Günter Opitz-Ohlsen

In den Sand geschrieben


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will er nichts vergessen, wie es so oft passiert, wenn er das Hotel in aller Eile verlässt. Er sitzt nur da und starrt auf das Portrait. Verstehen kann ich das nicht. Verstehen, was ist das schon! Alles nur Information. Mit Lichtgeschwindigkeit in jedes Zimmer transportiert. Propaganda vom feinsten. Das Gegenteil, von dem was ist, ist wahr. Leicht zu durchschauen. Aber jetzt möchte ich in mein Zimmer. Das Portrait! Hat er sich beruhigt? Und wo ist die Leiche? Sie muss noch beseitigt werden. Und dann muss noch Rupert getötet werden. Also schauen Sie auf das Portrait. Nun machen Sie schon! Sie dürfen nicht schlafen! Sie müssen wach bleiben! Die Zahlen, da kommen sie. Sehen sie auf den Bildschirm. Jetzt, genau jetzt, greifen Sie zu. Töten Sie ihn! Zweiundzwanzig-tausendvierhunderteinundachzig, Position Sieben. Das Portrait von Helena, das dort oben hängt! Schauen Sie es an! Henry, machen Sie schon! Machen Sie sich nicht lächerlich, Henry. Position Sieben, da, sehen Sie, da!

      Robert schaut in den Spiegel. Er zieht eine Grimasse. So wie er es als Kind immer getan hatte. Die Augen schielen und seine Backen sind aufgeblasen wie zwei Fußbälle.

      Helena, Helena! Oh meine Teure! Sie hatten so gute Fortschritte gemacht! Rupert ist tot. Wir haben es so aussehen lassen, als hätte er sich selbst erschossen. Hier, nehmen Sie das. Dann können Sie besser schlafen. Der Arzt hat es Ihnen verschrieben. So ist es gut, Helena. Ich würde mich so gern erinnern. Ich versuche es! Erzählen Sie mir etwas über mich! Ihr Name ist Helena, das weiß ich noch. Verstehen Sie das? Ihr Name ist Helena! Das Jahr ist 2071, 1. Oktober, 2071! Wiederholen Sie das. Sobald Henry zurückkommt, servieren wir das Dinner. Wir werden sehen. Nun setzen Sie sich schon! Du erlaubst mir doch, etwas anderer Ansicht zu sein. Ich komme zu Ihrer Hochzeit. Ich werde bei Ihnen sein.

      Robert schaut suchend in das Hotelzimmer. Nichts ist zu entdecken, was ihm gehören könnte. Er geht ins Badezimmer, um dort die Endkontrolle durchzuführen. Robert ist nur noch einige Stunden von seinem Ziel entfernt.

      Finden wir noch irgendetwas. Die Spuren sind noch nicht ausgewertet. Dann müssen wir warten. Ich hasse das! Wollen Sie nicht Urlaub nehmen? Nein, Sie müssen wissen wieso! Habe ich nicht recht! Sagen kann ich nicht viel, aber es ist ja schon gut. Ich war falsch informiert. Sie meinten, die wilden Rammler seien alle tot? Das ist falsch! Alle sind noch am Leben! Sie sind mitten unter uns. Haben sich getarnt. Wir sind alle ihre Opfer. Die Täter? Davon spricht man nicht! Nur die Opfer! Haben Sie schon gesetzt? Nein, das tut mir leid! Können Sie es nicht rückgängig machen? Nein, Henry, wir waren fast am Ziel.

      Alles klappt wie am Schnürchen. Eine Gehaltserhöhung ist das Mindeste, was Robert verlangen kann. Vielleicht wird er Chef einer Zweigstelle. Am liebsten wäre er jetzt in Tokio. Dort lebt auch sein Freund, Henry.

      Dann verstecken Sie sich doch in ihre Wohnung auf dem Lande. Wir werden nichts sagen! Es ist besser, Milliarden in den Sand zu setzen, als die Chance auf einen Gewinn nicht wahrgenommen zu haben. Merken Sie sich das. Sie werden von uns gedeckt. Alle Rammler leben noch! Also verschwinden Sie jetzt gleich, bevor die Braut kommt. Wir können Sie hier nicht mehr gebrauchen. Erinnern Sie sich? Sie waren schon als Kinder füreinander bestimmt. Doch es hat sich alles geändert. Es geht so schnell. Kaum Zeit durchzuatmen. Sie kennen das ja!

      Alles bestens, mein Lieber! Die Maschine läuft, wie geschmiert. Reich mir das Öl, der Salat ist zu trocken. Zuerst löst du es ab und dann löst du es auf. Schließlich ist alles berechenbar, mit ja und nein, und das reicht, um es in den Äther zu senden. Gefühle, Zahlen, Texte, die Welt. Aber wo ist das Geld jetzt? Unser Vermögen, sag es jetzt! Du musst uns erzählen wo der Schatz ist. Wir wollen doch glücklich werden. Die Buchhaltung muss stimmen! Sag uns endlich, wo es ist? Du weißt es nicht! Dann presse es aus ihnen heraus. Die wilden Rammler werden es dir verraten! Du musst sie hetzen, hetzen. Ihnen mit der Trockenrotte drohen! Wozu hast du die sonst? Dann werden sie nur noch japsen, japsen! Verstehst du! Das ist das Geheimnis: nur noch ans Überleben denken. Alles andere zählt nicht! Japsen, ja, das müssen sie! Das Licht, wo ist das Licht? Die Verbindung, wo ist die Verbindung? Der Strom, wo ist der Strom? Das jetzt! Die Transaktion! Was ist mit der Transaktion? Konntest du sie ausführen? Nein! Du Idiot!

      Robert schaltet den Fernseher aus. Seinen Flug nach Berlin um 7 Uhr wird er bekommen, wenn nichts mehr dazwischen kommt. Das Taxi steht schon vor der Tür. Ein Mitreisender steigt mit ein. Robert ist einverstanden. Sie haben dasselbe Ziel: den Flughafen. Er ist sichtlich zufrieden mit dem Geschäftsabschluss, den er erfolgreich unter Dach und Fach gebracht hat. Das muss gefeiert werden. Er ruft über sein Mobiltelefon seine Freundin Christine in Berlin an, die gerade am Computer einen neuen Trinkbecher für die Kampagne „Be Berlin“ entwirft. Der Becher soll wie ein dreidimensionales B aussehen.

      Zu selben Zeit sitzt Frank in einer U-Bahn in Tokio und will gerade mit Jessy in Hamburg Schluss machen. Doch die Vermittlung seines Telefonats kommt nicht zustande. Durch die Fehlschaltung einer Abhörzentrale in Oklahoma wird er Zeuge des Gesprächs zwischen Robert und Christine.

      „Wie wäre es mit einem Theaterbesuch?“, fragt Robert mit lauter Stimme ins Telefon. „Großartig! Dann ist alles bestens gelaufen?“, hört Robert am anderen Ende Christine sagen. „Allerdings! War gar nicht so schwer, wie ich mir das vorgestellt habe. Alle sehr freundlich hier und überaus zuvorkommend. Ich habe da an die neue Inszenierung von Schlingensief gedacht! Hättest du Lust? Besorgst du Karten?“, fragt er Christine, als sein Nachbar sich ihm zuwendet und eine Geste zum Telefon hin macht. Robert gibt ihm wie verzaubert das Handy: „Für mich könnten Sie auch eine Karte kaufen! Ich fliege ebenfalls nach Berlin und würde gern die Aufführung sehen.“. Christine ist verwundert über die fremde Stimme, dennoch willigt sie mit einem lang gestreckten O.K. ein.

      „Ich hätte auch gern eine Karte, aber für die Aufführung in Hamburg! Geht ihr endlich aus der Leitung!“ brüllt Frank in sein Mobiltelefon und die Fahrgäste in der U-Bahn blicken ihn an. Im Hintergrund hört er jemanden in deutscher Sprache sagen: „Ich kann nicht mehr. Das Geld liegt sicher auf einer Schweizer Bank. Wenn der 500 haben will, dann gib ihm 300 und den Rest später. Halt ihn solange hin! Ich sitze hier fest. Kann nicht sagen, wann ich zurück bin.“. Da hört Frank ein Geräusch, das ihn an das Laden einer Pumpgun erinnert. Er blick auf und sieht am anderen Ende der U-Bahn einen dunklen Typen, der etwas auf japanisch ruft. Wie durch ein besonderes Kraftfeld angezogen fallen die Mobiltelefone der Fahrgäste auf den Boden.

      Das allgemeine Gemurmel ist schlagartig verschwunden und gibt die Fahrgeräusche der U-Bahn frei. Frank sieht, wie der Pumpgun-Japaner sein Handy aus der Hosentasche zieht, als wäre es eine weiter Waffe. Er hält es am ausgestreckten Arm in die entsetzten Gesichter der Menge. Dabei fuchtelt er mit der Pumpgun herum, die er in der anderen Hand hält. Es knallt fürchterlich, anschließend Schreie des Entsetzens. Jetzt stellt er die Bilder ins Netz, denkt Frank, und blickt regungslos in das Gesicht des anderen Deutschen.

      Als Robert die Bilder aus der U-Bahn auf seinem Mobiltelefon sieht, bleibt ihm sein Aufschrei im Halse stecken. Der Taxifahrer ist ebenfalls sichtlich erschrocken und dreht sich zu Robert um. Eine Sekunde kann all das beenden, was langfristig angelegt war. Als würde die Zeit zusammengerollt vor den Füßen des Beobachters liegen. Kleine Änderungen im Ganzen zeigen große Wirkungen. Als wäre der einprozentige Unterschied zwischen den Genen des Affen und den Genen des Menschen eine Strecke, die Lichtjahre misst. Aber was so offensichtlich ist, kann nicht mehr erkannt werden, auch wenn es sich tausendmal wiederholt. Da es kein genetisches Gedächtnis gibt, das sich aus den Erinnerungen von Generationen speist, geht alles in der Bedeutungslosigkeit der Versatzstücke eines Hintergrunds unter, der sich immer wieder in den Vordergrund spielt. Die Abhörzentrale in Oklahoma hat inzwischen alle Verbindungen unterbrochen.

      Der Gnom

      Schattige Allee, durchbrochen vom gleißendem Licht in sekundenschnellem Wechsel, er fährt 250 km/h, alles was der heruntergeregelte Porsche hergibt. Fluchtgedanken, schnell weg hier, weit weg, untertauchen, verkleiden, die Identität wechseln, weiterleben, als sei nichts geschehen. Nichts geschehen? Wie ein Blitz schlägt dieser Gedanken in seinem Kopf ein, er verliert für den Bruchteil einer Sekunde die Kontrolle über sein Auto. Als er wieder auf die Fahrbahn starrt, wird er durch eine nur kaum merkbare, ruckartige Bewegung am Lenkrad von der Straße getrieben, zwischen die Bäume auf das freie Feld, wo die Reifen keinen festen Boden mehr finden, die Elektronik seines Autos