José Luis de la Cuadra

Die seltsamen Morde des Ikonenmalers


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mich nicht erinnern, woher die Ikone stammt, an der ich arbeite. Es tut mir leid. Sobald ich entlassen bin, werde ich meinen Psychiater aufsuchen. Er muss mir meine Hirnzellen zusammenflicken.»

       «Ich muss Sie bitten, sich zu unserer Verfügung zu halten. Außerdem wird Ihnen noch heute eine DNA-Probe von Ihrer Mundschleimhaut entnommen. Zur Sicherheit. Wir wissen ja noch nicht, welche Spuren wir auf dem Messer und an der Ermordeten nachweisen werden. Es könnte Sie entlasten.»

       «Oder belasten.»

       «Wir wollen nicht den Teufel an die Wand malen, Herr Popow. Erholen Sie sich erst einmal. Wir melden uns. Einen guten Tag noch.»

       Ja, der Teufel. Ich spüre ihn. Er ist auf der Lauer. Eugen nennt ihn Schatten, mein Schatten. Und Tanja? Wer ist Tanja? Ist sie die Auftraggeberin? Die Frau, die mich angerufen hat? Kann es sein, dass ich die Ikone ...?

       Der Kaffee, den man ihm gebracht hat, schmeckt bitter. So wie der heutige Tag ... und wie die Krankenschwester des Frühdiensts. Sie präsentiert sich als Ausbund von Hässlichkeit. Alex weiß nicht, ob er sie einen Tag lang ertragen kann. Sie schaut ihn böse an, wenn sie ins Zimmer kommt. Als durchschaute sie ihn. Als wisse sie, was er längst vermutet.

       Wenn Gedanken sprechen könnten, hätten sie Einiges zu berichten. Alex braucht die Pflegefrau nur anzusehen, und schon purzeln die Verdächtigungen aus ihrem Mund. Zudem ist sie grob. Man kann in ihren Gesichtszügen erkennen, dass sie es geniesst, ihm den Verband zu wechseln. Jedes Mal reißt sie ihm genüsslich ein paar Haare aus. Sie wählt möglichst große Pflaster, damit beim nächsten Wechsel noch einige Haare mehr daran kleben bleiben. Und sie lässt keine Gelegenheit aus, um ihm unter die Nase zu reiben, wie groß das Loch in seinem Kopf ist.

       «Es gibt noch Kaffee, dann ist fertig ausgeruht.»

       Alex blickt ihr in die Augen. Sie hat ihr Makeup verschmiert, was die Frau nicht hübscher macht. Die Pupillen leuchten aufdringlich, sie blitzen regelrecht. Der Ikonenmaler hält sich am Bettgestell fest. Was er in ihnen liest, lässt ihn erschauern: Mörder!

      3

       «Eugen, ich habe gemordet. Zum zweiten Mal. Du weißt ...»

       «Ja, ja, über deine Frau haben wir schon mehrmals gesprochen. Bitte, wir wollen dieses Thema heute beiseitelassen. Erzähl mir, was geschehen ist.»

       «Wenn du nicht über meine Frau sprechen willst, dann kann ich dir nicht sagen, was geschehen ist. Es gibt eine Verbindung. Ich habe die Leiche Natalies gesehen, im Traum. Und zuvor wurde ich von einem Spaziergänger und seinem Hund, vor einer Leiche liegend, am Boden aufgefunden. Neben mir lag ein blutverschmiertes Messer. Das steht in der Zeitung. Und die Leiche ist eine Russin. Ich stehe unter Verdacht, weil ich russische Ikonen restauriere. Die Heiligenbilder wenden sich plötzlich gegen mich. Ikonomanie, deine Diagnose, ich weiß. Das Schlimmste ist, ich arbeite an einer Ikone und weiß nicht, woher ich sie habe. Vielleicht von der Leiche, ich meine von Tanja, so hiess sie, die Tote, als sie noch lebte.»

       «Kennst du sie?»

       «Nein, man hat mir eine Fotografie gezeigt. Ich habe keine Erinnerung an sie. Irgendetwas lässt mich an Natalie denken. Vielleicht eine Fehlschaltung meiner Synapsen. Um es offen zu sagen, ich habe überhaupt keine Erinnerung mehr. Mein Kopf ist leer wie ein Sack, aus dem das Gemüse herausgefallen ist. Ich fühle mich schrecklich. Du weißt, ich mag keine Leichen in meinem Leben. Vor allem seit das mit Natalie geschehen ist. Noch weniger mag ich Messer. Sie lösen in mir Übelkeit aus. Ich benütze sie nicht einmal mehr zum Essen. Ob allem Kummer bin ich auf bestem Weg, mich in der Ikonenmystik zu verlieren. In der Ikonomanie, wie du es nennst. Ich bin zum Pilger geworden, der durch die Birkenwälder streift, der das unablässige Gebet vor sich hinmurmelt, um den Tod seiner Frau zu sühnen.»

       «Du hast deine Frau in den Tod getrieben. Gut, ich verstehe, dass du dich schuldig fühlst. Du warst nicht freundlich zu ihr. Sie hat dich genervt. Das ist alles.»

       «Du untertreibst, Eugen. Du weißt ganz genau, dass unsere Ehe am Ende war. Und das Messer ..., das blutige Messer neben dem leblosen Körper meiner Frau ..., es ist Zeuge der tödlichen Demütigung, die ich ihr zugefügt habe.»

       «Jetzt sind wir wieder in der Falle. In der Falle des erzwungenen Suizids. Dabei wollten wir doch über die Ereignisse am Fluss sprechen. Bitte, Alex, der Klinikarzt hat mich angerufen. Er sagte, deine Tomographie zeige keine Hirnläsion. Es ist trotzdem verständlich, dass dein Gedächtnis ausgefallen ist. Der Schlag auf den Hinterkopf, der Sturz, der Schock durch die Leiche, das Messer ...»

       «Was auch immer geschehen ist, Eugen, die Idee, dass jemand hinter der Ikone her sein könnte, an der ich arbeite, treibt mich in den Wahnsinn. Womöglich wurde ich wegen dieser Ikone niedergeschlagen. Verstehst du mich?»

       «Wie kommst du denn darauf, dass jemand hinter dir und deiner Ikone her ist?»

       «Man hat mich niedergeschlagen, um mich zum Mörder zu machen oder weil ich gemordet habe. Bewusstlose können ja nicht mehr davonrennen. Jemand will mich außer Gefecht setzen, mich vernichten.»

       «Ich beginne zu verstehen. Du bist zufällig vorbeispaziert, die Frau war schon tot und der Mörder ergriff die Gelegenheit, dich am Tatort festzunageln. Oder du hast sie ermordet und der Schlägertyp war zufrieden mit deiner Arbeit. Zum Dank hat er dir ein Loch in den Schädel gerammt.»

       «Keine Ahnung, warum ich an einer Leiche vorbeispazieren sollte. Normalerweise sitze ich auf meiner Bank. Das hast du mir empfohlen. Und ich tue alles, was du mir sagst, das weißt du.»

       «Könnte es sein, dass du dich aus irgendeinem Grund von der Bank entfernt hast? Hat dich jemand angesprochen?»

       «Es gibt in meinem Hirn eine Art Hintergrundrauschen. Es scheint, als sei da eine Frau gewesen, neben mir auf der Bank. Ich glaube, sie glich der Russin auf der Fotografie. Aber ich bin mir nicht sicher. Vielleicht war sie die Besitzerin der Ikone, an der ich arbeite. Sie könnte sie mir übergeben und ich sie in meinem Atelier in Sicherheit gebracht haben. Stell dir vor, bei der Restauration würde herauskommen, dass sich hinter der Übermalung eine millionenschwere Originalikone verbirgt. Ich hätte ein perfektes Motiv, um die Frau zu ermorden. Und stell dir vor, der Verursacher meines Lochs will mich kaltstellen, um seinerseits an das Bild zu kommen ...»

       «Genug, Alex, du verfängst dich in Hirngespinsten. Du brauchst Ruhe. Es war einfach zu viel für dich. Deine Ikonomanie ist in einer instabilen Phase. Ein kleiner Stress und ...»

       «Da ist noch etwas, Eugen. Gestern war ich wieder am Fluss. Ich habe mich auf die Bank gesetzt. Und sie war auch da, die Frau, die Russin. Aber sie war nicht tot, sie war quietschlebendig.»

       «Eine Halluzination, Alex. Wir kennen das. Nach einem Schockzustand kann es zu dissoziativen Visionen kommen. Ich kann dir das so erklären: Ein prägender Eindruck, zum Beispiel der Anblick eines Toten oder einer Toten, kann in deinem Gehirn eine Region aktivieren, die Halluzinationen erzeugt. Gleich einem Fussabdruck bleibt die Vision haften und manifestiert sich jedes Mal, wenn das auslösende Ereignis sich zurückmeldet.»

       «Du meinst, jedes Mal, wenn ich mich, wie vor dem Mord, auf die Bank setze, erscheint die Halluzination der Ermordeten?»

       «So ungefähr. Ich weiß nicht, ob der Vorgang sich wiederholen wird, aber im Hinblick auf deine Genesung empfehle ich dir, auf weitere Ausflüge an den Fluss zu verzichten. Es würde dich zu nahe an das Verbrechen bringen. Auch die Arbeit an der Ikone in deinem Atelier scheint mir zum jetzigen Zeitpunkt kontraindiziert.»

       «Die Arbeit an der Ikone zu unterbrechen ist für mich unmöglich. Wenn ich nicht arbeite, quälen mich Schuldgefühle. Es ist das Messer, Eugen, meine Frau ... Das Messer zermartert mein Gehirn. Und jetzt sind es schon deren zwei. Ich muss dieses zweite Messer gesehen haben, auch wenn ich mich nicht daran erinnere. Die blutige Klinge ist die Verbindung zwischen den beiden tödlichen Ereignissen. Sie ist die Waffe, die mein Leben zerstört.

       Habe ich dir übrigens gesagt, dass die Ikone, von der ich spreche, eine Gottesmutter darstellt? Nein, das habe ich dir nicht gesagt. Aber ich denke, es ist kein Zufall. Das Marienbild lindert meinen Schmerz, es tilgt meine