Günter Opitz-Ohlsen

In den Sand geschrieben


Скачать книгу

gleichgültig gegenüber jeglichen Ereignissen macht, seien sie auch noch so katastrophal.

      Das perfekte Verbrechen ist der perfekte Ausdruck für eine Ursache, die niemals ermittelt werden kann. So ist die Welt, als das Werk eines Stümpers betrachtet, sicherlich einem perfektem Verbrechen gleichzusetzen. Derjenige, der alles vermasselt hat, lässt sich in diesem Sinne niemals überführen. Er oder Es bleibt immer im Nichts und kann nur aus dieser Position heraus wirken.

      Dies hätte er wissen müssen, als er sich zum Treffpunkt begab. Eine kurze Mitteilung reichte ihm schon, sich auf den Weg zu machen, innerlich aufgeregt, äußerlich sich zusammenreißend, so wie immer, dass es keinem auffiel. Er ahnte, dass dieses Treffen sein Schicksal besiegeln könnte, an diesem Tag, der so schön war, wie es selten Tage hier im Norden sind, die von der Sonne verwöhnt werden, ihm aber zu schaffen machen, als seien sie seine letzten Tage, sein nahes Ende.

      „Bin gleich zurück. Nur eine kurze Besprechung. Nehme den Porsche!“, hatte er noch gerufen und jetzt war alles um ihn still geworden, die Verabredung schien zu platzen. Jener, dessen Stimme er nur von Telefon kannte, dessen Gesicht er noch nie gesehen hatte war immer noch nicht gekommen. Warten, vielleicht noch eine halbe Stunde, wenn er dann nicht käme, hätte er Aufschub, er wusste es, für einen Tag, mag sein, oder aber für sein ganzes Leben. In seinem Leben, das hauptsächlich daraus bestand, Dinge zu verheimlichen, die Wahrheit nicht zu sagen, aber auch nicht zu lügen, Informationen zu unterdrücken und für sich zu behalten - das war seine Loyalität, die jedermann an ihm zu schätzen wusste. In seinem Leben gab es nichts Außergewöhnliches, war alles berechenbar. Aber manchmal sind Bedürfnisse so kraftvoll, dass man wie ein Drogensüchtiger sein Leben dafür hingibt. Das war alles.

      So begann er sich frühzeitig nach alternativen Geldquellen umzuschauen, gewisse Informationen nicht nur zu verschweigen, sondern zu sammeln, die Beweise eingeschlossen. Ein jeder hatte eine Leiche im Keller, das wusste er, weil er selbst eine hatte, die er in mühevoller Arbeit zerkleinert und, vakuumdicht abgeschlossen, an einem sicheren Ort versteckt hatte. Solange er in diesem Haus der Herr war, besaß nur er den Rückspiegel, den er manchmal benutzte, um sich an den Zerteilten zu erinnern, wie der ihn anschrie, wie der ihn verfluchte, wie der ihn schlug, ihm jedes Selbstvertrauen nahm, wie der ihn entwürdigte und quälte. All das zeigte ihm sein Rückspiegel und er empfand Erleichterung ob seiner Tat, an die er sich kaum noch erinnern konnte. Das war seine Freiheit.

      Nun war er der Herr über zahlreiche Leichen anderer, und er hätte dieses Wissen zu Höchstpreisen auf dem freien Markt anbieten können, dort wäre ihm alles aus der Hand gerissen worden. Geil nach der Sensation, mit exklusiven Berichten hätten sie die Neuigkeiten in die Welt posaunt, da gab es für ihn keine Zweifel. Nun, da er lieber im Verborgenen wirkte, erschien es für alle Beteiligten vorteilhafter, das Opfer direkt zu erpressen, Schweigegeld zu fordern, dass früher oder später bezahlt würde, denn er war nicht gierig, konnte Vertrauen erwecken. Das war seine Macht.

      Wie groß war seine Verwunderung, als er hörte, das sein jetziges Opfer nicht zahlen wollte. Es musste etwas über ihn in Erfahrung gebracht haben. Wie gern hätte er die Informationen, die er besaß, gegen die des anderen getauscht, gegenseitiges Stillhalten mit eingeschlossen. Verwundert war er und er dachte zuerst an eine Falle, als der Fremde ihm Zeitpunkt und Ort für das Treffen mitteilte. Wie leicht hätte man jenen mit einem Profikiller aus dem Weg räumen können, aber sein Opfer, oder war er inzwischen das Opfer, hatte ihm glaubwürdig versichern können, dass nur der ehrliche Handel, das Tauschgeschäft, Information gegen Information, sonst nichts geplant war. Er selbst, das war seine Zerbrechlichkeit.

      Also war er hier auf dem Rastplatz, wartete, lauschte in der Abenddämmerung den letzten Amseln und ließ sich die leichte, frische Brise durch das geöffnete Wagenfenster über sein Gesicht wehen. Wie lange noch? Er öffnete die Wagentür, ging um sein Auto, sah ein Blatt, mit dem der Wind spielte, Ruhe durchströmte seinen Geist, alles in ihm war unter seiner Kontrolle. Das war seine Stärke.

      Wie aus dem Nichts tauchte der alte Mercedes auf, der unmittelbar hinter seinem Porsche zum Halten kam. Das war seine Verabredung, und er schaute sich selbst dabei zu, wie er sich dem Wagen des anderen näherte. Er sah, wie er durch das Fenster blickte und wie er das leere Innere des Mercedes, wahrnahm, dessen Motor noch lief. Wo war der Unbekannte abgeblieben? Seine an ihm selbst gerade noch wahrgenommene Contenance schien zu schwinden. Er wollte sich auf dieses dumme Spielchen nicht länger einlassen und seiner Wut Luft machen. „Mit mir treibst du das Spielchen nicht!“, ging es ihm durch den Kopf. Er drehte sich ruckartig um, blickte in das Gesicht des Kleingearbeiteten, der sich vor ihm aufgebaut hatte und ihn herablassend auslachte.

      Da war dieses Lachen, das kalte, geometrisch gezirkelte, genau berechnete, mittelsenkrechte Lachen, das nun in seinen Ohren widerhallte, dröhnte, als hätte er einen unheilbaren Tinnitus, der aus reinem Lachen bestand, sonst nichts. Es wurde lauter, fordernder, kreiste in seinem Schädel wie eine Zentrifuge, die alles nach außen zu schleudern trachtete, was in seinem Innersten einmal gewesen war. Es ließ ihn erzittern, seine Hände, seine Beine, seinen Kopf, und er konnte nicht mehr, war am Ende, dachte nicht mehr, das Grauen hatte eine Phonetik erhalten.

      Er stürzte zum Auto, knallte die Tür zu und gab Vollgas. Zurück auf die Alleestraße, beschleunigen, was der Motor hergab, immer geradeaus, keine Atempause, alles oder nichts.

      Abgestellt

      Verliert das eigene Leben das Grundrauschen, findet es sich in einer bedrohlichen oder ausweglosen Situation wieder. Einen Ausweg kann es nur dann sehen, wenn es das unbekannte Gebiet, in dem es sich momentan aufzuhalten scheint, ohne Schaden zu nehmen verlassen kann. Die Verlassenheit bleibt zwar in der Erinnerung zurück, erscheint dort aber nur bruchstückhaft und ihrer Bedrohlichkeit beraubt, droht letztendlich allein das zwanghafte sich nicht mehr erinnern Können. Dann aber wird die Situation unerträglich. Die Schwere raubt die Luft zum Atmen, der Verlust an Beweglichkeit potenziert die innere Angst in dem Maße, wie sich die eigene Verwirrung abzeichnet, der nicht mehr zu entkommen ist. Woher das Klicken im eigenen Kopf kommt, ist nicht mehr zu ergründen. Vielleicht ein genetischer Selbstschutz, der unter solchen Gegebenheiten einen Automatismus auslöst, der die Selbsterhaltung qua Selbstauflösung zum Ziel hat.

      Es war vor zwei Jahren, als ich durch die Stadt irrte, die ich erkunden wollte. Der Stadtplan, der mich stets begleitete, versagte all meinen Bemühungen, meinen Standort zu bestimmen. Die Straßen waren menschenleer. Die Dämmerung begann einer spärlich beleuchteten Dunkelheit zu weichen. Vergleiche mit Geisterstädten drängten sich auf. Türen, die im Wind in ihren Angeln knarrten, Fenster, die gegen die Rahmen schlugen und auf dem Gehweg Abgestelltes, das keinen Besitzer mehr zu haben schien.

      Ein amerikanischer Kühlschrank stand mir im Weg. Die Straßenbeleuchtung spiegelte sich in der Aluminium-Oberfläche des Gerätes. Die Türen waren funktionsfähig und das Innere sauber. Ein Kühlschrank in dieser Einöde, abgestellt zum Abholen, kein Kaufvertrag hätte unterschrieben werden müssen. Nur eines Transportmittels hätte es bedurft, um dieses Schmuckstück in Privateigentum zu verwandeln. Einfacher geht es nun wirklich nicht, hatte ich mir damals gedacht. Leider war ich zu Fuß unterwegs und immer noch hatte ich keinen Plan, zu meinem Hotel zu kommen.

      Als ich die nächste Querstraße ebenfalls nicht im Stadtplan finden konnte, habe ich ihn einfach weggeworfen. Er schien mir in dieser Situation eher hinderlich zu sein. Ich überlegte noch kurz, ob ich in die Straße einbiegen sollte, machte mir aber keine Gedanken darüber, welchen Vorteil ich davon gehabt hätte. Ist das eigene Leben so weit in unbekannte Gebiete vorgedrungen, die sich jeglicher Orientierung versagen, so hilft es nur noch, auf gut Glück den Ausweg zu finden. Eigentlich spielt es dann keine Rolle mehr, ob man an der nächsten Kreuzung rechts, links oder geradeaus geht. Hätte man einen Würfel, so wäre dieser der Entscheider gewesen.

      Ich glaube mich heute noch mit Sicherheit daran zu erinnern, dass ich damals in die Querstraße eingebogen bin. Doch das Gesamtbild hatte sich nicht geändert. Die Gegend zeichnete sich durch eine immer gleich bleibende Verlassenheit aus, in der auch mein lautes Rufen nach einem menschlichen Wesen nichts änderte. Eine ausgestorbene Gegend. Möglicherweise war eine Seuche über die Stadt gekommen, die die Menschen dazu zwang, fortzugehen, alles stehen und liegen zu lassen,