Rotraut Mielke

Herrengolf und andere Irrtümer


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die unauslöschlichen Spuren harter Arbeit zeigten. Sie lechzten förmlich danach, wieder einmal kräftig zuzupacken. Das einzige Highlight seiner meist recht ereignislosen Woche waren die Golftermine. Dienstags und donnerstags wusste er zumindest, wofür er aufstand. Er stöhnte leise. So hatte er sich den Wohlstand nicht vorgestellt.

      Marion kam irgendwie besser damit zurecht, das musste er zugeben. Sie beschäftigte sich immer mit irgendwas, allerdings meistens mit Sachen, die ihn nicht interessierten. Die Kleckserei zum Beispiel war ihr neuestes Steckenpferd. Sie kniete sich da richtig hinein, und er stand neidisch daneben, die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten geballt. Er brauchte dringend wieder eine richtige Aufgabe, sonst würde er durchdrehen. Aber was?

      Er drehte sich um und ging wieder ins Wohnzimmer zurück. Im Haus war es totenstill, es kam ihm vor wie ein Mausoleum. Mein Gott, er war doch nicht schon tot und hatte es womöglich gar nicht mitgekriegt? Aber nein, er stand ja noch in der Blüte seiner Jahre. Allerdings knackste und knirschte es hörbar in den Gelenken, als er sich jetzt dehnte und die Arme nach oben streckte.

      Mit einem Klick stellte er wieder den Fernseher an. Vielleicht gab es ja wenigstens auf dem Sportkanal ein Golfturnier. Von den Profis konnte man sich das eine oder andere abgucken. Zumindest ging dabei die Zeit herum. Er setzte sich in seinen Ledersessel. Aber dort hielt es ihn nicht lang. Er sprang auf und tigerte wieder hinaus auf die Terrasse. Irgendetwas musste es doch zu tun geben, das ihn interessierte. Er starrte auf den Garten und sinnierte vor sich hin.

      ***

      „Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ Mit zorngerötetem Gesicht stürmte Gerd aus dem Sekretariat des Golfplatzes. Um ein Haar hätte er Walter über den Haufen gerannt, der gerade mit seinem Golfwägelchen über den Vorplatz geschlendert kam.

      „Hey, was ist denn mit dir los?“, fragte der gut gelaunt.

      „Du kannst gleich wieder kehrt machen. Die haben unsere Tee Time vergessen.“

      Walter schaute ihn ungläubig an. „Kann nicht sein.“

      „Doch, ist aber“, brauste Gerd sofort auf. „Die behaupten glatt, dass wir uns nicht angemeldet haben.“

      Walter überlegte. „Alfred hat das letzte Woche übernommen, da bin ich ganz sicher. Er hat sein Golfbag im Auto verstaut, und dann ist er extra noch einmal ins Sekretariat zurückgegangen.“

      Gerd schaute auf seine Armbanduhr. „Wo steckt der überhaupt? Wir haben in zehn Minuten Abschlag. Also – wenn wir eine Tee Time hätten, hätten wir in zehn Minuten Abschlag“ korrigierte er.

      Wie aufs Stichwort bog Alfreds grauer Kombi auf den Parkplatz ein.

      „Wann können wir denn nun los?“, fragte Walter. „Ich will heute nicht so spät heimkommen.“

      Gerd warf ihm einen höhnischen Blick zu. „Du wirst sogar sehr früh wieder zu Hause sein. Es geht nämlich gar nichts, alles belegt.“

      „Ach nö!“

      „Eine Dreiviertelstunde gefahren, und alles für die Katz“, schimpfte Gerd und kam nun erst richtig in Fahrt.

      Zwischenzeitlich hatte Alfred sein Auto geparkt und machte sich am Kofferraum zu schaffen.

      „Hallo!“, brüllte Gerd zu ihm hinüber. „Du brauchst gar nicht erst auszupacken.“ Aufgebracht fuchtelte er mit den Händen in der Luft herum.

      Alfred schaute hoch. „Was ist los?“

      „Der braucht dringend ein Hörgerät“, murmelte Gerd und machte sich auf den Weg zu ihm.

      Walter schaute frustriert auf seinen Golfwagen, das er vor dem Sekretariat abgestellt hatte. Er hatte sich sehr auf die heutige Runde gefreut. Und außerdem wollte er Ben auf den Zahn fühlen, der vor zwei Tagen so auffallend schweigsam gewesen war. Der ließ sich aber heute nicht blicken. Walter beschloss, selbst bei den Damen des Golfplatzes nachzufragen, was eigentlich los war. Schwungvoll stieß er die Tür auf und betrat gesetzten Schrittes das Sekretariat.

      Die Dame hinter dem Empfangstresen schaute hoch und setzte sofort eine abweisende Miene auf.

      „Guten Morgen“, grüßte Walter artig, aber dann war es auch schon vorbei mit seiner Selbstbeherrschung. „Wir haben keine Tee Time heute, ist das richtig?“, fragte er mit vor Entrüstung bebender Stimme.

      „Ich kann es nicht ändern, Ihre Tee Time ist gestern Nachmittag telefonisch storniert worden. Hier steht es.“ Sie zeigte auf den Monitor ihres Computers, von dem Walter allerdings nur die Rückseite sehen konnte.

      „Das muss ein Irrtum sein. Wir spielen jeden Dienstag und Donnerstag um dieselbe Zeit. Das wissen Sie doch.“ Walter pflanzte seine stämmigen Beine in den Boden, gewillt, nicht ohne einen positiven Bescheid wieder abzuziehen.

      „Tja.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Daraus wird wohl heute nichts werden. Der Platz ist voll gebucht.“

      Alfred brauchte einen Moment, um die schlechte Nachricht zu begreifen. „Kein Golf?“, fragte er und starrte Gerd mit offenem Mund an.

      Der schüttelte den Kopf. „Wir sind völlig umsonst hergefahren. Es ist eine Frechheit. Und das ist ja nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Letzten Monat hatten wir genau das gleiche. Eine Stunde haben wir blöd herumgesessen, bis wir endlich starten konnten.“

      Alfred kratzte sich am Kopf. „Dann brauch ich auch nicht auszupacken“, folgerte er scharfsinnig und knallte die Kofferraumtür zu.

      „So geht das nicht“, schimpfte Gerd wieder los. „Das werden wir jetzt ein für alle Mal klären.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und stapfte zurück zum Clubhaus. Alfred blinzelte sein Auto zu und folgte ihm.

      Aber auch die geballte Männerpower, die sich vor dem Empfangstresen aufbaute, konnte nichts an der Situation ändern. Stocksauer mussten die drei zusehen, wie sich zwei wildfremde Damen zu ‚ihrer‘ Tee Time am Abschlag Eins spielbereit machten.

      „Das ist ein absoluter Chaosladen. Wir zahlen schließlich gutes Geld für unsere Mitgliedschaft. So könnt ihr uns doch nicht behandeln.“ Wie immer war Gerd der Wortführer, und im Eifer des Gefechts war er zum vertraulichen ‚Du‘ übergegangen.

      „Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen: Ihre Buchung wurde gestern telefonisch storniert.“ Die Dame wurde jetzt patzig.

      „Der Platz ist sowieso völlig verwahrlost. Vorgestern habe ich einen Ball verloren, mitten auf dem Fairway von der Sieben. Das kann doch nicht sein. Wir haben alle gesehen, wo er gelandet ist. Und dann war er nicht mehr auffindbar.“ Die nun schon zwei Tage lang schwelende Empörung machte sich bei Walter endlich Luft.

      Die Dame lächelte süffisant. „Da haben Sie wohl doch ins Rough geschlagen. Dafür können Sie kaum den Golfplatz verantwortlich machen.“

      Walter verschlug es angesichts einer solchen Unverschämtheit kurzfristig die Sprache.

      Gerd hatte endlich Zwei und Zwei zusammengezählt. „Wahrscheinlich ist Ben was dazwischengekommen, und er hat seine Startzeit abgesagt. Und ihr habt dann kurzerhand den ganzen Flight storniert.“ Da Ben immer noch nicht aufgetaucht war, sprach viel dafür, dass es sich genau so abgespielt haben musste.

      „Dann müsst ihr halt sehen, wo ihr uns dazwischenschiebt. Das ist schließlich nicht unsere Schuld“, wetterte nun auch Alfred los.

      Die Dame starrte verbissen auf ihren Monitor.

      „Was ist jetzt?“, raunzte Gerd sie an, aber da fuhr sie auf wie eine Klapperschlange.

      „Ich kann mir doch keine Tee Time aus den Rippen leiern. Wenn alles belegt ist, dann ist das eben so. Dann müssen Sie halt an einem anderen Tag wiederkommen.“

      Dagegen war nicht anzukommen. Die drei Herren buchten ihre Abschlagzeiten für die kommende Woche und verzogen sich dann nach draußen. Wie verlorene Kinder standen sie da und wussten nicht, was sie jetzt machen sollten. Zur Beruhigung steckte