Rotraut Mielke

Herrengolf und andere Irrtümer


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sie zum wiederholten Mal ihre Skizzen und Bilder durch. Konnte sie es wagen, eines oder zwei davon mitzunehmen, um aus dem Mund des Fachmannes ein Urteil darüber zu hören? Gedankenverloren griff sie zur Wasserflasche und schenkte sich nach. Dann breitete sie einige Blätter auf dem Tisch aus und tippte mit dem Zeigefinger nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. Es waren sicher keine Meisterwerke, das war ihr klar. Aber der Leiter des Volkshochschulkurses, bei dem sie vor einigen Jahren mit dem Malen angefangen hatte, war von ihrem Talent überzeugt gewesen. Regelrecht bedrängt hatte er sie, noch zwei weitere Kurse bei ihm zu belegen.

      „Für den Hausgebrauch reicht es“, wehrte sie stets bescheiden ab, wenn man auf ihre große Leidenschaft zu sprechen kam. Aber sie machte eindeutig Fortschritte, wie sie sich selbst bescheinigte. Allerdings wusste man nie, wie ein wirklicher Fachmann, ein großer Künstler, ihre Werke beurteilen würde. Alfred betrachtete ihre Kleckserei, so nannte er das, als reine Beschäftigungstherapie. Vielleicht würde er noch Augen machen, wenn sie eines Tages ganz groß rauskam.

      Mit einem Schlag fiel die Haustür ins Schloss, und Marion schreckte hoch. Du meine Güte, Alfred war schon zurück. Sie wollte sich in die Küche schleichen, aber ihr Mann hatte sich breitbeinig im Flur aufgebaut und versperrte ihr den Weg.

      „Was ist denn hier los, Weib?“, donnerte er los. „Wo ist das Essen? Mein Bier steht auch noch nicht da.“ Er schaute sie streng an. „Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht?“

      Sie musste innerlich grinsen. Alfred liebte seine kleinen Auftritte, und auch ihr machte es Spaß, ab und zu ein bisschen Theater zu spielen. Heute war er wohl auf die Krawallnummer aus und gab den Macho. Nun, da hatte sie so ihre Methoden, um ihm ganz schnell den Wind aus den Segeln nehmen.

      „Mein großer Brummbär hat wohl schlechte Laune. Hast du mal wieder ein paar Golfbälle verloren?“ Sie tätschelte ihm liebevoll die Wange.

      Seine grimmige Miene zerfloss in purem Wohlbehagen. „Nö, ganz im Gegenteil. Ich war heute richtig gut. Besser als Walter. Und Gerd hab ich auch in die Tasche gesteckt.“

      „Ihr benehmt euch immer noch wie Schulbuben, die sich um ein paar Klicker streiten.“

      Jetzt grinste er spitzbübisch. „Klar! Das ist die Würze unseres Lebens. Das brauchen wir einfach. Schließlich kenne ich Gerd und Walter sogar schon länger als dich.“

      „Ja, und eigentlich könnt ihr auch gar nicht ohne einander. Aber das würde keiner zugeben, stimmt’s?“

      Er drückte sie kurz an sich und gab ihr einen Schmatzer. „Durchschaut! Gut, dass du mir immer sagst, wo es lang geht.“

      Lachend machte sie sich los und ging in die angrenzende Küche. „Bier kommt sofort!“

      Er setzte sich an den Tisch. „Aber mal ganz im Ernst: Was hast du heute Schönes gemacht, während ich weg war?“

      Marion schwebte mit einem vollen Bierglas heran. „Im Haus ist immer was zu tun, das weißt du doch.“ Sie verschwand wieder, um das Essen zu holen.

      Der erste Schluck war immer der beste, Alfred grunzte vor Behagen. Auch das Gulasch, das ein paar Minuten später vor ihm stand, roch köstlich. Er griff zu Messer und Gabel und nickte ihr zu. „Lass es dir schmecken.“

      „Du dir auch.“

      In ungewöhnlicher Eile schlang Marion das Essen hinunter. Es drängte sie, mit ihrem Mann über die Ausstellung zu reden, aber sie war klug genug, damit zu warten, bis er satt und zufrieden war.

      „Fast hätte ich heute wirklich die Kocherei vergessen“, gestand sie, während sie den Verdauungsschnaps einschenkte. „Ich war so mit der Ausstellung beschäftigt, dass ich gar nicht auf die Uhr gesehen habe.“

      Alfred schaute irritiert hoch. „Ausstellung?“

      „Ich hab dir doch davon erzählt. Die Galerie am Marktplatz. Franz von Herschede wird kommen. Am Sonntag. Und wir sind zum Sektempfang eingeladen, das weißt du doch noch. Was zieht man zu so einer Vernissage eigentlich an? Es ist ja Vormittag, was Langes ist da wohl eher nicht angebracht… “

      Ihr Redefluss schwappte über ihn hinweg, er hatte die Schotten dicht gemacht. Immerhin bekam er mit, dass er sich am heiligen Sonntag aus seiner Ruhe erheben sollte, um zu irgendeiner Ausstellung zu gehen. Womöglich auch noch in Anzug und Schlips. Marions Hobby in allen Ehren, aber das ging denn doch zu weit.

      „Geh allein. Du weißt doch, so was interessiert mich nicht“, kam es knapp.

      Marion wusste Bescheid. Es hatte jetzt keinen Sinn, weiter zu diskutieren. Wortlos stand sie auf, um den Tisch abzuräumen.

      Es erstaunte Alfred ein wenig, dass sie nicht weiter versuchte, ihn zum Mitkommen zu überreden. Aber das würde bestimmt noch kommen, sie hatte da so einen siebten Sinn, den richtigen Moment abzupassen. Aber dieses Mal würde er eisern bleiben, so viel stand fest. Malerei, überhaut die sogenannte Kunst, es gab kaum etwas, das ihn weniger interessierte. Er stand auf und ging mit schleppenden Schritten die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Nach der anstrengenden Golfrunde und dem deftigen Essen war es höchste Zeit für seinen Mittagsschlaf.

      ***

      Wie immer verzog sich Walter nach dem Essen auf die Couch zu einem Nickerchen. Er hörte Annelie in der Küche mit dem Geschirr klappern, ein vertrautes, behagliches Geräusch. Mit geschlossenen Augen ließ er die heutige Golfrunde noch einmal revuepassieren. Der verlorene Ball ärgerte ihn sehr. In letzter Zeit war es nicht mehr sehr oft vorgekommen, dass er einen Ballverlust einstecken musste. Aber in diesem verflixten, hohen Gras hatte man kaum eine Chance, da konnte man so lange suchen wie man wollte. Wenn er es recht bedachte, war der Golfplatz alles andere als gepflegt. Wenn er da an die tollen Fairways dachte, die er im Fernsehen sah, die sahen aus wie geleckt. Dort war es fast ein Ding der Unmöglichkeit, einen Ball zu verlieren. „Elender Schlampladen“, murmelte er vor sich hin, bevor er einschlief.

      Mit einer Illustrierten und einer Kaffeetasse bewaffnet schlich Annelie zu ihrem Lehnstuhl. Sie wollte ihren Mann nicht wecken. Aber ihre Vorsicht war überflüssig, denn es hätte schon einer massiven Störung bedurft, dass das passierte. Wenn er schlief, dann schlief er, selbst wenn das ganze Haus über ihm zusammenbrach.

      Sie betrachtete ihn liebevoll. Sein gebräuntes und mit Altersflecken gesprenkeltes Gesicht zeigte deutliche Spuren des harten Lebens, das die Landwirtschaft mit sich brachte. Sie hatten gut daran getan, vor einigen Jahren ihr Arbeitspensum zurückzufahren. Mittlerweile lag ein Großteil der Felder brach und brachte trotzdem gutes Geld. Die Subventionen vom Staat waren nicht zu verachten.

      „Geld bekommen für nichts, wo soll das nur hinführen?“, hatte Walter zunächst geschimpft, aber dann hatte er es sich doch anders überlegt. Er spürte das Alter in seinen Knochen und war froh, dass er nicht mehr jeden Tag in aller Herrgottsfrühe mit dem Trecker hinausfahren musste.

      Was sollte auch die ganze Plackerei, sinnierte Annelie weiter. Sie hatten keine Kinder, denen sie ihren Besitz vermachen konnten. Wenn wir nicht mehr sind, geht sowieso alles zum Teufel. Nein, es war schon gut, dass Walter langsamer machte. Sein schwaches Herz brauchte dringend Schonung, hatte der Arzt gesagt.

      Dass er mit dem Golfen angefangen hatte betrachtete sie als Glücksfall. Er kam an die Luft, hatte nette Gesellschaft und immer etwas zu erzählen. Sie trank einen Schluck Kaffee und schlug dann erwartungsvoll die Zeitschrift auf. ‚Ihre Sterne im Juni‘, darauf hatte sie sich schon den ganzen Vormittag gefreut.

      Gerade hatte sie es sich in ihrem Lehnstuhl bequem gemacht, als es einen lauten Schlag tat. Sie fuhr zusammen, und Walters leises Schnarchen hörte abrupt auf. Beide sahen sofort, was passiert war: Das Bild von Oma Josefa war von seinem Haken gerutscht und heruntergefallen.

      „Jesus und Maria, die Josefa poltert“, jammerte Annelie und schlug entsetzt die Hände vors Gesicht.

      Walter verdrehte die Augen. „Nicht schon wieder“, murmelte er leise, aber da legte Annelie auch schon los.

      „Wenn die Josefa unruhig ist, passiert was, das weißt du doch auch. Das letzte Mal ist meine Cousine verunglückt.“ Sie stand auf und