Johann Heinrich August Leskien

Balkanmärchen auf 251 Seiten


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weißt, so liebt dich dein Mann nicht.« Darauf

       ging das Mädchen und fragte ihn: »Was für eine Heldenkraft

       hast du?« Er antwortete: »Ich habe ein Messer

       im rechten Bein stecken; wenn mir das ein anderer

       herauszieht, muß ich sterben; aber wenn ich es selbst

       herausziehe, sterbe ich nicht.« Das erzählte sie der

       Alten; eines Abends aber tat diese so, als schüttle sie

       das Fieber, und sie klagte es dem Mädchen. Die sagte

       darauf zu ihrem Manne: »Wir wollen sie doch zu uns

       in die Stube nehmen, damit sie nicht einsam stirbt.«

       Er antwortete: »Nein, sie liegt nicht im Sterben,

       meine Liebe.« Das Mädchen aber blieb dabei: »Wir

       wollen es doch tun; es wäre sonst Sünde.« Da nahmen

       sie die Alte zu sich; die aber zog dem Manne, als er

       eingeschlafen war, das Messer aus dem rechten Bein,

       und er starb. Darauf ging die Alte und steckte ein

       Tuch als Fahne auf, und die Schiffsleute kamen und

       nahmen das Mädchen mit. Die bat sie: »Wartet noch,

       laßt mich ihn zudecken und die Stube abschließen!«

       Das erlaubten sie ihr, und dann nahmen sie sie mit.

       Nun floß Blut aus den Haaren, die er den beiden

       Brüdern zurückgelassen hatte, und sie machten sich

       auf, ihn zu suchen, sahen den Stein und lasen darauf

       die Inschrift: »Geht einer diesen Weg, kommt er nicht

       zurück; geht er den da, kommt er zurück.« Da sagten

       sie: »Den Weg, wo man nicht zurückkommt, ist er gegangen.

       « Auf dem weiteren Wege fanden sie erst die

       drei erschlagenen Lamien, dann die sechs und zuletzt

       die riesenhafte, und sahen also, daß Messerprinz nicht

       von ihnen aufgefressen war. Als sie dann in den Palast

       kamen, fanden sie neunundvierzig Zimmer offen,

       eins geschlossen. Das öffneten sie und fanden ihn

       dort. Da sagte der eine, der alles auf der Welt wußte,

       zu dem andern, der einen Weg durchs Meer bahnen

       konnte, er solle das tun; er wußte nämlich, daß die

       Alte das Messer ins Meer geworfen hatte. Der andre

       tat das, sie fanden das Messer, kehrten zurück und

       steckten Messerprinz es wieder ins Bein. Da wachte

       der auf und sprach: »Ach, was habe ich geschlafen!

       Aber wo kommt ihr her? Was habt ihr mit dem Mädchen

       gemacht?« Sie antworteten: »Wir sollen etwas

       mit dem Mädchen gemacht haben? Wo ist die?« Der

       aber, der alles wußte, wußte auch, daß der Zar das

       Mädchen fortgeholt hatte, und Messerprinz befahl

       dem andern, einen Weg durchs Meer zu bahnen. Von

       dem Palast bis zu dem Zaren waren es neun Tagereisen.

       Sechs Tagereisen hatten sie schon auf dem Meereswege

       zurückgelegt, es blieben bis zu dem Zarenschlosse

       noch drei. Das Mädchen hatte aber zu dem

       Zaren gesagt: »Ich heirate dich nicht, ehe neun Tage

       um sind; so lange laß mich ihn betrauern.« Messerprinz

       fragte nun seinen Genossen: »Wieviel Tagereisen

       sind es noch bis zu dem Schlosse«, und als er erfuhr,

       noch drei, sagte er: »Mach jetzt schnell!« Das

       tat der, und sie kamen bis an das Schloß. Da sah Messerprinz

       das Mädchen am Fenster des Zaren sitzen,

       sprang ans Land und ging zu dem Fenster. Als die

       Alte, die am Tisch des Zaren gesessen hatte, ihn sah,

       fiel sie unter den Tisch, der Zar aber ging gerade im

       Hause herum. Da ergriff Messerprinz die Alte und

       hieb sie in Stücke; dann machte er sich auf, auch den

       Zaren in Stücke zu hauen; der aber bat ihn: »Ich will

       dir neun Lasten Geld geben, töte mich nicht.« So geschah

       es, Messerprinz nahm das Geld und das Mädchen,

       drei Lasten gab er dem ältesten Bruder, drei

       dem jüngern, drei behielt er für sich, und dann ging

       jeder hin, wo er zu Hause war.

       10. Der Zarensohn und die dankbaren Tiere

       Es war einmal ein Zar, der entließ, ich weiß nicht

       warum, seine Frau und nahm eine andre. Die erste

       aber war schwanger, als er sie entließ, und er gab ihr

       eine große Stadt, über die sie herrschen sollte, und befahl

       ihr: wenn sie ein Mädchen zur Welt brächte, solle

       das bei ihr bleiben, wenn aber einen Sohn, so solle sie

       den, sobald er erwachsen wäre, zu ihm schicken. Die

       Frau ging nun in die Stadt, und als die Zeit gekommen

       war, gebar sie einen Sohn. Das Kind wuchs und

       wuchs heran, und sie schickte es in die Schule, daß es

       alle Wissenschaft lerne. Als er nun schon erwachsen

       war, sagte die Mutter zu ihm: »Mein Sohn, such dir

       einen Mann, der dich zu deinem Vater bringen soll.«

       Er fand auch einen, der dazu bereit war. Als er am

       nächsten Morgen wieder in die Schule ging, buk ihm

       die Mutter einen Kuchen und schickte ihn mit dem

       Manne ihrem Sohne in die Schule.

       Unterwegs brach der Mann ein bißchen von dem

       Kuchen ab, um zu versuchen, wie er schmecke, und

       brachte ihn dann dem Jungen in die Schule. Als der

       am Abend nach Hause kam, fragte ihn seine Mutter

       nach dem Kuchen, ob er ihn bekommen habe, ob er

       noch ganz gewesen oder etwas davon abgebrochen

       wäre. Er antwortete, daß ein ganz kleines Stück abge-

       brochen war.

       Da dachte die Mutter: der Mann wird ihn nicht in

       die Stadt bringen, sondern ihn irgendwo totschlagen,

       und sagte zu ihrem Sohn, er solle den Mann wegjagen

       und einen anderen annehmen. Darauf nahm er einen

       Zigeuner an. Am anderen Tage buk die Mutter wieder

       einen Kuchen und schickte den Zigeuner, ihn zu ihrem

       Sohne in die Schule zu tragen. Der Zigeuner rührte

       den Kuchen nicht an, sondern brachte ihn hin und

       übergab ihn. Als nun am Abend die Mutter erfuhr,

       daß der Kuchen unberührt geblieben war, befahl sie

       ihrem Sohne, sich reisefertig zu machen. Während er

       damit beschäftigt war, schrieb sie ein Zeugnis für ihn,