J.P. Conrad

Aufgefressen


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gibt eine Tür, die vom Schulhof direkt zum Tatort führt. Der Hausmeister hat uns erklärt, dass in dem Raum Bänke und Tische für Sommerfeste lagern. Die werden durch diesen Zugang auf den Hof gebracht.«

      »Aha. Und die Tür war aufgebrochen worden«, schlussfolgerte Jack und war schon versucht, das Wort ›Einbruch‹ auf seinen Block zu schreiben. Doch der Inspektor entgegnete:

      »Nein, eben nicht. Die Spurensicherung hat keinerlei entsprechende Hinweise gefunden.«

      Jack runzelte die Stirn. »Woher wissen Sie dann, dass sie durch diese Tür gekommen sind?« Er ging aufgrund der Tatsache, dass es drei Leichen waren, von mehreren Tätern aus und sprach daher immer von ›die‹. Natürlich hätte es auch eine einzelne Person sein können.

      »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen soll«, entgegnete der Inspektor zögernd.

      Das machte Jack natürlich nur umso neugieriger. »Es wird mir schon keine angeknacksten Rippen und Blutergüsse einbringen, wie beim letzten Mal«, sagte er provozierend und appellierte damit auf gemeine Weise an Macintoshs Gewissen, was meistens auch funktionierte.

      Der Mann im Hörer grummelte etwas Unverständliches. Dann sagte er: »Auf der Innenseite der Tür war eine Nachricht hinterlassen worden.«

      Jack schluckte. »Was für eine Nachricht?«

      »Calhey, Sie dürfen das nicht veröffentlichen! Ich komme in Teufels Küche, wenn das rauskommt«, mahnte Macintosh.

      »Noch habe ich nichts, das ich veröffentlichen könnte«, sagte Jack. »Sie kennen mich doch, Hubert. Ich mache keine halben Sachen. Und auf Gerüchte gebe ich nichts. Ich möchte lediglich einen kleinen Vorsprung haben, bevor Scotland Yard offiziell Stellung nimmt.«

      Die kleine regionale Tageszeitung Loughton Courier, für die er schrieb, hatte es, dank Jack, bereits einmal geschafft, durch eine exklusive Berichterstattung die großen Zeitungen, allen voran die Times, auszustechen. Das hätte er nur zu gerne noch einmal geschafft. Und drei verätzte Leichen waren ein guter Aufhänger.

      Doch der Inspektor blieb hart. »Tut mir leid, ich muss das ablehnen. Ich riskiere hier schon Kopf und Kragen für Sie.«

      »Hm.«

      Macintosh seufzte demonstrativ. »Aber leider kann ich Sie ja schlecht daran hindern, ihr Büro zu verlassen...«.

      Jack glaubte, sein Augenzwinkern förmlich durch den Hörer bemerkt zu haben. »Ich verstehe«, sagte er zufrieden. »Danke, Hubert.«

      »Aber Calhey: Machen Sie keinen Unsinn!« Ein leises Stöhnen. »Ach was, hat ja sowieso keinen Sinn bei Ihnen.«

      Sie verabschiedeten sich. Nachdem er aufgelegt hatte, betrachtete Jack sich seine Notizen; sie füllten nicht einmal die Hälfte des Blattes. Das war nicht gut. Mehr als eine kurze Randnotiz war das nicht wert. Er brauchte mehr. Insbesondere interessierte ihn brennend, was dort an die Kellertür der Schule gekritzelt worden war. Aber wo konnte er ansetzen? Beim Schuldirektor? Nein, das hätte zu Problemen führen können. Aber vielleicht beim Hausmeister.

      Jack sah auf seinen Block: Mitchell Liberman; den Namen hatte er von der Website der Schule. Er hatte ihm dort, nebst den Lehrkräften und anderen Bediensteten, freundlich entgegen gelächelt. Bei ihm konnte er sicher anklopfen, ohne mit den Beamten vom Yard in Konflikt zu geraten. Liberman war ein kleines Rädchen im Schulgetriebe und vielleicht für ein paar Pfund bereit, Jack mehr Details zu verraten. Er bewohnte ein kleines Appartement auf dem Schulgelände, wie Jack schnell in Erfahrung bringen konnte. Dort würde er ihn am Spätnachmittag aufsuchen.

      Bis dahin waren es aber noch ein paar Stunden, in denen unter anderem auch eine Redaktionskonferenz anstand. Aber Jack würde zu den Morden in der Schule noch keine Ankündigung machen; es war ja gut möglich, dass bei seinen Recherchen nichts herauskam. In keinem Fall wollte er falsche Erwartungen wecken und insbesondere den langjährigen Chefredakteur Butterworth, der ihm wie ein Vater war, enttäuschen. Stattdessen würde er die Berichterstattung zum Treffen der Oldtimerfreunde in Loughton als sein aktuelles Thema aufs Tableau bringen. Daran hatte er auch tatsächlich fast eine halbe Stunde lang gearbeitet.

      II.

      Normalerweise sprang Jack auf Mord nicht sofort an. Im Großraum London starben fast jeden Tag Menschen durch Gewalteinwirkung; durch Messerstiche und Kugeln in Kopf oder Brust. Aber das hier war anders. Hier ging es sicher nicht um Mord im Affekt, um keinen Bandenkrieg und auch nicht um einen Denkzettel des organisierten Verbrechens; die arbeiteten nicht mit Schwefelsäure. Nein, hier deutete alles auf einen Ritualmord hin. Und bei einem so gearteten Verbrechen gab es für Jack zwei Dinge, die ihn in seiner Arbeit antrieben. Zum einen das Motiv: Es musste mehr dahinter stecken als Eifersucht, Geld oder sonstiger Standard. Hier hatte jemand mit Leidenschaft gemordet und eine Botschaft hinterlassen. Das interessierte die Leser des Loughton Courier natürlich mehr, als ein simpler Raubmord. Zum anderen empfand Jack den Wettlauf mit der Polizei um neue Informationen als eine Art Sport; es gab ihm einen Kick und brachte die nötige Würze in seinen Job.

      Als er über den verwaisten Schulhof der St. Marys Grundschule lief, wehten ihm ein paar braune Blätter der nahe stehenden Eiche vor die Füße und tanzten über den Boden. Eine kühle Brise streifte sein Gesicht. Der Herbst war da, es gab keinen Zweifel daran. In diesem Moment spürte er ihn in dieser Saison zum ersten Mal bewusst und er zog den Reißverschluss seiner Jacke noch weiter hoch.

      Wo war nun diese Hausmeisterwohnung? Jack sah sich um und sein Blick fiel auf einen Mann, der gerade mit einem elektrischen Laubbläser und einer Kabeltrommel unter dem Arm um die Ecke kam. Er trug einen grauen Kittel.

       »Hey, vielleicht hast du Glück.«

      Als er näher kam, und der Mann ihn entdeckte, hielt dieser inne. Jack erkannte ihn wieder: Es war Mitchell Liberman, der Hausmeister der Schule. Auf dem Foto im Internet hatte er wesentlich vorteilhafter ausgesehen. Sein Gesicht wirkte eingefallen und blass. Er trug einen Dreitagebart und machte insgesamt einen fertigen Eindruck. Das konnte man ihm aber nach dem, was er gestern früh im Keller der Schule hatte sehen müssen, nicht verübeln.

      »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er argwöhnisch, als Jack geradewegs auf ihn zukam.

      »Guten Tag. Ich suche Mitchell Liberman.«

      »Und wer sind Sie?«

      Jack zückte schnell seine Visitenkarte. »Jack Calhey vom Loughton Courier.«

      Er sah sie nur kurz an, aber nahm sie nicht an sich. Stattdessen begann er, die Kabeltrommel abzurollen.

      »Ich kann mir denken, was Sie wollen. Und die Antwort lautet nein

      »Ich habe nur ein paar Fragen.«

      »Und ich habe keine Zeit«, erwiderte Liberman grantig und ging mit dem einen Kabelende zum Treppenaufgang.

      »Wann passt es Ihnen besser? Ich komme gerne nochmal wieder.«

      Der Mann öffnete die Tür, schob einen Keil unter den Türflügel, damit er offen blieb, und verschwand kurz mit dem Kabel im Haus. Dann kam er wieder zurück und hob den Laubbläser an.

      »Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen«, sagte er, setzte den Hörschutz auf, der um seinen Hals hing und schaltete das Gerät ein. Der ohrenbetäubende Krach, den der Laubbläser verursachte, machte eine weitere Unterhaltung unmöglich. Demonstrativ wandte sich Liberman von Jack ab und begann, die Blätter auf dem Boden vor sich her zu wehen.

      Aber Jack wollte nicht aufgeben. Wenn er schon hier scheitern würde, würde er gar nichts zu dem Verbrechen herausbekommen, bevor die Polizei damit an die Presse ging. Er konnte ein recht hartnäckiger Mensch sein, insbesondere, wenn er sich wie ein Terrier in eine gute Story verbiss. Und diese hier war gut, daran gab es für ihn keinen Zweifel.

      Er sprintete die Treppe rauf, folgte dem Kabel bis zur Steckdose und zog den Stecker raus. Unvermittelt verstummte die Turbine des Laubbläsers. Als er wieder ins Freie trat, traf ihn bereits Libermans finsterer Blick.

      »Was