Silke May

Treppe zum Licht


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den Gruß mit den gleichen Worten und musste wegen ihrer Schreckhaftigkeit über sich selbst lachen.

      Sie betrachtete die Kleidung der beiden Wanderer und sah dann an sich herunter. In diesem Moment wusste Solana, dass sie unbedingt etwas anderes zum Anziehen brauchte. Nachdem sie jetzt für immer hier leben würde, musste sie sich natürlich auch in dieser Hinsicht anpassen.

      Sie vernahm das Pfeifen eines Murmeltieres und blieb stehen. Mit den Augen suchte sie den ganzen Hang ab, da sah sie plötzlich auf einem großen Stein das kleine braune Murmeltier aufrecht stehen. Sie beobachtete es eine ganze Weile, bis es hinter dem Stein verschwand.

      Solana ging weiter und staunte ob der schönen Umgebung und den herrlich hohen Bergen. Sie ging immer weiter aufwärts.

      Die Hänge waren hier oben viel karger und der Wind pfiff ihr um die Ohren. Mächtige Felsentürme breiteten sich aus. Solana erreichte gerade ein schrofiges Felsengebiet, als sie unwillkürlich alarmiert zusammenfuhr.

      Sie befand sich in unmittelbarer Nähe des Bergeingangs zur Höhle der Gomas. Hastig machte sie auf dem Absatz kehrt und lief eiligst wieder ein Stück abwärts. Da fiel sie über eine Baumwurzel und stürzte auf den Boden. Als Solana bäuchlings auf der Erde lag, knackte es im Gebüsch. Sie sah hoch und ein eiskalter Schauer fuhr ihr über den Rücken.

      Ein Wächter der Gomas kam gerade aus dem Gebüsch. Rasch duckte sie sich auf den Boden in der Hoffnung, dass er sie nicht sehen würde. Solana traute sich kaum zu atmen, als sie mit Entsetzen sah, dass er direkt auf sie zukam.

      Was sollte sie jetzt tun? Wenn er die Richtung beibehielt, würde er direkt auf sie treffen. Sie konnte doch nicht liegen bleiben und auf ihn warten.

      Der Wächter kam immer näher und Solana standen trotz der Gänsehaut, die sich über ihren Körper zog, die Schweißperlen auf der Stirn. Als er nahe genug war, erkannte sie den Wächter: Es war Mos, der älteste unter ihnen und ein treuer Diener ihres Vaters.

      Solana wusste, dass er nicht mehr der Schnellste war, und sah darin ihre Chance zu entkommen.

      Allerdings wusste sie auch, dass er sie sofort erkennen würde, denn seine Augen waren noch gut. Sicherlich würde er ihrem Vater berichten, dass er sie gesehen hatte.

      Schnell sah sie sich nach einem Fluchtweg um, auf dem sie verschwinden konnte. Solana entdeckte etwas weiter aufwärts eine enge Schlucht zwischen den Felswänden zweier Bergmassive.

      »Okay, los!«, feuerte sie sich selbst leise an. Dann sprang sie auf und rannte um ihr Leben.

      »Solana!«, hörte sie den Alten hinter sich rufen, doch da verschwand sie schon in der unwegsamen Schlucht. Es ging steil aufwärts und ein modrig feuchter Geruch lag in der Luft.

      Sie rannte, bis sie nicht mehr weiterkam, weil ihr ein Wasserfall den Weg versperrte.

      »Solana bleib stehen!«, hallte es in die Schlucht hinein.

      Rasch versteckte sie sich hinter einem großen Felsenquader in unmittelbarer Nähe des Wasserfalls.

      Sie spitzte hinter dem Felsen hervor und sah mit Erleichterung, dass ihr der Alte offenbar nicht gefolgt war. Dennoch verweilte sie eine angebrachte Zeit dahinter. Erst als sie sich sicher war, dass er wohl nicht mehr kommen würde, traute sie sich wieder hervor.

      Vorsichtig verließ sie die enge Schlucht und lief auf dem schnellsten Weg zu ihrer Höhle zurück, denn für heute reichten ihr die Ausflüge und die neuen Erfahrungen. Als sie in ihrer Höhle ankam, saß dort bereits Alwin auf dem Stein und wartete auf sie.

      »Wo warst du denn so lange?«, fragte er.

      »Ich habe mir die Berge angesehen. Bist du schon lange hier?«

      »Ziemlich lange. Ich war mit der Arbeit schneller fertig, weil ich mich extra beeilt habe.«

      »Stell dir vor, ich war weiter oben auf dem Berg und da hätte mich bald einer der Wächter meines Vaters erwischt. Ich konnte gerade noch entkommen, musste aber warten, bis er weit genug weg war.«

      »Hat er dich erkannt?«

      Solana nickte zustimmend. Alwin sah sie eine Weile wortlos an. Dann stand er auf und ging auf sie zu. Er zog sie an sich und drückte sie fest an seinen Körper. Solana spürte seine Wärme, die auf sie überging. Sie fühlte sich in seinen Armen geborgen und wünschte sich insgeheim, dass er sie sehr lange so an sich gedrückt halten würde.

      »Du musst mit zu mir kommen. Du kannst hier nicht mehr bleiben. Es ist einfach nicht mehr sicher«, sagte er leise.

      »Ich kann doch nicht einfach mit zu dir? Was glaubst du, wird dein Vater dazu sagen?«

      »Lass das nur meine Sorge sein. Pack deine Sachen zusammen und lass uns gehen.«

      Etwas zögerlich packte sie ihre Habseligkeiten zusammen, wobei sie ein flaues Gefühl in der Magengegend verspürte. Während sie abwärtsgingen, waren ihre Gedanken bei Alwins Vater. Wie mochte er wohl sein? War er so streng wie ihr eigener Vater?

      »Solana, wo bist du denn mit deinen Gedanken?«

      Alwin riss sie aus ihren Überlegungen.

      »Was ist los? Ich war gerade abgelenkt.«

      »Ich sagte, dass mein Vater überrascht sein wird, wenn ich dich mitbringe.«

      »Ja, das wird er wohl. Hoffentlich ist er nicht böse deswegen?« Alwin lachte. »Aber nein, er ist eine herzensgute Seele. Mein Vater ist ein liebevoller und verständnisvoller Mann.« Da konnte sie auch schon das Haus von Alwin sehen. Solana bekam Herzklopfen und blieb abrupt stehen.

      »Meinst du wirklich, dass wir das Richtige tun?«

      »Ja. Natürlich. Jetzt komm schon!«

      Alwin nahm sie bei der Hand und zog sie weiter. Als sie vor dem Haus standen, sagte er zu ihr: »Setz dich hier auf diese Bank, ich komme gleich wieder. Ich möchte nur kurz mit meinem Vater sprechen.«

      Solana setzte sich auf die hölzerne Bank an der Hausmauer und versank in ihre Gedanken. Was wäre, wenn sie weglaufen würde? Könnte sie alleine überleben? In Anbetracht dessen, was ihr Alwin über die kalten Wintermonate erzählt hatte, überkamen sie Zweifel. Da trat Alwin auch schon aus dem Haus und ging auf Solana zu.

      »Komm, er war sofort einverstanden«, sagte er gut gelaunt und hielt ihr die Hand entgegen.

      Noch bevor sie das Haus betraten, kam ihnen Alwins Vater entgegen. Er war so groß wie Alwin, hatte ein freundliches Gesicht und schwarzes Haar. Solana fasste sofort Vertrauen zu ihm, denn seine schwarzen Augen strahlten Wärme aus.

      »Herzlich willkommen, Solana!« Er reichte ihr die Hand und hielt sie mit beiden Händen fest, wobei er ihr in die Augen sah.

      »Komm herein, sicherlich hast du Hunger.« Solana folgte seiner Aufforderung.

      Sie betraten die große Küche, Alwin schob sie zum Esstisch und drückte sie sanft auf einen Stuhl. Sein Vater deckte dabei den Tisch und sagte zu Solana:

      »Ich heiße Gor und du darfst mich auch so nennen«, dabei lächelte er sie an.

      »Danke«, sagte Solana schüchtern.

      Das Essen schmeckte vorzüglich und immer wieder sah sie zu Gor, denn sie hatte das Gefühl, als würde sie ihn kennen, was aber natürlich nicht möglich war. Aber auch Gor musterte sie immer wieder, und wenn er sah, dass sie es merkte, lächelte er sie freundlich an.

      Als sie mit dem Essen fertig waren, stand Gor auf, holte von dem großen weißen Schrank eine Schüssel mit Pudding und stellte sie auf den Tisch. Er holte kleinere Schüsselchen dazu und gab für Solana eine größere Portion hinein.

      »Jetzt gibt es noch einen leckeren Schokoladenpudding.« Sie nahm einen Löffel davon und probierte.

      »Mmmh, fein! So etwas habe ich noch nie gegessen.« Gor sah sie fragend an.

      »Woher kommst du denn, dass du so etwas noch nie gegessen hast?«

      »Ich komme aus dem Berg.