Rotraut Mielke

Herrengolf und andere Irrtümer


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      Wie es sich, zwar selten, aber immer zur Unzeit, von seiner Befestigung lösen konnte, war selbst Walter ein absolutes Rätsel. Es musste mit irgendwelchen Spannungen in dem gemauerten Rauchabzug zu tun haben. Er hing nicht an dem Ölschinken, und wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre das Gemälde schon längst in der Mülltonne gelandet. Aber auf ihre Oma Josefa ließ Annelie nichts kommen. Die hatte ‚das zweite Gesicht‘ gehabt, wie sie stets behauptete. Vermutlich rührte von diesen Ammenmärchen auch ihr Interesse an dem ganzen Hokuspokus, an den sie so fest glaubte.

      Walter hatte sich schon halb von der Couch erhoben, um die Josefa wieder an ihren angestammten Platz zurück zu hängen, aber Annelie winkte ab. „Das kannst du später machen, jetzt schlaf erst einmal.“ Sie ging zu ihm hinüber und strich ihm übers Haar. Gehorsam schloss er die Augen, und schon Sekunden später war wieder sein leises Schnarchen zu hören.

      Annelie hob die Illustrierte auf und setzte sich im Sessel zurecht. Sie warf einen ängstlichen Blick auf das Bild. Oma Josefa schien sie direkt anzuschauen, und heute war dieser Blick äußerst sorgenvoll. Das passt, dachte sie bang. Seit ein paar Nächten wurde sie von Alpträumen geplagt, und nun auch noch dieser Bildersturz. Sie riss sich von den düsteren Gedanken los und konzentrierte sich auf den Artikel, den sie gerade aufgeschlagen hatte. Beim Lesen bewegte sie die Lippen, um nur ja jedes Wort mitzukriegen. Ein neuer Astrologe war angekündigt worden, der schon vielen Prominenten die Zukunft vorausgesagt hatte. Sie war aufs Äußerste gespannt, was er über ihr eigenes Schicksal zu berichten wusste.

      ***

      In vollem Lauf riss Gerd die Haustür auf und stürmte ins Wohnzimmer, wo Marlene gerade dabei war, ihre Fingernägel zu lackieren. Der Altersunterschied zwischen der attraktiven Mittvierzigerin und dem angehenden Senior war nicht zu übersehen. Sie war ihm vor ein paar Jahren bei einem Pressetermin über den Weg gelaufen. Ein Blick hatte genügt, und sein langjähriges Eheweib war sofort in Vergessenheit geraten. Ausgestattet mit einem kurvigen Körper, langen, schwarzen Haaren und einem vollen, sinnlichen Mund war sie das fleischgewordene Ebenbild seiner Träume gewesen. Und sie hatte ihre Karten gut ausgespielt. Nach einer unschönen Scheidungsschlacht war Marlene, gut zwanzig Jahre jünger als Gerd, ziemlich schnell die neue Frau Scheurich geworden.

      „Stell dir vor, die sind schon wieder über mich hergezogen“, berichtete er aufgebracht.

      Marlene schaute hoch. „Wer jetzt?“, fragte sie ohne großes Interesse. Bei Gerd war stets Alarm in der Hütte, man musste nicht auf alles springen, was in seinem Kopf so vor sich ging.

      „Na, wer wohl? Der Schneider natürlich!“ Aufgeregt marschierte Gerd im Zimmer auf und ab. Der stellvertretende Bürgermeister Hartmut Schneider war sein erklärter Todfeind. Nur gut, dass er ein paar verlässliche Informanten im Rathaus sitzen hatte, die ihm jede seiner fiesen Schmähattacken sofort brühwarm aufs Handy schickten.

      „Als ob der keinen Dreck am Stecken hat! Das ist jetzt Jahre her, und immer noch hackt dieser Saukerl auf mir herum.“

      Marlene schraubte ungerührt das Fläschchen mit dem Nagellack zu. „Du sagst doch selbst, Politik ist ein schmutziges Geschäft.“ Sie stand auf und stöckelte auf pinkfarbenen Pantöffelchen auf ihn zu. „Warum hörst du denn nicht auf damit? Wir haben das doch gar nicht nötig. Es gibt so viele andere schöne Dinge, die sich lohnen.“

      Vorsichtig, um den noch feuchten Nagellack nicht zu gefährden, schmiegte sie sich an ihn. Ihr Busen bohrte sich mit provozierender Festigkeit in seine Brust, aber er schien es gar nicht zu bemerken. Mit einem gereizten Schnauben machte er einen Schritt beiseite, so dass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte.

      „Das verstehst du nicht. Es gibt halt Leute, die sich um das öffentliche Wohl Gedanken machen. Die sich einbringen und aufopfern im Dienste der Allgemeinheit.“

      Sie zog die Augenbrauen hoch. Aufopfern war wohl kaum der richtige Ausdruck. Ihrer Meinung nach ging es dabei hauptsächlich um Selbstbestätigung und jede Menge Testosteron. Aber sie hütete sich, das laut zu sagen. Gelangweilt drehte sie sich zu dem niedrigen Wohnzimmertisch um und beugte sich vor, um die Maniküreutensilien einzusammeln. Ihr kurzberocktes Hinterteil ragte in die Luft.

      „Wir könnten mal wieder schön essen gehen, nur wir beide. Ich hab da von einem neuen Restaurant gehört, ganz romantisch. Mit französischer Küche, die magst du doch so gern.“ Sie drückte provozierend das Kreuz durch. „Und den Nachtisch gibt es dann zu Hause.“

      Diesen Wink mit dem Zaunpfahl musste er einfach verstehen. Aber hinter ihr blieb es still. Sie drehte sich um. Das Zimmer war leer, Gerd saß vermutlich schon wieder in seinem Arbeitszimmer und spielte mit dem Handy herum.

      „Verdammt!“, schimpfte sie und gab dem Wohnzimmertisch einen deftigen Fußtritt. Der plötzliche Schmerz in ihren Zehen ließ ihr die Tränen in die Augen schießen. Sie schleuderte die rosa Pantoffeln von den Füßen und warf sich schluchzend auf die Couch, wobei es ihr tatsächlich gelang, die Finger mit dem noch feuchten Nagellack nach oben zu strecken.

      Es hatte nicht lange gedauert, bis aus dem redegewandten, witzigen und großzügigen Gerd ein ganz normaler Ehemann geworden war. Marlene war das unerklärlich. Sie tat alles, um ihr Äußeres makellos in Schuss zu halten und quälte sich durch Diäten und Gymnastikstunden, um nirgendwo auch nur ein Gramm anzusetzen. Auf der Straße drehten die Männer die Köpfe nach ihr, wenn sie an ihnen vorbeistöckelte. Nur bei Gerd hatte mit dem Trauschein offenbar eine Phase völliger Blindheit eingesetzt. Bei einer Frau wie Marlene war eine solche Ignoranz äußerst gefährlich.

      Ihr Schluchzen ebbte schnell ab und verwandelte sich in kalte Wut. Wenn er ihre Vorzüge nicht mehr zu schätzen wusste, dann musste sie sich eben anderswo Bestätigung suchen. Sie brauchte einfach eine stete Flut von Komplimenten, und lechzte nach dem Flirten wie eine Blüte nach Sonnenlicht. Und da gab es ja durchaus probate Mittel. Ein wenig Eifersucht hatte schon manchen Mann wieder auf Trab gebracht.

      3.

      Alfred war es wieder einmal langweilig. Mit der Fernbedienung in der Hand zappte er sich durch sämtliche Kanäle, die das Fernsehen zu bieten hatte. Es gab nur Schrott, und dafür zahlte er auch noch Gebühren! Er drückte genervt die Aus-Taste und stand auf.

      Ziellos schlenderte er hinaus auf die Terrasse und schaute sich um. Der große, fast parkähnliche Garten war in einem äußerst gepflegten Zustand. Der Rasen sah aus, als wäre er mit der Nagelschere geschnitten worden. Und in der Mitte prangte Alfreds ganzer Stolz, ein großer Teich, der von einem üppigen Pflanzengürtel eingefasst wurde. Im klaren Wasser schwammen ein paar herrlich gefärbte Koifische herum. Es war ein wahrhaftiges Idyll, und der Blick von der großzügig angelegten Terrasse bereitete ihm immer wieder große Freude. Auch das Haus, das er höchstpersönlich entworfen hatte, war ein Traum.

      Ja, Alfred hatte es geschafft, wie man so sagt. Er hatte vor vielen Jahren eine Baufirma aus dem Boden gestampft, mit der er ein Vermögen gemacht hatte. Fleiß und der richtige Riecher für lukrative Projekte, dazu das Quäntchen Glück, dass die Baubranche genau in dieser Zeit boomte, waren die Grundsteine für einen sorglosen Lebensabend gewesen.

      Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht, als er an die Zeit damals dachte. Knochenarbeit war es gewesen, und der Schweiß war in Strömen geflossen. Aber das erhebende Gefühl, etwas zu bewegen, war alle Strapazen wert gewesen. Und auch der Spaß war nie zu kurz gekommen. Das Feierabendbier hatte genauso dazu gehört wie die jährliche Betriebsfeier, bei der sie alle auf den Tischen getanzt hatten.

      Vor ein paar Jahren, gerade rechtzeitig bevor die Konjunktur einbrach, hatte er den größten Teil der Firma verkauft. Nur ein bescheidenes Gebäude und einen kleinen Fuhrpark hatte er behalten, mehr aus Gewohnheit und aus einem gewissen Spieltrieb heraus. Schon als kleiner Junge hatte er stundenlang Bauklötze aufeinander gestapelt und mit seinem kleinen Plastikbagger eifrig Sandberge aufgetürmt. Und im Grunde gab es auch heute nichts, was er lieber tat.

      Nun stand er da und schaute auf sein Eigentum, das so makellos durchgestylt war, dass ihm fast schlecht davon wurde. Immer noch stand er jeden Morgen um fünf Uhr auf, eine Gewohnheit, die