Rotraut Mielke

Herrengolf und andere Irrtümer


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      Von Walter und Alfred kam schallendes Gelächter.

      „Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Meine Marion und von dir was lernen, da wären wir schon seit Jahren pleite.“ Alfred schüttelte amüsiert den Kopf.

      Ben lehnte sich zurück. Diese dahinplätschernden Debatten, die kleinen Sticheleien und die gegenseitige Anmache gehörten nun einmal zu dem Kleeblatt dazu. Anfangs hatte er die Auseinandersetzungen ernst genommen, denn die gingen manchmal ziemlich unter die Gürtellinie. Aber schon bald hatte er festgestellt, dass das Trio, das sich seit Kindesbeinen kannte, sich nie wirklich ernsthaft in die Haare bekam.

      Alle waren sie angesehene und gut situierte Geschäftsleute aus Gelnhausen, einer Kleinstadt, die eine Dreiviertelstunde entfernt lag. Jeder hatte es im Laufe seines Lebens zu etwas gebracht. Wie es genau dazu gekommen war, dass sie ihn vor gut einem Jahr aufgegabelt und als eine Art Coach in ihren Flight geholt hatten, hätte er nicht mehr sagen können. Aber sein Golfspiel war ganz passabel, und im Laufe der Zeit hatte er mit seinen Tipps und Hinweisen die drei soweit gebracht, dass auch sie stetig besser geworden waren. Er fühlte sich wohl in der Runde. Die Kabbeleien und schlagfertigen Bemerkungen bereiteten ihm großes Vergnügen, und die wöchentlichen Golftermine waren stets ein Highlight.

      Bis auf das gemeinsame Hobby, das sie verband, hätte ihre Lebenssituation unterschiedlicher nicht sein können. Während sich Walter, Gerd und Alfred allmählich auf ihren beruflichen Lorbeeren ausruhen konnten, stand Ben erst am Anfang seiner Karriere. Sein Einkommen als junger Bankkaufmann war nicht gerade üppig, und der Jahresbeitrag für den Golfclub war der einzige Luxus, den er sich leistete. Leise seufzte er vor sich hin. Wie lange das allerdings noch weitergehen würde, stand in den Sternen. Vor ein paar Tagen hatte seine Pia ihn mit einer Neuigkeit überrascht, über die er sehr glücklich war. Eigentlich. Allerdings kam das freudige Ereignis zwei Jahre zu früh. Nachwuchs hatte sich angekündigt. Und auch wenn Ben davon ebenso begeistert war wie Pia, stellte das doch seine finanzielle Planung völlig auf den Kopf. Nun standen Heirat und Baby an, beides wichtige, aber auch kostspielige Ereignisse. Ben war sich völlig darüber im Klaren, wo die Prioritäten lagen. Wenn es hart auf hart kam, musste er eben den Golfsport aufgeben, auch wenn er mit großer Leidenschaft daran hing.

      „So, die Herren.“ Die schlafmützige Bedienung verteilte die Getränke.

      „Na endlich“, knurrte Alfred und begann sofort, durstig zu trinken.

      Auch die anderen griffen zu ihren Gläsern. Ben schreckte aus seinen Gedanken hoch und bemerkte Walters prüfenden Blick.

      „Alles in Ordnung?“, raunte der Ältere ihm zu.

      Er nickte und rang sich ein Lächeln ab. „Ich muss mal wieder Abschläge üben. In letzter Zeit bin ich überhaupt nicht zufrieden damit.“

      Walter nickte wissend, das Problem kannte er nur allzu gut. Aber er hatte das Gefühl, dass das nicht der eigentliche Grund für Bens Nachdenklichkeit war. Er ahnte seit langem, dass es für Ben finanziell nicht ganz einfach war. Die anderen leisteten sich ab und zu einen neuen Golfschläger in der Hoffnung, mit ihrer neuen Errungenschaft einen Quantensprung zum Besseren zu machen. Nur Ben spielte stets mit derselben verschrammten Ausrüstung, die schon deutliche Kampfspuren aufwies. Und die Zeit, die sie gemeinsam auf dem Golfplatz verbrachten, war mit vielen Überstunden bezahlt, wie Walter sehr wohl wusste. Gerne hätte er dem sympathischen jungen Mann unter die Arme gegriffen, wenn er nur gewusst hätte, wie er das anstellen sollte, ohne seinen Stolz zu verletzen.

      Alfred hatte sein Glas als erster ausgetrunken. Nach einem hektischen Blick auf seine Armbanduhr stand er auf. „Ich muss heim“, erklärte er überflüssigerweise.

      Man wusste Bescheid.

      „Tja, wenn Marion mit der Suppe wartet…“ Walter lächelte vor sich hin. Da hatte er mit seiner Annelie einen besseren Griff getan. Die ließ ihm genügend Luft zum Atmen und seine kleinen Freiräume, die er nun einmal brauchte. Auch sonst war sie eine tüchtige, patente Frau mit einem großen Herzen. Sie stand mit beiden Beinen auf dem Boden. Eine einzige Schwäche hatte sie allerdings. Das waren Astrologie, Wahrsagen und andere dubiose Formen der Zukunftsdeutung. Darauf war sie richtiggehend versessen. Warum das so war, hatte er nie begreifen können. Aber leben und leben lassen, mit diesem Motto war er zeitlebens gut gefahren.

      „Die Regierung darf man nicht warten lassen“, kommentierte Gerd staatsmännisch.

      Mit säuerlichem Gesicht winkte Alfred ab. „Ihr mich auch“, brabbelte er, schon im Weggehen.

      Die anderen blieben noch einen Moment lang sitzen.

      „Ihr solltet eure Frauen auch zum Golf spielen bewegen, dann wäre das Ganze viel entspannter“, schlug Ben wieder einmal vor. Aber diese Idee war noch nie auf Gegenliebe gestoßen.

      „Es ist schon gut so, wie es ist. Dann haben wir auch mal eine Weile unsere Ruhe.“ Gerd wusste, wovon er sprach. Er genoss die Stunden in der Männerrunde sehr und war sicher, dass Walter und Alfred das genauso sahen. „Die geben sowieso viel lieber Geld aus und gehen Kaffee trinken.“

      ***

      Alfred Raule hatte direkt nach der Golfrunde seine Sachen im Wagen verstaut und konnte deshalb jetzt sofort losfahren. Er war gut gelaunt, so ein Ergebnis wie heute hatte er seit langem nicht mehr erzielt. Er drückte aufs Gaspedal. Das Mittagessen, das bestimmt schon auf ihn wartete, zog ungemein.

      Gemächlich stieg Walter Pötz eine Weile später in sein Auto und gurtete sich an. Während er über die Landstraße zuckelte, überlegte er, was wohl mit Ben los sein mochte. Der war sehr ruhig gewesen heute und offensichtlich mit den Gedanken ganz woanders. Hoffentlich gab es keine Probleme in der Bank oder gar mit seiner Pia. Nun, er würde bald herausfinden, wo der Hase im Pfeffer lag.

      Auf dem Weg zum Parkplatz zückte Gerd Scheurich sein Handy und checkte mit flinken Fingern, was während der letzten zwei Stunden los gewesen war. Als Mitglied des Gemeinderates wollte er ständig auf dem Laufenden sein. Die nächste Bürgermeisterwahl stand an, und er musste dringend seine Chancen für eine Kandidatur verbessern. Wenn nur diese blöde Sache vor ein paar Jahren nicht gewesen wäre. Eine Schmiergeldaffäre war etwas sehr Unschönes, und obwohl er sich keiner Schuld bewusst war, blieb doch immer etwas an einem hängen. Gegen das Gerede kam man einfach nicht an. Andererseits wuchs über alles irgendwann einmal Gras. Und besonders in der Politik hatte so mancher ein ausgesprochen schlechtes Gedächtnis, wenn man ihm nur gut zuredete.

      Mit sorgenvoll gefurchter Stirn machte sich Ben Rennberg auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz. Schon lange träumten er und Pia von einer größeren Wohnung, denn in den vierzig Quadratmetern ihrer jetzigen Behausung ging es bereits jetzt reichlich eng zu. Wie das erst mit einem Baby werden würde, mochte er sich gar nicht ausmalen. Aber der Mietspiegel in Frankfurt ging seit ein paar Jahren durch die Decke, und sein Gehalt konnte da nicht Schritt halten. Die derzeit niedrigen Hypothekenzinsen spukten ihm im Kopf herum. Durch die Mitarbeiterkonditionen, die ihm zustanden, wurde das Schuldenmachen regelrecht attraktiv. Vielleicht war genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um langfristig die Weichen für die Zukunft zu stellen. Obwohl, und bei dem Gedanken lachte er etwas bitter auf, das hatte Pia ja bereits übernommen. Aber kurz darauf entspannten sich seine Gesichtszüge wieder. Pia als Mutter, er als Vater, und so ein kleiner Hosenscheißer, bei diesem Gedanken wurde ihm ganz warm ums Herz. Irgendwie werden wir es hinkriegen, dachte er mit neuer Zuversicht und pfiff fröhlich einen Schlager mit, der im Radio lief.

      Marion Raule lief ein wohliger Schauder den Rücken hinunter. Es war aber auch zu aufregend. Am Wochenende sollte die neue Ausstellung in der kleinen Galerie am Marktplatz eröffnet werden. Franz von Herschede höchstpersönlich hatte sein Kommen zugesagt, und seine Fangemeinde war schon jetzt in heller Aufregung. Noch wurde seinen Werken nicht die Beachtung zuteil, die sie zweifellos verdienten. Aber das war nur eine Frage der Zeit. Für Marion jedenfalls stand außer Frage, dass von Herschede der aufsteigende Stern der deutschen, wenn nicht gar der internationalen Kunstszene war.

      Als Stammkundin der Galerie, die auch Künstlerbedarf verkaufte, und mittlerweile auch gute Bekannte der Galeristin gehörte sie zum inneren Kreis, der den