Lisa Blech

L II


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Mädchen hörte, wie die Männerstimmen verstummten, ein Türschloss knackte, schwere Schritte kamen näher. Sie konnte in der alles umfassenden Dunkelheit nichts – gar nichts – erkennen, war sich jedoch sicher, dass die Typen, zu denen die Stimmen gehörten, sie anstarrten.

      Die Junghexe versuchte sich von der Tür wegzurollen, wurde jedoch mit einem gezielten Tritt festgehalten. Loreleys Atem wurde schwächer, die Luft wich aus ihren Lungen. Der Typ, zu dem der tonnenschwere Fuß gehörte, gackerte kurz und zog sie dann am Arm zu sich hoch.

      „Kannst dem Chef verklickan, dat se wach is!“

      Die Hand um ihren Oberarm gekrallt, drückte er noch fester zu. Loreleys Zähne knirschten. Sie versuchte die Augen zu öffnen, wurde jedoch gleichzeitig mit einer gepfefferten Ohrfeige wieder ins Land der Träume versetzt.

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       Erinnerung – Loreley

      „Alten, stresst mich nicht“

      Loreley saß auf einem roten Küchenstuhl, die Augen und den Verstand völlig fixiert. Sie versuchte gerade einen äußerst wichtigen Zauber zur Transformation eines Glases Wassers in ein Glas voll kaltem Kakao auszuführen, wurde jedoch von Herakles, Ted und Pius daran gehindert.

      „Jungs, echt jetzt! Haltet bitte den Rand!“

      Ihre Laune war nicht gerade auf dem Gipfel der Heiterkeiten. Verständlich, wenn man bedachte, dass ihre Eltern nun auch im Haus der Großmutter wohnten und sie nichts tun konnte, ohne von irgendwem beobachtet zu werden. Ihre Eltern hatten ihre kleine Villa am Rand von Berlin untervermietet und wollten die Situation auch beibehalten, bis Loreley volljährig werden würde.

      Loreley gab es für den Tag auf. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren, wenn die Clowns neben ihr herumalberten. Sie nahm die Zitronenbrause in die Hand, die sie aus dem frischen Wasser gezaubert hatte und schüttete das erquickende Zuckerwasser in ihren Rachen, wo es rasch hinunterglitt.

      „Nu reg dich ma ab, L! Wir ham frei! Entspann dich ma. Echt, ey! Die Andan sind heut dran mit Stadtbewachn, da könn wa och ma chilln!“, versuchte Pius ihre Laune zu bessern, was jedoch keinen sichtlichen Effekt hatte.

      Ihre mannigfach glühenden Augen funkelten ihn hasserfüllt an. Klar, er und die Anderen hatten sie – nicht nur einmal – gerettet, was aber nicht hieß, dass sie ihn IMMER sehen wollte. Sie hätte gern etwas Privatsphäre.

      Loreley verzog das Gesicht, als wenn sie in eine Zitrone gebissen hätte und setzte das Glas auf dem Küchentisch ihrer Großmutter ab. Die Küche war wirklich zu klein für vier Personen. Vor allem, da drei davon pubertierende Jungs waren. Loreley seufzte.

      „Was wolln wir denn heute machen?“, fragte Ted zaghaft nach und stemmte seinen Oberkörper auf die hölzerne Lehne von Herakles' Stuhl.

      Herakles hatte in der Zwischenzeit den Mund voll mit einem viel zu großen Sandwich und versuchte gerade davon abzubeißen, was ihm nicht wirklich gelingen wollte. Er sah aus wie eine gierige Fressraupe, was Loreley ein Schmunzeln auf die Lippen zauberte.

      Die Junghexe konnte die Narben an seinem Hals erkennen, die von seiner Gefangenschaft durch die Blutroten übrig geblieben waren. Sie musste schwer schlucken. Die Geschehnisse mit Gerald und seinen Blutroten schienen ihr, als wären sie gestern gewesen, doch lagen sie nun schon ein halbes Jahr zurück.

      „Jungs, meine Eltern müssten bald nach Hause kommen. Ihr kennt ja die Regeln. Immer in Sichtweite! Keine krummen Sachen!“, ahmte Loreley die krächzende und bestimmende Stimme ihrer Mutter nach und bei den letzten Worten musste sie kichern.

      Pius, der neben ihr auf einem blauen Küchenstuhl saß, schien sich nicht für ihre Ansage oder das äußerst amüsante Treiben von Herakles zu interessieren. Er stierte ins pure Nichts. Das einzige Anzeichen für seine vitalen Funktionen war das Heben und Senken der Brust, die unter einem schlichten schwarzen Kapuzenpulli steckte.

      Woran er wohl denkt? Seine Eltern? Mieses Pack! Schlimmer als jede TV – Sendung! Echt mal!

      Loreley schüttelte den Kopf. Sie hörte das typische Knirschen der Bremsscheiben vom kleinen grünen Polo ihres Vaters. Ihre Mutter würde heute etwas später nach Hause kommen; sie hatte eine Nachricht geschickt. (1)

      KNARZ. Da ging auch schon die Tür des Hauses auf. Loreley kannte die Prozedur.

      TAK. Die Tasche ihres Vaters wurde abgestellt.

      TONK. KLONK. Herr Kautzfeld zog seine Schuhe aus. Dann das typische „Wen es interessiert: Bin wieder da!“.

      Sie hörte ihn in Richtung Küche gehen.

      „Na, ihr Rasselbande! Mensch, das war ein Tag. Die Neunte hat mich fast zur Weißglut gebracht, kann ich euch sagen! Niemand, wirklich NIEMAND hat die Aufgabe hinbekommen! Was aus denen mal werden soll!“, erzählte er halb erschöpft und ließ sich dennoch kerzengerade auf einem der freien Stühle nieder.

      „Loreley, sei doch so gut und mach deinem alten Herrn einen Tee! Kamille, bitte!“

      Während er die Worte sprach, schlug Herr Kautzfeld den 'Berliner Kurier' auf und vertiefte sich in den Nachrichtenteil. Die nächste halbe Stunde würde er keinen von den vier Jugendlichen, die in der Küche verweilten, auch nur eines Blickes würdigen.

      Jajaja. Loreley lief trantütig zur violetten Teekanne, die sie schon erwartungsvoll anfunkelte. Sie strich ihr liebevoll über den Deckel und schon machte sich die Kanne freudig daran, den vom Vater gewünschten Tee zuzubereiten. Es hatte schon ehrlich was Geniales, eine Hexe zu sein – kein Putzen, kein Kochen, kein Abwasch, kein Wäschewaschen. Und die Utensilien machten es gerne für sie.

      Sie schnaufte kurz und bedeutete den Jungs dann, mit ihr ins Wohnzimmer zu gehen. Also schlurfte die Bande in den kuscheligen, kleinen Raum und breitete sich auf den bequemen Sofas aus. Herakles hatte sein Sandwich mitgenommen, das doppelt so hoch wie breit war.

      Spinner!

      Loreley kuschelte sich in eine graue Decke, die über der Lehne des grün-goldenen Sofas gelegen hatte. Vor sich sah sie den wuscheligen, braunen Schopf von Ted, der merkwürdigerweise den Tick hatte, nicht AUF, sondern VOR den Möbeln zu sitzen. Pius fläzte neben ihr und Herakles saß ihnen gegenüber auf dem lilafarbenen Sofa.

      Herakles wollte üble Essensflecken vermeiden, so beugte er sich weit zum kleinen dunklen Holztisch vor und versuchte nicht zu kleckern. Sein sowieso von der Sonne verbranntes Gesicht hatte vor Anstrengung nun die Farbe einer überreifen Tomate. Loreley musste lachen und kuschelte sich dann noch mehr in die weiche, warme Decke ein, wobei sie den Duft des frischen Kamillentees tief einsog.

      „Also, Leude, wat wolln wa heut machn?“, fragte Pius, während er sich den Dreck aus den Fingernägeln polkte.

      Ekelig!

      Loreley grübelte ein wenig nach und dachte an ihre Großmutter, die gerade beim Hexenkonvent war. Die Ratsmitglieder hatten sich immer noch nicht für eine Großhexe oder einen Großhexer entscheiden können, was allen magischen Wesen des Landes allmählich die Nerven raubte.

       Was ist denn daran so schwer?

      Herakles, der sich den letzten Happen seiner riesigen Mahlzeit in den Mund gestopft hatte und immer noch daran herumkaute, machte einen Vorschlag: „Wie wär's denn mit einem kleinen Ausflug?“.

      Herakles' Tonfall ließ auf ein winzig kleines Abenteuer oder wenigstens etwas Spannung schließen, was Honig für Loreleys Ohren war. Der Junghexe kam das Angebot ganz recht.

      „Und, wohin? Vergiss nicht, wir dürfen Schattenthal nur im Notfall verlassen!“, warf Ted ein, der sich gerade eine braune Strähne aus der Stirn fegte, während er sein magisches Lehrbuch zuklappte – es war zerschlissen und mit Teeflecken bestückt.

       Das hat auch schon bessere Tage gesehen!

      „Ah, lass das mal meine Sorge sein, Teddy! Wir werden schon nichts VERBOTENES tun!“