bin ich ein Mann, da weiß man so etwas.« Solana lachte und sagte: »Ein Mann … seit wann?«
Janis sah sie entsetzt an. »Möchtest du mich ärgern?«
Durch den Korridor hallte ein Gong.
Janis machte mit der Hand eine abfällige Geste und drehte sich von Solana weg.
»Ich muss jetzt gehen, es gibt Mittagessen. Wirst du auch kommen?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich muss abwarten, ob meine Mutter mich holt oder ob ich meine karge Speise hier zu mir nehmen muss«, sagte sie bedauernd. Daraufhin verließ Janis den Raum und Solana setzte sich auf einen Holzschemel.
Rasch kam sie ins Grübeln. Sie dachte wieder an den dunklen Himmel, der mit unsäglich vielen leuchtenden Punkten übersät war, und an das laue Lüftchen, das mit ihren Haaren spielte und ihre Haut streichelte. Sie erinnerte sich an die Unterhaltung mit Janis und ihren ersten Kuss, den sie als sehr angenehm empfunden hatte.
Solana war sich sicher, dass Janis sie sehr lieb hatte, aber sie war unschlüssig, ob sie sich in der Hochzeitsnacht von ihm auch Schmerzen zufügen lassen wollte. Immer wieder hörte sie von den jungen Frauen, dass es wichtig war, den Mann zu lieben, mit dem man die Hochzeitsnacht verbrachte. Dann war der Schmerz längst nicht so stark zu spüren. Ihre Gedanken wanderten erneut zu ihrem Vorhaben.
Noch heute Nacht wollte sie aus dem Berg der Gomas verschwinden. Sie packte ein paar Kleidungsstücke in einen Leinenbeutel und versteckte ihn hinter den Kissen auf ihrem Schlaflager.
Was ihr gerade noch rechtzeitig gelang, denn schon öffnete sich leise die Tür und ihre Mutter trat ein.
Sie hielt ein kleines Holztablett in ihren Händen, auf dem eine Schüssel mit dampfender Suppe stand, ergänzt von einem Hirsefladen. Besorgt sah sie ihre Tochter an.
»Es tut mir leid, aber dein Vater möchte immer noch nicht, dass du mit uns speist. Er ist sehr gekränkt, denn du hast ihn mit deiner Bockigkeit überaus verletzt.«
»Ich werde nicht gleich sterben, wenn ich nicht an eurem Tisch sitze. Es tut mir nur ein bisschen Leid für dich, denn du hast diesen Ärger nicht verdient. Mein Vater ist ein selbstherrlicher alter Mann, dem geschieht das alles ganz recht!«, rief Solana aufgebracht.
Mata ging auf sie zu und umarmte sie fest.
»Ach, Kind, ihr macht es euch doch nur gegenseitig schwer. Ich hoffe inständig, dass ihr bis zu deiner morgigen Hochzeit wieder Frieden geschlossen habt.«
»Ich werde nicht heiraten!«, platzte Solana da heraus. Das Gesicht ihrer Mutter verfinsterte sich schlagartig.
»Solana rede nicht so dumm daher! Du weißt genau, dass dir gar nichts anderes übrig bleibt. Oder willst du etwa niedere Arbeiten in den Gewölben verrichten«, ermahnte sie Mata.
»Pah«, gab Solana spöttisch zurück.
»Übrigens möchte Janis gern wissen, ob es dir etwas ausmacht, wenn er nach dem Abendmahl noch einmal bei dir vorbeischaut.«
»Ich möchte heute niemanden mehr sehen«, erklärte Solana bestimmt.
Ihre Mutter verließ kopfschüttelnd den Raum und ihre Tochter aß ihre Suppe.
Den Hirsefladen packte sie in ihren Beutel. Dann wusch sie noch einmal ihren Körper und ihre Haare gründlich, schließlich wusste sie nicht, wann sie dazu wieder Gelegenheit haben würde. Am frühen Nachmittag legte sie sich auf ihr Kissenlager und schlief ein.
»Kind, hier ist dein Abendmahl«, weckte sie ihre Mutter ein paar Stunden später. Solana rieb sich die Augen. Sie hätte nicht erwartet, dass sie bis zum Abend durchschlafen würde.
»Gleich morgen früh, noch vor dem Frühstücksmahl, wird dein Vater zu dir kommen. Er möchte mit dir über die Hochzeitszeremonie sprechen«, informierte Mata ihre Tochter. Solana nickte.
»Ja, schon gut … was hast du mir zum Essen mitgebracht?«
»Einen Krug mit Milch, einen Fladen mit Honig und dazu Obst.«
»Was gab es denn bei euch?«
»Bei uns gab es Milchsuppe und süße Fladen.«
Das war eine schnelle Mahlzeit, also wusste Solana nun, dass sich alle bereits in ihren Zimmern aufhielten. Sie musste nur noch ein wenig warten, dann konnte sie sich davonmachen.
»Schlaf gut, mein Kind.« Mata umarmte und küsste sie, woraufhin Solana entgegnete:
»Schlaf auch gut, liebe Mutter. Und sei mir bitte nicht mehr böse! Ich habe dich sehr lieb.«
Mata kniff ihre Tochter liebevoll in die Wange.
»Ich hab dich auch lieb, mein Kind.« Dann verließ die Ahnungslose den Raum.
Solana trank ihre Milch, aß den Honigfladen und packte das Obst in den Beutel.
Noch einmal zog sie frische Kleider an, um dann mit dem Beutel auf ihrem Schoß dazusitzen und zu warten …
*2*
Solana öffnete leise die Tür, streckte den Kopf hinaus und lauschte. Alles war ruhig. Auf leisen Sohlen huschte sie durch den Korridor. Immer wieder blieb sie kurz stehen und horchte in die Stille, dann lief sie eilig weiter. So bewegte sie sich durch einen Gang nach dem anderen … immer ihr Ziel vor Augen.
Endlich erreichte sie den verbotenen Korridor. Sie öffnete die schwere Tür und schlüpfte hindurch. Dann zog sie sie leise hinter sich zu und stand nun vor der langen, steil aufwärts führenden Steintreppe.
Das Herz pochte ihr bis zum Hals, während sie langsam die Stufen emporstieg. Immer wieder kam ihr der Gedanke an ihre Mutter, die sich bestimmt Sorgen machen würde. Ob es wohl richtig war, sie einfach in Stich zu lassen?
»Ja, es muss sein«, beruhigte sie sich selbst, »ich kann ja wieder zurückgehen«, aber in ihrem Innern wusste sie, dass das niemals mehr möglich sein würde.
Endlich erreichte sie die Tür, die hinausführte.
Solana glaubte, ihr Kopf würde gleich explodieren, so laut rauschte das Blut durch ihre Adern. Sie hatte schweißnasse Hände, als sie sich gegen die Tür stemmte.
Schon stand sie im Freien und der Wind blies ihr ins Gesicht.
Es war eine schwarze Nacht, weder Mond noch Sterne waren zu sehen. Solana erschrak, denn nichts von der Schönheit, die sie beim ersten Mal so überwältigt hatte, war heute vorzufinden. Nur ein stockfinsteres Nichts.
Kurz zögerte sie – sollte sie wieder kehrtmachen?
Aber in diesem Moment riss ihr eine Windböe die Tür aus der Hand und schlug sie mit einem dumpfen Knall zu.
Jetzt war es sowieso zu spät. Hastig lief sie ein Stück vom Eingang weg und versteckte sich hinter einem Felsen, denn sie befürchtete, dass der laute Knall jemandes Aufmerksamkeit geweckt hatte. Wenn man sie hier finden würde, müsste Solana mit einer schweren Strafe rechnen, wenn nicht sogar mit dem Tod.
Nun kauerte sie in der Hocke in ihrem Versteck und die Tränen liefen ihr über die Wangen. Ihr ganzer Mut hatte sie urplötzlich verlassen.
So saß sie dort eine ganze Weile, die Augen immer zum Felseneingang gerichtet. Sie erwartete, dort jeden Moment einen Lichtschein zu sehen und die Wächter ihres Vaters, die kommen würden, um nach ihr zu suchen. Aber nichts geschah, alles blieb dunkel.
Nach einiger Zeit siegte jedoch ihre Vernunft. Solana musste von hier weg, denn spätestens im Morgengrauen würde man sie vermissen. Sie erhob sich und lief vorsichtig bergab. Dabei stolperte sie über Wurzeln und kleinere Felsbrocken, die am Hang verstreut lagen. Während sie abwärtsging, blickte sie nach wie vor immer wieder zum Felsen hoch, ob sie dort schon Lichter sah.
Der Wind wurde stärker und schlagartig fielen dicke Regentropfen aus dem schwarzen Himmel. Solana konnte kaum etwas sehen, ihre Wahrnehmung