Rotraut Mielke

Herrengolf und andere Irrtümer


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ein. „Ist was mit deinem Horoskop?“

      Offenbar hatte sie da einen wunden Punkt berührt, denn Annelies Gesicht verdüsterte sich schlagartig.

      „Es liegt was in der Luft, etwas Ungutes. Die Zeichen mehren sich.“ Sie hatte die Augen verdreht, so dass fast nur noch das Weiße zu sehen war. Es sah gruselig aus, und Marion lief es kalt den Rücken herunter. Irgendwie war das ja nicht normal, sich in so etwas Idiotisches wie Astrologie dermaßen hinein zu steigern. Annelie war schon manchmal seltsam, und ihr Spleen schien schlimmer zu werden. Fast unmerklich schüttelte Marion den Kopf in Marlenes Richtung. Die Botschaft war klar, die Freundin konnte man heute nicht ernst nehmen.

      Aber Annelie hatte trotz ihrer sphärischen Abwesenheit den dezenten Hinweis mitbekommen. Schlagartig kam sie aus ihrem Sternenhimmel zurück. „Ich weiß, dass ihr euch lustig macht über mich. Aber das ist mir egal. Es ist alles vorherbestimmt im Leben. Ob ihr daran glaubt oder nicht, das macht keinen Unterschied. Wir sind alle nur Staubkörner, die im Universum herumgewirbelt werden.“

      Marlene prustete los, und selbst Marions schmerzhafter Tritt gegen das Schienbein unter dem Tisch konnte nicht verhindern, dass ihr Lachen immer schriller wurde. „Du glaubst das doch nicht wirklich, oder? Staubkörner im Universum, haha, das ist der Brüller.“

      Annelie lehnte sich beleidigt zurück. „Es kann jeder denken, was er will. Vielleicht glaubst du ja eher an Schminke und Haarverlängerung und siehst darin deine Bestimmung.“

      Marlenes Lachen erstarb. „Meine Haare sind echt“, giftete sie.

      Marion war erschüttert. Dass sich die sonst so friedliche Annelie direkt mit Marlene anlegte, war noch nie da gewesen. Humbug hin oder her, ganz offensichtlich steckte die Freundin in einer schweren Krise. Man musste ihr zur Seite stehen.

      „Was willst du denn machen gegen das Unheil?“, fragte sie todernst und legte ihr besorgt einen Arm um die Schulter, aber die wand sich aus der Umarmung sofort wieder heraus.

      „Lass mich in Ruhe. Du glaubst doch auch nicht daran.“ Sie verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und schob die Unterlippe vor.

      Marlene seufzte, das Kaffeetrinken war heute mal wieder anstrengend. Annelie mit ihrem Horoskop-Tick und Marion mit ihrer Vernissage, keine blieb bei dem Thema, das ihr so am Herzen lag. „Reißt euch ein bisschen zusammen und seid nicht so zickig!“, fauchte sie. „Schließlich müssen wir zusammenhalten, gerade jetzt, wo ‚das Unheil‘ vor der Tür steht.“ Dieses Mal schaffte sie es, das Wort ohne Lachanfall auszusprechen.

      Aber es war zu spät, Annelie war offensichtlich tief gekränkt. Sie griff zu ihrer Tasse, trank sie aus und fuchtelte gleichzeitig mit einer Hand in der Luft herum nach der Kellnerin. „Wenn sonst nichts mehr ist, ich muss jetzt los.“

      Schweigend ließen Marion und Marlene sie ziehen. Momentan kamen sie sowieso nicht weiter. Die Männer mussten genauestens beobachtet werden, soweit waren sie sich einig. Es wäre doch gelacht, wenn sie nicht in Kürze dahinter kamen, was da eigentlich vor sich ging.

      Nur weg hier! Annelie klemmte sich ihre Handtasche fest unter den Arm und rannte wie von Furien gehetzt los. Erst als sie um die nächste Ecke gebogen war, hielt sie an und rang keuchend nach Luft. Sie lehnte sich an eine Hauswand und kramte mit zittrigen Händen nach ihrem Handy. Die Vorboten drohenden Unheils hingen düster über ihr. Diese wirren Träume, die gefallene Josefa und dann auch noch die düsteren Prognosen in ‚Sterne im Juni‘, es war alles zu viel für ihre Nerven.

      Die Nummer war gespeichert, und sie drückte auf die Wähltaste. Nach kurzem Klingeln meldete sich eine dunkle, kratzige Stimme. „Hier spricht Madame Solange. Ihr Weg ist vorbestimmt. Wie kann ich Ihnen helfen?“

      Die kleinen Härchen in Annelies Nacken stellten sich auf wie immer, wenn sie Kontakt zu dieser Frau aufnahm. Sie räusperte sich. „Hallo, hier ist Annelie Pötz. Kann ich kurzfristig zu Ihnen kommen? Es ist wirklich sehr dringend.“ Sie brauchte schnellstens den erfahrenen Rat der Weisen Frau, die in die Tiefen des Schicksals zu schauen vermochte.

      ***

      Gerd lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. Marlene war weggegangen, das war eine gute Gelegenheit, um endlich einmal die Gesamtsituation in Ruhe und ohne Störungen zu durchdenken. Seine Zukunft lag vor ihm wie eine breite, sonnenbeschienene Straße, die ihn schnurstracks zum Ziel seiner Sehnsüchte bringen würde. Prestige, wirtschaftlicher Aufschwung, neue Arbeitsplätze für den Ort, es gab so viele Argumente, die er in die Waagschale werfen konnte. Eine kleine Hürde war allerdings noch zu nehmen: Er musste den Gemeinderat von seinem Projekt überzeugen. Aber angesichts der rosigen Aussichten war das natürlich reine Formsache. Er angelte nach einem Schreibblock und fing an, eine Liste möglicher Investoren zusammenzustellen. Und es gab noch mehr zu überdenken. Ein Pächter für das Clubhaus – ‚kein Italiener‘ notierte er und machte drei Ausrufezeichen dahinter. Da war schon eher die feine Küche angebracht. Hatte Marlene nicht neulich etwas von einem französischen Restaurant erzählt? Vielleicht sollte man das einmal unter die Lupe nehmen.

      Alfred zerrte den Stapel Notizzettel aus der überquellenden Schublade seines Nachttisches. Die Verläufe der achtzehn Bahnen standen im Wesentlichen fest, nun ging es an die Feinarbeit. Er brauchte umfassende Informationen über Grassorten, Unkrautvernichter, Drainage und Bepflanzung. Mit jedem Punkt, den er auf seine Liste setzte, wurde seine Stimmung besser. Da kam eine Menge Arbeit auf ihn zu. Er griff nach der Wasserflasche und nahm einen kräftigen Schluck.

      Es klingelte an der Haustür, das musste Walter sein. Er raffte seine Notizen zu einem Haufen zusammen und ging aufmachen.

      „Ist die Luft rein?“ Mit einer großen Mappe unter dem Arm spähte Walter vorsichtig in den Flur hinter Alfred. Der nickte. „Wenn die Frauen sich erst mal festgequatscht haben, dauert das.“

      Walter lächelte sanft. „Gönnen wir ihnen ihr Vergnügen.“

      Sie setzten sich am Esstisch zusammen, und Walter schlug die Mappe auf. Interessiert beugte sich Alfred über die Flurkarte, in der Walters Besitz eingezeichnet war. Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Alle Achtung! Ich hab gar nicht gewusst, dass das alles dir gehört. Auf dieser Fläche könntest du sogar zwei Golfplätze bauen“, meinte er anerkennend.

      Walter winkte verlegen ab, aber ein gewisser Stolz in seiner Stimme war unüberhörbar. „Ich bin ein einfacher Bauer, für mich zählt halt nur Grund und Boden. Aber was macht man damit, wenn man niemand zum Vererben hat? Die Verwandtschaft wird das verkauft haben, noch ehe ich unter der Erde bin. Wie die Geier werden sie darüber herfallen. Da mache ich doch lieber selbst was damit.“

      Alfred nickte. „Das seh‘ ich genauso. Meine zwei Söhne sollen sich gefälligst auch selbst was aufbauen. Wir haben ja schließlich alle bei Null angefangen.“ Er zückte einen roten Marker und ließ unternehmungslustig seine Augen über dem Plan schweifen. „Na, dann wollen wir mal sehen.“

      6.

      Von außen sah das Reihenhaus völlig unauffällig aus und unterschied sich in nichts von den Nachbarn rechts und links. Aber Annelie wusste nur zu genau, was sie hinter der Tür erwartete. Da war eine andere Welt, düster und aufregend zugleich, von der bestimmt kaum jemand etwas ahnte. Sie versuchte, sich zu wappnen und atmete ein paarmal tief ein und aus, bevor sie auf den Klingelknopf drückte. Es war ein unerhörter Glücksfall, dass sie sofort einen Termin bekommen hatte. Normalerweise dauerte es lange, bis Madame Solange eine Audienz gewährte.

      Endlich öffnete sich die Tür. Obwohl es bereits das dritte Mal war, dass Annelie hierher kam, konnte sie ihr Erschrecken wieder einmal nicht verbergen. Die Seherin war eine Frau unbestimmten Alters und, soweit man überhaupt etwas von ihr erkennen konnte, klein und dürr wie ein Stecken. Ihre Vogelknochen stachen überall heraus und gaben ihr fast das Aussehen einer vertrockneten Mumie. Von Kopf bis Fuß war sie in eine Art schwarzen Kaftan gehüllt, dessen große Kapuze nur wenig von ihrem Gesicht frei gab. Annelie erhaschte einen kurzen Blick auf eine hakig gebogene Nase, die aussah wie ein Geierschnabel, und tief liegende, pechschwarze Augen. Finger