zuckten vom Himmel. Der Wind blies jetzt heftig und Solana zitterte, langsam ängstigte sie sich.
»Du brauchst dich nicht zu fürchten. Das Gewitter ist noch ein Stück von uns weg. Ist es noch weit zu deiner Höhle?«
»Nein, es kann nicht mehr lang dauern. Da vorne ist schon der kleine Wald, durch den das Bächlein fließt.«
»Meinst du den Mühlbach?« Solana zuckte mit den Achseln.
»Schau, da vorne, das ist der Wald. Da müssen wir hinein und dann über das Wasser gehen.«
»Das ist der Mühlbach! Der heißt so, weil er die Mühle unten im Dorf mit Wasser versorgt.« Sie gingen durch das kleine Wäldchen und überquerten den Bach auf einem schmalen Holzsteg. Dann betraten sie einen schmalen Felsweg, der aufwärts führte, und gingen auf diesem noch ein kurzes Stück.
»Schau, hier ist sie.«
Alwin folgte ihr hinein und sah erstaunt, wie groß sie war.
»Ich hätte nie gedacht, dass es hier so große Höhlen gibt«, sagte er und stellte den Beutel und die beiden Kannen auf den Boden.
Er setzte sich neben einen großen Steinquader, der sich inmitten der Höhle befand, und ließ seinen Blick herumschweifen. Nach einer Weile erhob er sich, breitete auf dem Stein ein Geschirrtuch aus und richtete darauf seine mitgebrachten Speisen an.
»Komm, setz dich und lass es dir schmecken.«
Solana setzte sich ihm gegenüber und sah zu, wie Alwin das Brot in Scheiben schnitt und es mit Wurst und Käse belegte. Er reichte Solana eine Scheibe und sie biss herzhaft hinein.
»Mmmh, schmeckt das fein«, sagte sie und grinste ihn an, während sie es sich schmecken ließ.
»Freut mich, dass es dir schmeckt. Das sind Produkte von unserem Hof.«
»Soll das heißen, dass ihr das alles Selbst gemacht habt?«
»Ja, alles. Auch das Brot.«
»Deine Mutter hat das Brot sehr gut gemacht.«
»Das war mein Vater. Ich habe keine Mutter mehr, sie ist vor drei Jahren gestorben«, erklärte Alwin.
Langsam wurde es in der Höhle dunkel und er stellte eine brennende Kerze auf den Steinquader, damit sie Licht hatten.
Ein Sturm fegte draußen vorbei und große Tropfen platschten auf den Boden. Zwischendurch blitzte und krachte es, als würde die Welt untergehen. Solana erschrak fürchterlich, als ein Blitz in unmittelbarer Nähe der Höhle einschlug und ein lautes Krachen die Erde erschütterte. Sie saßen beide an die kalte Felsmauer im hinteren Teil der Höhle gelehnt. Alwin nahm seine Wolldecke und legte sie Solana um den Rücken und wickelte sie förmlich darin ein. Zuletzt legte er seinen Arm um das warm eingepackte Mädchen und drückte sie fest an seine Seite. Jetzt fühlte sie sich geborgen. Die flauschige Decke wärmte ihren Körper und Alwins Arm umschlang ihre Schultern.
In diesem Augenblick hoffte Solana, dass das schaurige Gewitter lange anhalten würde, damit sie noch eine Weile so sitzen bleiben konnten. Schweigend saßen sie nebeneinander und schauten in das flackernde Kerzenlicht.
»Solana, in der kalten Jahreszeit kannst du hier nicht bleiben. Wir werden etwas anderes für dich finden müssen«, sagte Alwin leise.
»Was denn?«, fragte sie neugierig.
»Kannst du kochen?« Solana schüttelte den Kopf.
»Wäsche waschen und bügeln?« Wieder verneinte sie.
»Bisher habe ich nur ein einziges Mal meine Kleidung im Bach vor der Höhle gewaschen. Außer Gehorchen und Sprechen hat man uns wohl bewusst nichts beigebracht, damit wir von unserem Volk abhängig bleiben.«
»Okay, dann muss ich mir für dich etwas ganz Besonderes einfallen lassen.«
»Warum muss ich hier weg?«
»Weil es im Winter eiskalt wird, du würdest erfrieren.«
»Ach so«, sagte Solana lapidar, denn sie war sich der Tragweite ihres Schicksals nicht bewusst.
»Was heißt hier ‚ach so’?«, rief Alwin entrüstet und erklärte ihr dann, was es mit dem Erfrieren auf sich hatte. Langsam begriff sie, wie gefährlich es war und dass es für sie den Tod bedeuten würde. Das wollte sie selbstverständlich nicht, noch dazu jetzt, wo sie Alwin an ihrer Seite hatte.
»Ich hätte mir nie gedacht, dass es so schwierig ist, außerhalb des Berges zu leben. Wie konntet ihr das von Anfang an aushalten?«
»Weißt du, jeder von uns hatte Vorfahren, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen an uns weitergaben. Auf diese Weise lernten wir, zu leben und zu überleben. Und jeder von uns macht täglich neue Erfahrungen, die er später selbst weitergeben wird.«
»Bei uns ist das ganz anders. Ein kleiner Teil der Gomas sind die Versorger und der Rest lebt in den Tag hinein, bis es Nacht wird und damit Zeit, sich zu verschmelzen.«
Alwin schmunzelte vor sich hin.
»Nicht schlecht. Ich fürchte aber, bei Euch wird es bald eine Bevölkerungsexplosion geben. Davon abgesehen würde mir dieses Leben auch gefallen«, sagte er grinsend.
Solana versetzte ihm einen leichten Hieb mit dem Ellbogen in die Seite.
»Es werden im Verhältnis sehr wenig Gomas geboren. Warum das so ist, weiß ich nicht, aber von diesen wenigen überleben viele nicht einmal die ersten Tage.«
Sie unterhielten sich weiter bis spät in die Nacht hinein. Irgendwann wurden beide von Müdigkeit übermannt und sie schliefen eng aneinandergeschmiegt ein.
Solana und Alwin verließen am Morgen sehr früh die Höhle. Sie gingen gemeinsam hinunter zum Gatter, dann trennten sich ihre Wege.
»Solana, ich muss jetzt meinem Vater helfen. Wenn ich fertig bin, komme ich zu dir hoch und wir treffen uns in der Höhle.«
»Woher weiß ich, wann du kommst?«
»Siehst du die drei Bergzacken dort drüben?«, fragte Alwin.
»Ja, die sehe ich«, antwortete Solana und folgte mit ihrem Blick seinem ausgestreckten Zeigefinger, der zu den Gipfeln deutete.
»Wenn die Sonne den abgeschnittenen Zacken in der Mitte erreicht hat, dann werde ich zu dir hochkommen.«
»Schön, und ich suche uns inzwischen etwas zum Essen.«
Alwin lächelte sie an und strich ihr sanft mit dem Zeigefinger über die Wange.
»Das brauchst du nicht, ich bringe uns etwas mit.«
Freudestrahlend sah Solana ihn an, doch plötzlich wurden ihre Gesichtszüge ernst.
»Musst du wieder gehen, bevor es dunkel wird?« Alwin sah sie ziemlich lange an.
»Wenn du möchtest, dann bleibe ich wieder bei dir.« Solana nickte eifrig mit dem Kopf. »Ja, ich möchte gerne, dass du bleibst.«
»Okay, dann werde ich bleiben.«
Alwin hob mit der Hand leicht ihr Kinn und sah ihr ins Gesicht. Dann gab er ihr einen sanften Kuss auf den Mund. Solana durchfuhr ein heftiges Kribbeln bis in die Zehenspitzen, während sie seine weichen Lippen auf den ihren spürte. Dann trennten sich ihre Wege.
Alwin nahm die Abkürzung über das Gatter und Solana lief wieder ein Stück aufwärts. Sie spürte immer noch seine Lippen auf ihrem Mund und hätte am liebsten vor Entzücken einen Glücksschrei losgelassen.
Wenn sie so ein kurzer Lippenkontakt schon derart beglückte, wie mochte es dann erst bei einem richtigen Kuss von ihm sein?Genau das war es, was sie schnellstens herausfinden wollte. Sie ging den schmalen Schotterweg am Hang entlang und war mit ihren Gedanken bei Alwin. Plötzlich hörte sie hinter sich den Kies knirschen und erstarrte. Abrupt blieb sie stehen und drehte sich hastig um. Hinter ihr gingen ein Mann und eine Frau, jeder von ihnen mit einem Stock in der Hand, und sahen sie freundlich