Nadja Christin

Samuel, der Tod 2


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erneut, geifernd und aus verschiedenen Wunden blutend.

      Die junge Frau räuspert sich leise, doch die Wölfe nehmen sie nicht wahr. Als beim dritten Versuch immer noch keine Reaktion erfolgt, klatscht sie lautstark in die Hände und ruft: »So, Jungs. Schluss für heute, genug gespielt.«

      Erschrocken fahren die Werwölfe herum, ducken sich, zum Angriff bereit. Erst als sie sehen, wer da ihren Kampf so unverschämt stört, entspannen sie sich wieder. In Sekundenschnelle verwandeln sich die Wölfe zurück in Menschen.

      »Hazel«, sagt Parker vorwurfsvoll. »Was tust du denn hier?«

      Erneut verschränkt die junge Frau ihre Arme vor dem Köper. »Mich köstlich über zwei Idioten amüsieren, die halbnackt im Wald herumstehen.«

      Die beiden Männer blicken an sich herab. Die Hosen hängen in Streifen an ihnen runter, auch die T-Shirts sehen nicht besser aus. Sams Oberteil ist nur noch an einem Stofffetzen um den Hals zu erkennen. Parker zeigt auf Sam. »Er hat angefangen«, meint er, wie ein kleiner Junge.

      Samuel verdreht die Augen.

      »Hallo Hazel«, flüstert er heiser. »Ich hoffe, du bist mit dem Wagen da.« Er geht dicht an Parker vorbei und stößt ihn mit der Schulter zur Seite. »Hey!«, ruft der aufgebracht, doch Sam stampft unbeirrt weiter, durch das raschelnde Laub, hinter Hazel her, die sich bereits in Richtung Parkplatz aufgemacht hat.

      Parker hebt die nackten Arme an. »He!«, brüllt er ihnen hinterher. »Wollt ihr mich hier zurücklassen?«

      »Klar doch«, ruft Sam, ohne sich umzudrehen. »Wer will dich schon dabei haben.«

      Hazel kichert leise, bevor sie stehenbleibt und meint. »Komm schon, Bruderherz. Du willst doch wohl nicht in der Aufmachung nach London zurück laufen?«

      »Nein«, murmelt Parker. »Natürlich nicht.« Er hebt die Schwerter auf und setzt sich in Bewegung. »Aber ich sitze vorne!«

      Samuel lacht kurz und humorlos auf. »Keine Chance, Junge.«

      *

      Nathan d’Cavenaugh steht hinter dem Verkaufstresen in seinem Antiquitätengeschäft und nagt nervös an der Unterlippe. Immer wieder wandert sein Blick zwischen einer antiken Wanduhr und einem alten Buch, das aufgeschlagen vor ihm liegt, hin und her. Zähflüssig, wie Honig, scheint der Minutenzeiger vorzurücken. Vielleicht hat die Uhr auch den Geist aufgegeben, denkt Nathan und klopft vorsichtig gegen das Uhrenglas. Aber ein rascher Blick auf einen kleinen digitalen Wecker verrät ihm die Wahrheit. Die Zeit verrinnt einfach nur so langsam. Ungeduldig erwartet er seine Freundin Hazel mit Parker und Samuel zurück. Er hat ihnen etwas sehr wichtiges mitzuteilen, etwas Lebenswichtiges. Vor gut einer Stunde hat er Hazel geschickt, ihren Bruder und den einstigen Tod einzusammeln und schnellst möglichst in die Cursitor Street zu verfrachten. Nate weiß genau, dass Haz mindestens eine Stunde braucht, um die zwei Verrückten zu finden, dann noch eine gute Stunde für den Rückweg. Also braucht er eigentlich nicht permanent auf die Uhr zu sehen. Doch dank seiner Nervosität tut er es dennoch.

      Als sein altmodisches Telefon klingelt, zuckt Nathan vor Schreck zusammen. Er atmet einmal durch, bevor er abnimmt.

      »d’Cavenaugs Antiquitäten. Was kann ich für Sie tun?«, krächzt er in den Hörer.

      Eine fröhliche Stimme antwortet ihm: »Hey, altes Schlachtross. Wie geht’s denn so?«

      Nathan stutzt, bevor er vorsichtig fragt: »Liam? Bist du das?«

      »Ja, sicher. Du hattest mir auf die Mailbox gesprochen, ich habs erst jetzt abgehört. Was gibt’s denn?«

      »Ist Charlie bei dir?«

      »J-Ja«, antwortet Liam zögernd. »Warum?«

      »Ihr müsst beide sofort herkommen«, blafft Nate in das Telefon. »Es ist wichtig. Es … es geht um Leben und Tod.«

      Liam lacht laut auf. »Um den Tod?«

      »Was? … Nein. Kommt einfach so schnell es geht zu mir in den Laden. Alles andere erkläre ich euch dann.«

      »Hm. Das ist im Moment aber gar nicht günstig, Nate«, Liam senkt seine Stimme zu einem Flüstern. »Wir haben da zwei süße Hasen an der Angel und die möchte ich ungern entwischen la …«

      »Bewegt eure verdammten Ärsche hier hin«, unterbricht Nathan lautstark den Vampir. »Und zwar sofort!«

      »Ja, ja. Ist ja schon gut.«

      Nathan seufzt leise. »In Ordnung. Kommt so schnell es geht.«

      »Nate. Was ist los?«

      Nathan überlegt einen Moment, ob er Liam einen kleinen Teil der miesen Geschichte am Telefon erzählen soll, doch da fragt der Vampir auch schon:

      »Geht es um Alice?«, in Liams Stimme schwingt eine leichte Furcht mit.

      »Ja«, antwortet Nathan. »Um sie auch. Kommt einfach her.« Um weiteren Diskussionen aus dem Wege zu gehen, legt Nathan den Hörer zurück auf die Gabel. Er fühlt sich beinahe ebenso hilflos, wie vor einem Jahr als er Samuel anrief und zu sich beorderte. Nur das es damals lediglich um das Leben des Sensenmannes ging und nicht um das aller Werwölfe. Aber wer weiß schon, überlegt Nate weiter, wenn der Drache mit den Wölfen fertig ist, dass er es dann nicht auf andere Anderswesen abgesehen hat. Wer kann schon genau sagen, dass dann nicht alle anderen dran sind.

      Niemand.

      *

      Nachdenklich drückt Liam die Hörertaste, klopft sich mit dem Handy gegen das Kinn. Was ist denn da nur los?, überlegt der Vampir und lehnt sich gegen die holzvertäfelte Wand. Er und sein Freund Charlie befinden sich in einem Pub, in einem kleinen Ort namens Killin, nahe dem Loch Tay, im Herzen Schottlands. Sie wurden von der Familie McFern eingeladen, ein paar Tage mit ihnen zu verbringen. Angesichts der überaus entzückenden Zwillingsschwestern, sagten die zwei Vampire nur zu gerne zu.

      Im vergangenen Jahr haben die Jungs schon einige solcher Einladungen angenommen, vor allem, wenn hübsche junge Mädchen sie lockten. Bisher handelte es sich dabei durchweg um Anderswesenfamilien, meistens Vampire, aber auch Ghoule, Nixen und Schrate zählten zu ihnen. Die McFerns sind die ersten Menschen, bei denen Liam und Charlie übernachten werden. Ob und wie die schottische Familie den nächsten Tag erleben wird, ist den Jungs bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.

      Und ausgerechnet jetzt müssen wir weg, denkt Liam ärgerlich. Er wirft einen Blick auf sein Handy, blättert durch seine Kontaktliste und wählt Alices Nummer. Nate meinte, dass es auch um sie ginge, mal sehen, was sie mir dazu sagen kann.

      Er hält sich das Telefon ans Ohr und wartet auf das Freizeichen.

      In 1200 Kilometern Entfernung, mitten in Paris, in der Rue Denfert Rochereau, im ersten Stock, auf einem schwarzen Nachtschränkchen, klingelt und brummt Alices Handy. Sie selbst ist schon seit Stunden mit dem Auto unterwegs in Richtung Süden. Ob mit oder ohne Absicht, sie hat ihr Handy liegengelassen.

      »Verflucht«, zischt Liam leise als das monotone Freizeichen in ein hektisches Piepen übergeht und legt auf.

      Charlie gesellt sich zu ihm, lehnt sich ebenso an die Wand und meint halblaut: »Was ist mit dir? Ich hab die Kleine schon überzeugt. Die andere gehört dir«, er sieht seinen Freund spitzbübisch an. »Oder willst du sie nicht?«

      Liam fährt sich mit beiden Händen durch die schwarzen Haare. »Nathan hat mich angerufen«, er wirft Charlie einen verzweifelten Blick zu. Weiß er doch genau, dass sich bei den McFerns eine einmalige Chance bietet, die so schnell nicht wiederkommt.

      »Ja, und?«, fragt Charlie knurrend. »Du sagst mir jetzt nicht, dass wir hier unsere Zelte abschlagen sollen, oder?«

      Krampfhaft nickt Liam. »Doch, Junge. Das müssen wir.«

      »Aber warum, zum Teufel?«, ruft sein Freund lauter als gewollt. Die ersten Köpfe drehen sich nach ihnen um.

      »Es war Nates blutiger Ernst. Wir sollen sofort nach London fahren.