Till Angersbrecht

Wien!


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Begegnungen weder verfälschen noch unterschlagen. Liesl wird in dieser Chronik noch eine unerwartete Rolle spielen!

      Anfangs habe ich noch protestiert. Für einen Mann scheint mir diese Stellung denn doch nicht die ursprüngliche zu sein. Ich will nicht sagen: die gottgewollte - über dieses wichtige Thema lässt sich die Bibel leider nicht aus, obwohl sie sich doch ansonsten weitschweifig über jeden noch so trivialen Gegenstand verbreitet.

      Zu Anfang unserer Beziehung hatte ich noch vorsichtig angedeutet, dass die normale Art des Verkehrs doch auch nicht ganz reizlos sei. Könnten wir nicht auch einmal ...

      Ich kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn Liesl wies mich sogleich mit einem Fauchen zurecht.

      Du bist ein furchtbarer Egoist! Ihr Patriarchen habt zehntausend Jahre immer die Oberhand gehabt. Jetzt ist unsere Zeit gekommen, jetzt sind wir an der Reihe!

      Sie sagte das mit einer Bestimmtheit, die jeden Widerspruch meinerseits von vornherein nicht nur ausschloss, sondern für null und nichtig erklärte. In der ersten Zeit hielt ich sie deshalb für eine ideologisch getrimmte Feministin, blind gegen alle Männerwünsche, vielleicht sogar durch eine beharrliche Lektüre von Alice Schwarzers männermordendem Journal auf diese Bahn geleitet. Aber ich irrte mich, von Alice Schwarzer hatte sie nie etwas gehört, und Feministinnen – mit denen hatte sie schon gar nichts am Hut. Für sie sind das Intellektuelle - ein Begriff, der sich in ihrem Munde wie ein Schimpfwort anhört.

      Freimütig muss ich deshalb bekennen, bis heute über den Ursprung ihrer amazonischen Neigungen nicht wirklich Bescheid zu wissen. Nach anfänglichem Widerstand gab ich es auf, mit ihr über die Prozeduren des Liebesaktes zu streiten, stattdessen spielte ich bei jedem meiner Besuche brav die Rolle des zugerittenen Pferdes. Mit der Zeit stellte sich bei mir sogar eine gewisse masochistische Zustimmung ein. Die equestrische Stellung, so sagte ich mir, verweise doch letztlich auf einen höheren Zusammenhang von sozusagen weltgeschichtlicher Art. Während sie Amazone spielt, leiste ich die längst fällige Buße für die gesammelten Sünden all unserer patriarchalischen Ahnen, dieses wirklich furchtbaren Packs frauenverachtender Machos.

      Den weltgeschichtlichen Zusammenhang halte ich mir seitdem bei jeder unserer Begegnungen vor Augen. Ich gebe zu, dass ich aus dieser Einsicht sogar eine gewisse moralische Genugtuung beziehe. Sie hilft mir bis zu einem gewissen Grade darüber hinweg, dass ich für Liesl doch letztlich nur ein Pferd auf zwei Beinen bin.

      Während ich diese Sätze lange nach unserem Zusammentreffen in meiner Chronik verzeichne, muss ich mir von Seiten des Lesers natürlich eine peinliche Frage gefallen lassen: Warum ich ihn denn überhaupt mit solchen Privatheiten überfalle?

      Nein, ich will hier keine Bettgeschichten auftischen, um mir damit den Zuspruch jener Durchschnittsmenschen zu erkaufen, die nur dann zu einem Buche greifen, wenn dieses ihr Bedürfnis nach erotischen Schwelgereien befriedigt.

      An solche Leser wende ich mich nicht. Von solchen Lesern will ich nichts wissen. Wenn du dazu gehörst, dann leg diese Zeilen bitte sofort aus der Hand. Wir beiden haben nichts miteinander gemein.

      Nein, der wahre Grund, warum ich hier das Privateste zwischen mir und Liesl ausbreite, ist ein ganz anderer, den ich an dieser Stelle aber nur andeuten kann, weil er dem Geschehen so weit vorweggreift. Du musst nämlich Liesl, und zwar die Liesl, wie ich sie gerade beschreibe, erst einmal kennenlernen, um das Wunder zu begreifen, das später mit ihr geschieht. Später wird sie – wer hätte das aufgrund des zuvor Erzählten ahnen oder gar voraussehen können? – zu einer Art von Heiligen werden!

      Zwei Araber am Gürtel

      Dich, unsichtbarer Leser, zu dem ich jetzt eine Art von Zwiegespräch unterhalte, stelle ich mir gern als wissbegierigen Menschen vor. Ich weiß deshalb, dass du über die Sexszene zwischen Liesl und mir ganz schnell und, wie ich hoffe, auch duldsam hinweggehen wirst. Es sind nun einmal Fakten, die wir in einer Chronik zu berücksichtigen haben, aber wirklich interessiert bist Du an der Klärung einer ganz anderen Frage.

      Du fragst mich irritiert, wie ich, ein Mann der Feder und des Geistes, es denn überhaupt mit einer solchen Frau aushalten könne, die doch von Geist keine Ahnung besitzt und sie nicht einmal besitzen möchte? Und was bindet denn umgekehrt sie an dich, wirst du weiterhin fragen, da sie doch keine deiner geistigen Interessen mit Dir teilt?

      Um ehrlich zu sein, halte ich auf diese Grundfrage unserer Beziehung bis heute keine befriedigende Antwort bereit. Über derartige Dinge ist zwischen uns nie geredet worden.

      Oder vielleicht doch, jedenfalls ein einsames, einziges Mal? Ich kann mich dunkel erinnern, dass sie einmal - in ihren Amazonenritt eine abrupte Pause einlegend - die besondere Zartheit und Eleganz meiner Ohrläppchen rühmte. Solche scheinbaren Kleinigkeiten darf man nicht einfach mit spöttischem Lächeln abtun. In Liebesdingen können sie eine erstaunliche Rolle spielen. Dennoch bin ich der Ansicht, dass sie eine Beziehung nicht wirklich erklären oder gar rechtfertigen können. Tatsache bleibt, dass dieser Punkt zwischen uns nie wirklich geklärt worden ist.

      Dabei ist Liesl keineswegs schweigsam oder gar dumm. Wenn sie redet, ich meine aus eigenem Antrieb redet, dann purzeln und sprudeln die Worte wie ein Sturzbach aus ihrem Mund. Man tut gut daran, sie dabei gewähren zu lassen. Überhaupt beginnt der entspannte und entspannende Teil unseres Treffens erst nach unserem gemeinsamen Parforceritt. Sie hat zuvor allerlei Gebäck eingekauft und versteht es, einen hervorragenden Espresso aufzutischen. Vielleicht liegt in diesem wunderbaren Getränk der eigentliche Grund für unsere Beziehung und deren schon beinahe einjährige Dauer. Ihren Espresso goutiere ich nämlich wie eine himmlische Offenbarung aus einer höheren Welt.

      An dieser Stelle möchte ich etwas sagen, was manchem gewiss als Nestbeschmutzung erscheint und doch in aller Offenheit gesagt werden muss. Bei uns in Deutschland schmeckt der Kaffee bekanntlich so, wie man ihn ausspricht, nämlich mit Betonung auf der ersten Silbe. Das heißt, er schmeckt verdächtig nach bräunlichem Abwaschwasser, sofern ihn nicht die besten Restaurants servieren. Die Wiener hingegen hatten das zweimalige Glück, von den Türken belagert zu werden. Bei jeder Belagerung wurde die heimische Zubereitung dieses wundersamen Getränks etwas besser, denn zusammen mit den Geschossen und Flüchen der Ungläubigen drang eben auch der verführerische Duft des Kaffees über die Mauern (Kaffee selbstverständlich auf der zweiten Silbe betont).

      Vielleicht liegt die Zeit nicht mehr fern, da Wien diesen Vorsprung verlieren wird. Hinter vorgehaltener Hand wird nämlich gemunkelt, dass die türkische Einwanderung nördlich der Alpen einem ganz anderen als jenem Zweck dient, den man nach außen hin proklamiert: also der Befriedigung eines ehemals großen Bedarfs an Arbeitskräften. In Wahrheit sei dies eine List des Schicksal gewesen, um Deutschland endlich an die Segnungen eines richtig zubereiteten Kaffees zu gewöhnen: heiß wie die Hölle, schwarz wie der Teufel, rein wie ein Engel und süß wie die Liebe.

      Gut, dazu soll und mag sich jeder seine eigene Meinung bilden. Hier ist nur festzuhalten, dass Liesl den Kaffee auf meisterliche Weise zuzubereiten versteht. Deshalb schmecken mir selbst die vielen Beilagen, ich meine all die harmlosen Geschichtchen, die sie mir jedes Mal noch zusätzlich serviert. Dazu gehört z.B. der ewige Klatsch aus der Hofreitschule. Der unselige Bratel etwa - der Name tut nichts zur Sache -, der wisse leider mit der Peitsche überhaupt nicht umzugehen; und der Moser, na servus, der verwöhne und verziehe die Hengste auf geradezu kriminelle Weise. Manchmal redet Liesl auch von ihrer Familie, dem alten Geschlecht der Kinskys, das irgendwo aus den Wäldern Böhmens stammt. Den Adelstitel, das herrschaftliche ‚von’, dürfen die Kinskys wie alle übrigen Blaublüter dieses Landes natürlich nicht länger tragen; dieses elitäre Vergnügen hat Karl Renner ihnen leider vermasselt. Das ist der Grund, warum sie den Sozialisten bis heute aufs Innigste hassen. Aber mit oder ohne das ‚von’ vor ihrem Namen, Liesl lässt jedenfalls nicht den geringsten Zweifel daran bestehen, dass in ihren Adern dasselbe gebenedeite Blut wie in denen der edelsten ihrer Araberhengste strömt.

      Wenn ihr es genau wissen wollt, ich weiß wirklich nicht, ob ich Lisa Kinsky überhaupt liebe. Vermutlich habe ich sie nie geliebt, sondern mich nur an sie gewöhnt, wie ich mich eben an den köstlich duften Espresso aus ihrer Hand gewöhnte. So ist es schließlich dazu gekommen, dass ich nach