Beth St. John und Michelle Parker

Dunkler Engel


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schon öfter gesagt.

      Lindsay rollte die Augen. „Mein Gott, du tust immer so, als wenn ich vollkommen aus der Welt gewesen wäre“, entgegnete sie, doch Karolina wusste, dass auch sie ihrer Freundin gefehlt hatte.

      „Wie läuft es denn im Musical-Orchester?“, wechselte Karolina deswegen das Thema.

      „Oh, die Arbeit läuft toll. Nach der Geburt hat es mir total gefehlt, Geige zu spielen. Das Orchester ist super, alle sind hochmotiviert, haben unheimlichen Spaß an dem was sie tun und das zeigt sich natürlich auch im Ergebnis. Man sollte ja meinen, dass bei so vielen Leuten immer einer aus der Reihe tanzt, aber wir sind ein wirklich tolles Team. Und wie läuft es denn bei dir?“

      Es freute Karolina wirklich, ihre Freundin so glücklich zu sehen, und sie gönnte es ihr vom ganzen Herzen.

      „Es läuft alles gut wie immer“, antwortete sie knapp, denn sie wollte jetzt nicht jammern und von dem gescheiterten Engagement erzählen. Tatsächlich lief es, abgesehen davon, ja wirklich gut. Auch in ihrem Orchester klappte die Zusammenarbeit, die Kollegen waren ein perfektes Team und ansonsten konnte sie sich auch nicht beklagen. Aber Lindsay wäre nicht Karolinas beste Freundin, wenn sie nicht sofort gemerkt hätte, dass da etwas nicht stimmte.

      „So knapp angebunden heute? Was ist denn los? Fehlt dir was in deinem Leben? Ein Mann? Kinder?“

      Wenn Karolina ehrlich war, hatte sie nie darüber nachgedacht, ob sie Kinder haben wollte. Bisher hatten die Musik und ihre Karriere immer im Vordergrund gestanden und solange sich ihr Traum von einer größeren Karriere nicht erfüllt hatte, machte es wohl sowieso keinen Sinn, über Familienplanung nachzudenken. Noch war sie jung und konnte sich auf ihre Karriere konzentrieren. Sie wollte nicht darüber grübeln, was auf sie zukommen sollte, wenn das alles nicht so klappte, wie sie sich es wünschte. Und Männer? Die spielten in ihrem Leben gerade keine sehr große Rolle. Das wusste Lindsay natürlich auch. Karolina wollte sich nicht ständig für ihren Beruf und ihre unregelmäßigen Arbeitszeiten rechtfertigen. So hatte sie sich schon länger nicht mehr auf eine Beziehung eingelassen. Lindsay ließ kein Treffen aus, um ihr etwas von ‚dem Richtigen‘ zu erzählen, der noch auf sie warten würde. Karolina wusste nicht so recht, ob sie wirklich an die einzig wahre Liebe glauben sollte. Ihr war sie bisher zumindest noch nicht begegnet. Umso mehr bewunderte sie Lindsay dafür, wie perfekt sie das alles unter einen Hut bekam – mit Mann, Kind und Beruf. Deswegen schüttelte Karolina nur lächelnd den Kopf, was ihr einen fragenden Blick von Lindsay einbrachte.

      „Was ist es dann?“

      Karolina senkte den Blick und rührte mit dem Löffeln in ihrem Kaffee herum. Eigentlich fehlte ihr die Lust, darüber zu reden, aber sie wusste auch, dass ihre Freundin nicht locker lassen würde, bevor sie wusste, was passiert war.

      „Nun rück schon raus mit der Sprache. Du weißt, dass ich kein geduldiger Mensch bin“, warnte Lindsay amüsiert und tatsächlich knickte Karolina ein.

      „Also gut“, seufzte sie ergeben. „Ich hatte Anfang der Woche ein Vorspielen für die erste Geige im Opernhaus von Sydney.“ Bei den Worten bekam Lindsay große Augen – sie wusste, was das bedeutete. „Aber ich habe die Anstellung leider nicht bekommen“, fuhr Karolina fort.

      Lindsay wollte Karolina gerne sagen, wie leid ihr das tat, doch diese ließ sie gar nicht zu Wort kommen. „Mein Spiel war nicht gut an diesem Tag. Die Leidenschaft hat einfach gefehlt. Ich war so nervös, dass ich das Spielen nicht genießen konnte und total verkrampft war.“

      Nun griff Lindsay nach ihrer Hand und drückte diese fest.

      „So schlecht kann es doch gar nicht gewesen sein.“

      „Nun, ich sitze immer noch hier in San Francisco und werde nächsten Monat nicht nach Sydney fliegen, um dort die erste Geige zu spielen. Also war es einfach nicht gut genug“, erklärte Karolina realistisch.

      „Süße, das tut mir wirklich unheimlich leid, auch, dass ich nicht für dich da war. Wieso hast du mir nichts davon erzählt? Wusste Henry davon? Was sagt er denn dazu?“ Es klang kein Vorwurf in ihren Worten mit.

      „Ich hatte mit Absicht niemandem außer Henry davon erzählt, aus Angst, dass ich den Erwartungen nicht gerecht werden kann. Genau das war ja letztendlich auch der Fall. So habe ich wenigstens nur mich selbst enttäuscht.“

      „Oh je, das tut mir leid, Karolina!“

      „Das muss dir nicht leid tun. Es ist in Ordnung. Ich habe es inzwischen überwunden. Henry sagt, dass ich den Kopf nicht hängen lassen soll und dass eine noch größere Chance irgendwo auf mich wartet. Bis dahin möchte ich die Zeit nutzen und noch viel besser werden.“

      „Aber wie willst du das anstellen?“, fragte Lindsay sichtlich verblüfft. „Du gehörst zu den besten Violinisten, die ich kenne und du übst doch jetzt schon ununterbrochen.“

      Nun zuckte Karolina ratlos mit den Schultern.

      „Ich habe viel darüber nachgedacht und nun für mich entschieden, dass ich noch viel effektiver üben muss. Allerdings gelingt mir das nicht mit meinem normalen Übungsplan. Ich bin schon seit Tagen auf der Suche nach neuen Übungsmethoden, aber sowohl meine Bücher als auch das Internet geben leider nicht sehr viel her. Vielleicht suche ich mir einen externen Trainer.“

      „Neue Trainingsmethoden? Hm.“ Plötzlich wurde Lindsay seltsam nachdenklich.

      Karolina zog fragend eine Augenbraue hoch. „Worüber denkst du nach? Kennst du eine Methode, die Wunder wahr werden lässt?“

      „Nein“, antwortete sie knapp.

      „Was ist es dann? Jetzt verschweigst du mir doch irgendwas“, behauptete Karolina und war davon überzeugt, dass es stimmte.

      Lindsay kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum und rührte nun ihrerseits unruhig mit dem Löffel im Kaffee herum. Gerade als sie etwas sagen wollte, wurde Amy wach und fing an zu schreien. Lindsay nahm sie aus dem Kinderwagen und drückte sie liebevoll an sich, doch auch das half nichts. Das Kind wollte einfach nicht ruhig werden. Plötzlich drückte Lindsay Karolina ihre Tochter in die Hand.

      „Hier halt du sie mal.“

      Ehe Karolina sich versah, hatte sie ein kleines Mädchen in den Armen, das augenblicklich aufhörte zu schreien. Verblüfft schaute sie Amy an, die glucksende Geräusche von sich gab.

      „Oh, wie schön. Ich wusste doch, dass das klappt“, kommentiere Lindsay die überraschende Aktion stolz.

      Für den Moment war Karolina vollkommen perplex. Sie hatte in ihrem Leben noch nicht oft ein Kind auf dem Arm gehabt. Es fühlte sich seltsam fremd an. Lindsay hatte gehofft, dass Amy sie vollkommen aus dem Konzept bringen würde, sodass sie jetzt das Thema wechselten, aber leider war Karolina nicht so leicht aus dem Konzept zu bringen.

      „Lindsay – ich höre“, sagte Karolina streng mit dem Baby auf dem Arm.

      „Ach Mensch, dass du auch nie Ruhe geben kannst.“

      „Das habe ich mir von dir abgeschaut.“

      „Mist, dann haben wir wohl doch zu viel Zeit miteinander verbracht, wenn du mich jetzt schon mit meinen eigenen Mitteln schlägst.“

      „Lindsay …“

      „Schon gut, schon gut. Also … Es gibt da etwas, das ich dir nie erzählt habe“, druckste sie schließlich herum.

      Karolina wurde hellhörig. Natürlich gab es viele Dinge aus Lindsays Leben, die sie nicht wusste, schon alleine weil der Kontakt zeitweise abgebrochen war. Trotzdem hatten sie sich über die wirklich wichtigen Sachen im Laufe der Jahre immer ausgetauscht. Jetzt klang es aber so, als wenn ihre Freundin ihr mit Absicht etwas Wesentliches verschwiegen hatte. Als Karolina nichts erwiderte, sondern sie einfach nur auffordernd ansah, seufzte Lindsay und fuhr fort.

      „Ich hatte da mal was mit einem Typen. Also, der konnte auch unheimlich gut Geige spielen und um besser zu werden, hatte er auch ziemlich ausgefallene Trainingsmethoden.“

      Irgendein Mann also? Das nahm sie Lindsay