihr blicken zu lassen. Noch nicht mal mit Charlie, seinem einst besten Freund, hat er gesprochen. Samuel mied jeglichen Kontakt, lediglich mit Nathan und Parker sprach er, wenn auch meistens ziemlich unverschämt. Eigentlich wurde es noch schlimmer, als Nathan herausbekam, dass Samuel zu einem waschechten Werwolf mutiert war.

      Wieso der einstige Tod es geheim halten wollte, war Nate schleierhaft und Sam gab ihm auch keine befriedigende Antwort darauf.

      Danach kapselte er sich noch mehr ab, als sonst. Ab und an zog er mit Parker um die Häuser, oder die zwei probten die alte Schwertkunst, nicht ohne mit den hässlichsten Blessuren nach Hause zu kommen. Samuel leckte sich die Wunden, verschloss sich noch mehr, und zog kurz darauf aufs Neue aus, um die Menschheit in Angst und Schrecken zu versetzen.

      Es ist jetzt knapp zwei Monate her, als Nathan herausbekam, was sein alter Kumpel bei Vollmond so treibt. Die anderen Werwölfe können sich willentlich zu jeder Zeit verwandeln, nur bei Vollmond haben sie keine Kontrolle mehr über sich und werden zu der reißenden Bestie, die alle Welt fürchtet. Bei Sam jedoch, scheint es anders zu sein. Nathan kennt den genauen Grund nicht, vielleicht hängt es damit zusammen, dass er als Tod geboren wurde, für ein paar Stunden menschlich war, bevor Alice ihm versehendlich ihr Blut gab und ihn in einen Werwolf verwandelte. Doch Samuel scheint der einzige unter den haarigen Biestern zu sein, der seinen Willen nicht einmal im Monat einbüßt. Er weiß auch an Vollmond noch ganz genau, was er tut, wenn auch er sich gegen eine Umformung in ein anderes Lebewesen nicht wehren kann, so ist er doch immer noch im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten.

      Darum verwunderte es Nathan auch so, als er herausfand, dass Samuel alle 29 Tage umherzieht und scheinbar wahllos Menschen tötet.

      Mittlerweile wird er bereits unter dem Namen Liphook-Killer gesucht.

      Nathan nimmt noch einen Schluck Kaffee und grinst breit, als er daran zurückdenkt, dass er Samuel beim letzten Vollmond einfach in seinem Keller in einen massiven Käfig sperrte.

      Das war ein hartes Stück Arbeit und hat Nate einige böse Kratzer beschert. Aber vor allem einen überaus wütenden Sam, der ihm das bis jetzt noch nicht verziehen hat.

      Nathan will gerade aus seiner Tasse trinken, als mit einem Mal das Telefon lautstark schrillt. Der alte Mann zuckt zusammen, mit dem Ergebnis, dass der Kaffee aus der Tasse schwappt, ihm über die Hände und auf den Tresen fließt.

      »Verfluchte Scheiße«, schimpft Nate und schüttelt seine Hände aus, bevor er den Hörer abnimmt.

      »Ja,