Rotraut Mielke

Herrengolf und andere Irrtümer


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      Er schnappte sich eines der Hochglanzmagazine, die zum Lesen auslagen, und blätterte lustlos darin herum. Im Mittelpunkt standen die Fotos des letzten Masters-Turniers mit strahlenden Profis in Siegerpose. Und ein paar Promis, die erstaunlicherweise alle einstellige Handicaps hatten, eröffneten feierlich einen neuen Golfplatz, bereits den vierzehnten der Firma ‚Golf Unlimited‘, wie der rotgesichtige Firmensprecher stolz verkündete. Gelangweilt legte Gerd das Magazin auf ein Tischchen zurück. Es stand nicht wirklich etwas Interessantes darin.

      Alfred setzte sich auf die Bank vor dem Clubhaus. „Schade um das Benzin, das wir verfahren haben.“ Seine Augen schweiften über den Golfplatz und hefteten sich kurz darauf auf die beiden Damen, die inzwischen den Hügel der Bahn Eins erklommen hatten. „Na, das Gelbe vom Ei ist das auch nicht, was die da zusammenspielen“, bemerkte er mit unverhohlener Schadenfreude.

      Die Spielerinnen eilten mit gesenkten Köpfen auf dem Fairway hin und her, offensichtlich auf der Suche nach einem Ball.

      „Sag ich doch: Der Platz ist einfach ungepflegt. Hier findet man keinen Ball wieder.“ Gedankenverloren lehnte sich Walter zurück. „So etwas hätten wir uns früher nie erlauben dürfen. Pfusch und Nachlässigkeit, das gab’s nicht. Da hätten wir gleich einpacken können. Aber heute sieht man das ja alles nicht mehr so eng.“

      Gerd nickte heftig. „Genauso ist es. Daran krankt unsere Gesellschaft, dass jeder nur an sich selbst denkt. Aber wir sind ja selbst schuld. Wir haben eine Generation von Egoisten groß gezogen. Denen wurde alles zu leicht gemacht, da fehlt der Charakter, die innere Härte. Verhätschelt sind die und maßlos verzogen. Keiner ist mehr bereit, Verantwortung für irgendetwas zu übernehmen. Wenn sich das nicht schnellstens ändert, geht alles den Bach runter.“

      Er schaute sich Beifall heischend um, aber Walter beäugte weiterhin fasziniert das Golfspiel der Damen, und Alfred war wie so oft geistig abwesend.

      „Was machen wir denn jetzt?“ Nervös spielte Gerd mit seinem Handy.

      Die beiden Damen waren in einer Bodenwelle verschwunden, und Walter drehte sich zu seinen Kumpels um. „Heimfahren, was sonst?“ Er zuckte mit den Schultern.

      Aber keiner bewegte sich von der Stelle.

      „Mir war langweilig“, sagte Alfred plötzlich in die Stille hinein.

      „Dir ist doch immer langweilig.“ Gerd hatte keine Lust auf die Jammerarie, die jetzt wohl mal wieder fällig war.

      „Du hörst nicht zu. Das ist auch so eine neumodische Krankheit, dass keiner richtig zuhört. Ich hab gesagt: Mir war langweilig.“

      „Und dann hast du in der Nase gebohrt und dir den Finger verstaucht.“ Gerds Stimme troff vor Ironie.

      „Wenn es euch nicht interessiert…“ Beleidigt wandte sich Alfred ab.

      „Nun erzähl schon“, gab Walter ihm endlich das erhoffte Stichwort.

      „Und dann hab ich angefangen, ein bisschen Erde zu schieben.“ Alfreds Augen funkelten plötzlich.

      „Haste wieder mal mit dem Bagger im Sandkasten gespielt?“ Gelangweilt schaute Gerd auf das Display seines Handys.

      „Ich hab einen ziemlich großen Bagger, wie du weißt.“ Alfred ließ sich nicht beirren.

      „Ja und?“, hakte Walter nach. Besser, man brachte es hinter sich. Der Lange hatte manchmal völlig abgedrehte Ideen, vielleicht konnte er etwas zur allgemeinen Aufheiterung beitragen.

      Alfred drehte seinen Kopf demonstrativ in Richtung Driving Range und grinste.

      Gerd und Walter starrten ihn verständnislos an.

      „Hast du nervöse Zuckungen?“ Genervt klappte Gerd sein Handy zu.

      Wieder diese ruckartige Kopfdrehung, und endlich schwante Walter etwas.

      „Die Driving Range?“, fragte er gedehnt.

      Alfred nickte heftig.

      Jetzt fiel der Groschen. „Du baggerst doch nicht etwa an einer Driving Range?“ Walter schaute ihn entgeistert an.

      Alfred strahlte wie ein kleiner Junge.

      Auch Gerd durchzuckte es jetzt. „Im Ernst? Du baust wirklich eine Driving Range?“

      „Nein, aber eine Spielbahn. Es ist natürlich erst der Anfang. Ich hab das Feld hinten am Ortsausgang ein bisschen eingeebnet. Und eine erhöhte Plattform gebaut, so was wie einen Abschlag.“

      „Ist das nicht Walters Acker?“ Plötzlich war Gerd sehr interessiert. Er stieß Walter seinen Ellenbogen in die Rippen. „Komm, das schauen wir uns an.“

      4.

      Eine knappe Stunde später standen die drei Freunde am Ort des Geschehens. Es war nicht wirklich viel zu sehen, aber mit etwas Fantasie konnte man sich durchaus einen passablen Abschlag vorstellen.

      Walter staunte. „Wann hast du das denn alles gemacht?“

      „Gestern Mittag.“ Alfred gab sich bescheiden. „Das war keine große Sache.“

      „Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte Gerd, dessen Augen flink über das Areal huschten. Er wusste nicht genau, wo Walters Besitz endete, aber soweit er blicken konnte, war alles mit Brachland bedeckt, das vermutlich dem Freund gehörte.

      Alfred zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Mir war nur so langweilig, und da habe ich halt mal was gemacht.“

      In Gerd baute sich allmählich eine Erregung auf, die sich durch hektisches Hin- und Herlaufen Luft verschaffen musste. Er warf einen Blick auf Walter, der es sich auf einem großen Feldstein gemütlich gemacht hatte und einer Lerche nachschaute, die hoch in der Luft unermüdlich zwitscherte und sang. Diese zwei Schlafmützen! War sich denn keiner der Bedeutung dieses Moments bewusst? Genau jetzt, in diesem historischen Moment, wurde die Idee zu etwas ganz Großem geboren. Visionsartig schoss ihm durch den Kopf, was das alles nach sich ziehen konnte: Neue Arbeitsplätze, Prestige, Umsätze, Steuerzuwachs – es war einfach gigantisch. Es haute ihn fast um, als er am Ende seiner Gedankenkette angelangt war. Das hier war eindeutig der Weg zum Bürgermeisteramt, der Schlüssel zum Rathaus.

      „Wisst ihr eigentlich, was ihr hier seht?“, flüsterte er mit vor Aufregung heiserer Stimme.

      „Eine ziemliche Sauerei, würde ich sagen. Schau dir nur mal den Schlamm an“, kommentierte Walter trocken.

      „Oh nein! Ihr seht genau hier die Anfänge des Golfplatzes Gelnhausen.“

      Zwei Köpfe ruckten herum.

      Nach einer Schrecksekunde fing Alfred an zu lachen. „Du spinnst doch.“

      Walter ließ sich mehr Zeit, um über Gerds Satz nachzudenken. „Wieviel Platz braucht man eigentlich für einen Golfplatz? Und was könnte so was kosten?“

      Ausgerechnet Walter, der sonst manchmal eher langsam im Denken war, hatte es voll erfasst. Begeistert klopfte Gerd ihm auf den Rücken. „Das werden wir alles noch herausfinden. Stellt euch das doch nur mal vor: Keine langen Anfahrten mehr. Keine arroganten Tussis im Clubhaus, die unsere Tee Time verbummeln.“ Er lachte fröhlich. „Uns gehört dann schließlich der Platz, und wir können spielen, wann immer wir wollen.“

      Er sah es schon vor sich, wie die Leute respektvoll zur Seite wichen und Spalier standen, wenn er und seine Jungs zum ersten Abschlag marschierten. Das Clubhaus würde direkt neben der Driving Range liegen. Gute, deutsche Küche würde es geben, nicht so einen italienischer Fraß, wie es ihn heutzutage fast nur noch gab. Eine weitläufige Terrasse, von der aus man den halben Platz überblicken konnte, musste natürlich auch her. Dieser Golfplatz würde die gesamte Region aufwerten, etwas vom Feinsten sein. Und das direkt vor den Toren Frankfurts. Begeistert von seiner brillanten Idee reckte er die Arme in die Luft. Das alles war seinem genialen Geist entsprungen.

      „Du