J.P. Conrad

Aufgefressen


Скачать книгу

wusste noch, dass es vor etwa drei Wochen gewesen war, als er online die kurze Notiz im Presseportal der Hertfordshire Constabulary gelesen hatte. Er hatte der Sache keine große Bedeutung beigemessen, sie einfach nur zur Kenntnis genommen und dann irgendwo tief in seinem Langzeitgedächtnis vergraben.

      Er fuhr den Computer hoch und ging ins Internet. Nach ein paar Klicks hatte er den ungefähren Zeitraum der Meldung gefunden und scrollte die Seite herunter. Jack spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Da war es. Die Meldung vom Montag vor drei Wochen:

       GRABSCHÄNDUNG IN BRENTWOOD

       In der Nacht von Sonntag auf Montag wurde ein Grab auf dem Brentwood Friedhof von Unbekannten verwüstet. Das Holzkreuz wurde mit einer brennbaren Flüssigkeit, vermutlich Benzin, übergossen und angezündet. Anschließend haben der oder die Täter das Feuer wieder gelöscht und mit Kreide auf das verkohlte Holz die Ziffern »79/83« geschrieben. Es wird als das Werk von Jugendlichen vermutet.

      Jack freute sich wie ein Schneekönig. Einerseits hatte sich mit dem Lesen dieser Zeilen seine Vermutung bestätigt; zum anderen war dies eine interessante Spur, der er nun nachgehen konnte.

      »Ob Macintosh das auch mitbekommen hat?« Oder maß Scotland Yard der Nachricht weniger Bedeutung bei, als den Leichen selbst?

      Jack suchte sich noch die Adresse der Friedhofsverwaltung raus und schaltete dann den Computer aus. Ob er heute Nacht überhaupt würde schlafen können, war fraglich. Er wünschte sich, dass es schon morgen wäre, damit er gleich wieder an die Arbeit gehen konnte.

      VI.

      Nach einem kurzen Abstecher in die Redaktion machte sich Jack auf den Weg nach Brentwood, das fünfundzwanzig Autominuten von Loughton entfernt lag. Die Straßen waren mäßig befahren, insbesondere auf der Seite, auf der er fuhr; weg von London. Am Himmel zogen sich die dunklen Wolken immer mehr zusammen. Im Radio hatten sie gesagt, es könnte Regen und sogar Gewitter geben. Und sie sollten Recht behalten, denn bei seiner Ankunft schüttete es bereits wie aus Eimern.

      Als Jack, seine Jacke schützend über seinen Kopf haltend, vom Wagen zu dem kleinen Gebäude der Friedhofsverwaltung rannte, hörte er in einiger Entfernung ein Donnergrollen. Schnell flüchtete er sich unter das schützende Wellblech-Vordach. Er wollte gerade an die Tür klopfen, als diese vor ihm geöffnet wurde. Ein älterer Mann mit silbernem Haarkranz und Brille lächelte ihn freundlich an.

      »Ich habe Sie zufällig gerade kommen gesehen. So ein Mistwetter, was?«

      Er bat Jack in seine Stube. Das Büro war wirklich winzig. Es bestand aus einem alten Holzschreibtisch, der am Fenster stand, vielen grauen Aktenschränken und einer kleinen Küchenzeile, von der gerade ein Teekessel seinen Dampf im Raum verteilte. Außerdem war es ziemlich warm dort drin; die einglasigen Scheiben der Fenster, die zur Straße und der Auffahrt zeigten, waren teilweise beschlagen.

      »Nehmen Sie Platz. Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Mann und deutete auf einen uralten Vollholz-Drehstuhl, der zwischen zwei hohen Aktenschränken stand. »Ich wollte mir gerade einen Tee eingießen. Mögen Sie auch einen?«

      Jack nahm das Angebot dankend an und setzte sich. »Mein Name ist Calhey. Ich komme vom Loughton Courier«, erklärte er und wollte ihm seine Visitenkarte geben. Doch der alte Mann wand ihm den Rücken zu und hantierte nun in der Küchenecke mit zwei Kaffeepötten. Jack schätzte ihn auf Anfang bis Mitte sechzig. Er trug eine unmoderne, graublaue Stoffhose aus den Achtzigern, die von Hosenträgern gehalten wurde und eine wollene Hausjacke über einem rot-weiß karierten Hemd. Ganz offenbar gab es hier nicht allzu viel Publikumsverkehr.

      »Ach, ein Reporter!«, sagte der Mann mit leichter Überraschung.

      »Ja. Ich komme wegen des Vorfalls neulich.«

      Der Alte drehte sich kurz um. Zwei Teebeutel baumelten an ihren Schnüren in seiner faltigen Hand. Er verzog kurz fragend das Gesicht, dann erhellte sich seine Miene. »Sie meinen die Grabschändung?«

      Jack nickte.

      »Das ist doch schon drei Wochen her. Seid ihr von der Presse nicht sonst etwas flinker?«, fragte er und goss heißes Wasser aus dem Kessel in die Tassen.

      Jack konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Doch, doch. Aber es gibt da noch ein paar Ungereimtheiten, die ich gerne klären möchte.«

      »So? Was denn? Die Polizei hat doch alles aufgenommen. Und in der Zeitung stand es auch schon.«

      »Das stimmt, ja«, entgegnete Jack. »Aber was zum Beispiel nicht erwähnt wurde, war der Name des Verstorbenen, dessen Grab verwüstet wurde.«

      Der Alte schlurfte in seinen Hausschlappen zu ihm und gab ihm einen der beiden Kaffeebecher. Auf seiner Seite stand ›Weltbester Dad‹. Das Ding war verdammt heiß und Jack musste es von einer Hand in die andere balancieren. Eingeklemmt zwischen den beiden Aktenschränken hatte er keine Chance, ihn irgendwo abzustellen. Er schlug die Knie übereinander und stellte ihn auf seinen Oberschenkel. Die Hitze brannte sich langsam durch seine Jeans.

      »Hm.« Der Mann ließ sich auf seinen Stuhl am Schreibtisch sinken und stellte seine Tasse auf den Tisch. »Das sind vertrauliche Daten. Ich denke nicht, dass ich das Recht habe, Ihnen darüber Auskunft zu geben.«

      Jack hatte so was befürchtet. »An wen müsste ich mich denn wenden, um diese Information zu bekommen?«

      Der Mann lachte. »An mich.«

      »Dann habe ich wohl keine Chance, was?«

      »Warum ist die Presse plötzlich wieder an diesem Fall interessiert?« Er sah Jack analysierend über den Rand seiner Brille an.

      Jack musste bluffen. »Wissen Sie, eigentlich ist es mehr ein persönliches Interesse. Ich war einige Tage im Ausland und habe erst gestern durch Zufall von dem Vorfall erfahren. Ich möchte nur sicher gehen, dass es sich nicht um das Grab einer meiner Verwandten handelt.«

      Sein Gegenüber schien erstaunt. »Ach so? Wer von Ihrer Verwandtschaft liegt denn hier bei uns?«

      Jetzt kam es drauf an. Ein möglichst häufig vorkommender Name musste her. »Peter Miller. Mein Großonkel mütterlicherseits.«

      »Ich glaube, da kann ich Sie beruhigen«, entgegnete der Alte lachend und nippte an seinem Tee. »Es war definitiv das Grab einer Frau.«

      »Ach, ein Glück«, tat Jack erleichtert, räusperte sich aber sogleich verlegen.

      »Ich hab Sie hier noch nie gesehen bisher«, sagte der Alte. »Sie besuchen Ihren Großonkel wohl nicht sehr oft?«

      »Naja, die Arbeit..«, tat Jack verlegen. »Ich gebe zu, ich hatte mehr von ihm, als er noch gelebt hat.«

      Der Mann ihm gegenüber brummte verstehend. »Hauptsache, die Grabstelle wird ordentlich gepflegt. Machen wir das oder ein Angehöriger?«

      »Meine Großtante kümmert sich darum, keine Ahnung«, sagte Jack schulterzuckend.

      »Soso. Tja, kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Mister…?«

      »Calhey. Jack Calhey. Nein, ich denke, das wäre schon alles. Sie haben mir sehr geholfen. Vielen Dank.« Er stand auf und stellte seinen noch randvollen Teepott auf den Schreibtisch. Das höllisch heiße Gebräu hätte man ohnehin nicht trinken können, ohne sich die Schleimhäute zu verbrennen. »Vielen Dank für den Tee.«

      Der Alte erhob sich höflich von seinem Platz und sie gaben sich die Hand.

      Ein lauter Donnerschlag ließ in diesem Augenblick die Fensterscheiben erzittern.

      »Wow!«, entfuhr es Jack und er sah nach draußen. Dort schien sich der Weltuntergang anzukündigen. Es war dunkel wie in der Abenddämmerung und der Regen prasselte laut rauschend auf den Boden der Friedhofseinfahrt.

      »Wollen Sie nicht lieber warten, bis es etwas nachlässt?«, fragte der Alte.

      Jack verneinte freundlich und sagte