Johann Heinrich August Leskien

Balkanmärchen auf 251 Seiten


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ihn: »Was bist du?« – »Ich bin ein Mensch,« antwortete

       der, »und was seid ihr?« – »Wir sind auch Menschen.

       Und du, wohin gehst du?« – Der sagte: »Ich

       gehe und will mit Messerprinz ringen.« – »Komm,

       versuch es erst einmal mit mir!« Da rangen sie drei

       Tage und drei Nächte, und keiner kam zu Fall. Darauf

       sagte Messerprinz zu ihm: »Komm, laß uns drei Brüderschaft

       schließen!« Der war einverstanden, und

       Messerprinz fragte ihn: »Was für eine Heldenkraft

       hast du?« Er antwortete: »Ich kann mitten durchs

       Meer einen Weg bahnen; und was für eine hast

       du?« – »Ich habe im rechten Bein ein Messer; zieht

       mir das ein andrer heraus, so muß ich sterben; wenn

       ich es aber selbst herausziehe, sterbe ich nicht, und

       wenn ich es schleudere, kann nichts mir widerstehen.«

       Da schlossen die drei Brüderschaft.

       Der eine, der alles auf der Welt wußte, sagte zu

       dem Prinzen: »An dem und dem Ort ist ein Feuer;

       darüber versuchen Helden zu springen, aber keiner

       kommt hinüber; wer hinüberspringt, der bekommt des

       Zaren Tochter.« Messerprinz antwortete: »Kommt,

       laß uns dahin gehen!« Dort fragte er die Springer: »Ist

       es auch uns erlaubt, zu springen?« Sie antworteten:

       »Ja wohl, warum nicht? Wer kann, darf springen.« Da

       sprang Messerprinz über das Feuer, und sie gaben

       ihm die Zarentochter. Er aber sagte: »Sie soll mir eine

       Schwester sein in dieser und in jener Welt; wenn ihr

       mir sie für meinen älteren Bruder da geben wollt, will

       ich sie nehmen; sonst mag sie hier bleiben.« Man gab

       sie ihm, Messerprinz aber richtete diesem seinem

       Bruder ein Haus zur Wohnung ein, gab ihm eins von

       seinen Haaren und sagte: »Wenn Blut aus diesem

       Haar fließt, wisse, daß ich tot bin.«

       Darauf gingen er und der jüngere Bruder weiter

       und sahen an einer Stelle, wie Leute versuchten, über

       einen Fluß zu springen; und wer hinüberkäme, der

       solle die Tochter des Zaren bekommen. Da nahm

       Messerprinz einen Esel, lud ihn auf die Schulter und

       sprang über den Fluß. Sie wollten ihm nun die Zarentochter

       geben; er aber sagte: »Sie soll mir eine Schwester

       sein in dieser und jener Welt; wenn ihr sie mir für

       meinen Bruder geben wollt, will ich sie nehmen.« Das

       taten sie; er richtete diesem Bruder ein Wohnhaus ein

       wie dem andern, gab ihm auch ein Haar und zog weiter.

       An einer Stelle teilte sich der Weg; dort war ein

       Stein mit einer Inschrift. Messerprinz las sie: »Wer

       diesen Weg geht, kehrt zurück, wer den da, kehrt

       nicht zurück.« Da sagte er: »Ah! Daran wird man erkennen,

       daß ich ein tapfrer Held bin; ich will den

       Weg gehen, wo man nicht zurückkommt.« Das tat er,

       und unterwegs traf er auf drei Lamien, schleuderte

       seine Keule und erschlug sie alle drei. Beim Weitergehen

       traf er noch weitere sechs; da dachte er: »Wenn

       ich mit der Keule werfe, treffe ich sie vielleicht nicht;

       ich will lieber mit dem Messer werfen.« Aber dann

       meinte er doch: »Nein, ich will nicht mit dem Messer

       werfen, sondern lieber mit der Keule.« Das tat er und

       erschlug alle sechs. Als er weiter ging, traf er wieder

       eine Lamia. Die war so hoch wie drei Minarete zusammen;

       da sprach er bei sich: »Werfe ich so, daß ich

       ihre Füße treffe, so fällt sie auf mich und erschlägt

       mich«; darum warf er so, daß er sie am Kopfe traf; sie

       fiel, und er ging hin und machte ihr mit dem Messer

       den Garaus. An demselben Ort war ein Palast mit

       fünfzig Zimmern; darin befand sich ein Mädchen; er

       stieg zu den Zimmern hinauf, fand neunundvierzig

       offen und eins verschlossen; an dieses stieß er mit

       dem Fuße und öffnete es; darin fand er das Mädchen.

       Sie war zugedeckt; er deckte sie auf und sagte: »Steh

       auf!« Sie aber rief: »Lauf fort, die Lamia wird dich

       auffressen.« Er erwiderte: »Ich habe die Lamia erschlagen.

       « – »Nein, wie sollst du die Lamia erschlagen

       können?« – »Steh auf, dann kannst du's sehen!«

       Und als sie dahin gingen, sah sie, daß die Lamia

       wirklich erschlagen war.

       Da kamen drei Schiffe, das Mädchen zu holen. Als

       Messerprinz die sah, sprach er zu dem Mädchen:

       »Gib acht, ich will machen, daß die Schiffe kentern.«

       Das Mädchen aber sagte: »Lauf weg! die Schiffsleute

       werden dich erschlagen.« Er hörte aber nicht darauf

       und machte zwei Schiffe kentern; das eine entkam. Da

       gingen die Schiffsleute zum Zaren und sprachen: »Die

       Lamien waren nicht mehr dort, aber ein junger Mann

       ließ uns nicht heran.« Als das ein altes Weib hörte,

       die da war, sagte sie: »Wenn es sich nur um einen

       jungen Mann handelt, will ich ihn schon überlisten.

       Legt mich in eine Kiste und bringt mich zu dem Palast.

       Wenn ich da bin und ihn überlistet habe, stecke

       ich ein Handtuch als Fahne auf; lauft ihr dann dahin.«

       Das taten sie; der junge Mann aber und das Mädchen,

       die gerade am Strande spazierten, sahen die Kiste,

       und er sagte: »Gib acht, sieh, wie ich die Kiste da

       fortschleudere.« Sie antwortete: »Laß sein, tu es

       nicht; es sind vielleicht Schüsseln darin, wir wollen

       uns doch Essen herrichten.« Da nahmen sie die Kiste

       und öffneten sie, und was sahen sie? Darin steckt eine

       Alte, und das Mädchen meinte: »Wir wollen sie mit

       nach Hause nehmen, sie soll unsere Dienerin sein.« Er

       sagte aber: »Nein, ich will sie fortschleudern.« Doch

       das Mädchen blieb bei ihrer Meinung, der Mann gab

       ihr nach, und sie nahmen die Alte mit sich. Da sagte

       die Alte zu dem Mädchen: »Was für eine Heldenkraft

       hat dein Mann?« Die antwortete: »Ich weiß nicht.« –