Bärbel Junker

Jagd auf Cosima


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      Sylvias Leiche lag noch genauso da wie sie sie gefunden hatten. Tanja wartete darauf, dass sie geborgen wurde. Endlich war es soweit.

      Zwei weiß gekleidete Männer stellten einen Zinksarg neben dem Leichnam ab. Einer von ihnen legte seine Hände unter Sylvias Schultern, um sie vorsichtig aus dem Wasser herauszuziehen. Ein kleiner Ruck nur und dann ein entsetzter Schrei!

      Mit einem satten, schmatzenden Geräusch löste sich der Körper vom morastigen Untergrund und schleuderte gegen den Leib des vor Grauen wimmernden Mannes, der erst in diesem Moment richtig erkannte, was er da in Armen hielt:

      Sylvias TORSO!

      Von der Taille abwärts war ihr Körper nicht mehr vorhanden. Der Mann schleuderte den halbierten Körper schreiend von sich. Lautlos prallte er auf dem weichen Sandboden auf.

      Und – Sylvias rechter Arm brach mit einem leisen, unaufdringlichen Knacken ab!

      Tanja unterdrückte gerade noch den Aufschrei, der über ihre Lippen drängte. Heckert durfte sie auf keinen Fall bemerken! Der bekam es glatt fertig ihre Kamera zu beschlagnahmen. Sie holte tief Luft und beobachtete weiter.

      Der völlig verstörte Mann wurde in die Obhut eines Arztes gegeben; der halbe Leichnam in den viel zu großen Zinksarg gelegt und dieser verschlossen.

      Sie hatte genug gesehen. Vorsichtig robbte sie lautlos vom Tatort fort. Als sie weit genug entfernt war sprang sie auf und rannte zu ihrem Wagen. Bartels wartete auf ihren Artikel. Sie musste sich beeilen, wenn er noch in der morgigen Ausgabe erscheinen sollte. Sie hätte ihren Artikel durchfaxen können. Aber sie musste sowieso nach Hamburg. Also gab sie Gas.

      Unterwegs ging ihr Sylvias fehlende Körperhälfte nicht aus dem Kopf. Was war damit passiert? Durch ihr Teleobjektiv hatte es so ausgesehen, als sei die untere Hälfte eher abgerissen als abgetrennt worden.

      Hatte der Mörder das getan? Aber weshalb hätte er sich die Mühe machen sollen, wenn er davon ausgegangen war, dass Sylvia ertrinken würde. Weshalb hätte er sie dann auch noch verstümmeln sollen? Oder war der Mörder pervers?

      BREMSLICHT!

      Erschrocken trat sie auf das Bremspedal.

      Das war nicht gut für die Reifen! Ihr Wagen versuchte zur Seite auszubrechen, aber im letzten Augenblick bekam sie ihn wieder in ihre Gewalt. Kurz! Ganz kurz! vor dem Heck des Toyotas vor ihr brachte sie ihren Golf zum Stehen.

      In ihre Überlegungen vertieft, hatte sie den Polizeiwagen und den danebenstehenden Polizisten nicht gesehen, der die Fahrzeuge an einem verunglückten BMW vorbei winkte. Erst die roten Bremsleuchten des vor ihr fahrenden Toyotas hatten sie gerade noch rechtzeitig aufmerksam gemacht.

      Die restlichen Kilometer bis zum Verlag fuhr sie äußerst konzentriert. Aufatmend parkte sie ihr Fahrzeug in der Tiefgarage des Verlagshauses und eilte zum Fahrstuhl.

      Die Kabine beförderte sie in die fünfte Etage, wo sie mit Riesenschritten zu ihrem Schreibtisch eilte und sofort damit begann, ihre brandheiße Story über die Erpressung – von der ihr van Cliff erzählt hatte – und die Ermordung des Hausmädchens Sylvia, in den Computer einzugeben.

      Tanja unterbrach kurz ihre Arbeit, um einem der Volontäre ihr Filmmaterial zu übergeben, damit er es im Eiltempo zum Entwickeln brachte.

       ERPRESSUNG UND MORD

       Erpresser fordert 50 Millionen Euro!

      Durst-Katastrophe in

       N iedersachsen und

       bald auch in Hamburg ?!

      Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren haben, droht der Erpresser, bei Nichtzahlung der geforderten 50 Millionen Euro, seine Wasserkiller in die Trinkwasserversorgungssysteme einzuschleusen. Des Weiteren...

      Tanja ließ nichts aus. Weder den Mord an dem Hausmädchen Sylvia, noch das Abschlachten des Bernhardiners Bosko; und sie vergaß auch nicht, auf die drohende Wassernot und die daraus entstehende Gefahr aufmerksam zu machen.

      Als der Volontär ihre Fotos brachte, suchte sie einige heraus und fügte sie ihrem Artikel bei. Grausig, aber realistisch, dachte Tanja schaudernd. Nachdem sie alles erledigt hatte, fuhr sie nach Harburg, wo sie wohnte.

      Dreißig Minuten später schloss sie die Tür zu ihrem Appartement in der obersten Etage eines vierstöckigen Altbaus auf. „Zu Hause ist es doch am schönsten“, seufzte Tanja.

      Nachdem sie ihre Lederjacke an die Garderobe gehängt hatte, neben der einige schwarz gerahmte Hundertwasser-Drucke Farbe und Lebensfreude in den manchmal trüben Alltag brachten, ging sie in die Küche und schaltete die Espressomaschine ein.

      Die kleine Tasse vorsichtig auf der Handfläche balancierend ging sie hinüber in ihr kombiniertes Wohn-Arbeitszimmer, vor dem ein Balkon mit bequemen Gartenmöbeln zum Faulenzen einlud.

      Sie stellte ihre Tasse auf dem niedrigen Couchtisch ab und ließ sich in einen flaschengrünen Ledersessel fallen, der vor den hohen Bücherregalen stand. Nachdem sie ausgetrunken hatte, vertiefte sie sich in den Kunstband, der noch auf dem Tisch lag.

      Wenig später hatte sie Bartels, die Wasserkiller und alles um sich herum vergessen und begleitete Niki de Sant Phalle durch ihren Tarotgarten.

      TANJAS ALBTRAUM

      „Wasser!“, stöhnte Tanja. „Bitte! Nur einen einzigen Schluck! Hilfe! Nein!“ Sie schoss wie eine Rakete unter ihrer Bettdecke hervor und starrte ängstlich auf die Wand. Langsam schwand die Starre aus ihren grünen Augen. Sie seufzte. Sie hatte nur geträumt! Aber was für einen Traum!

      „Sie wankt halb wahnsinnig vor Durst durch die menschenleeren Straßen ihrer Stadt, bis ein hoher Metallzaun ihr den Weg versperrt. Ein großes Schild hängt daran.

       VORSICHT STARKSTROM!

       Trinkwasserausgabe

       1 Liter 70,- Euro

       Eingang links!

       Vor dem Zaun hocken Dutzende apathisch vor sich hin starrende Menschen, die kein Geld für das lebenswichtige Wasser haben. Sie hocken vor dem Zaun und warten auf ein Wunder oder den Tod. Ab und zu stürzt sich einer von ihnen in den Zaun, um lieber in einem lodernden Energieblitz zu vergehen, als qualvoll zu verdursten.

       Sie schleppt sich zu dem schmalen Durchgang, neben dem zwei schwer bewaffnete Männer stehen.

      „Erst das Geld“, sagt einer der Männer kalt.

       Mit zitternden Händen zieht sie ihre Scheckkarte heraus und hält sie ihm hin. Doch der Mann schüttelt grinsend den Kopf. „Wasser gibt´s nur gegen Bares“, sagt er.

       Noch stärker zitternd fingert sie ihre Geldbörse hervor und reicht sie ihm. „Nehmen Sie alles, aber geben Sie mir Wasser“, fleht sie.

       Er schüttelt den Kopf. „Das sind nur sechzig Euro, dafür gibt es kein Wasser. Besorg dir noch zehn Piepen und komm wieder.“

      „Einen Schluck nur! Bitte! Nur einen winzigen Schluck“, fleht sie.

      „Nichts da! Hau ab oder ich werde ungemütlich“, knurrt er. Doch sie starrt ihn nur an und rührt sich nicht von der Stelle.

       Da stößt er sie mit dem Gewehrkolben weg – ihre Geldbörse steckt er grinsend ein. „Hau ab“, knurrt er und gibt ihr einen Tritt, der sie zu Boden stürzen lässt. Wimmernd bleibt sie liegen.

       Plötzlich ist sie von zahlreichen Füßen umringt, die