Sabine Roth

Die Wälder von NanGaia


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und zerstörten, was immer sich dort noch an Leben befand.

       Viel zu lange dauerte es, bis die Kräfte der Kämpfenden endlich erlahmten. Viel zu lange, bis das tödliche Ringen zu Ende ging. Bis der Schatten - dem Erlöschen jetzt nahe – endlich aufgab, und zurück in die Hügel floh, von denen er gekommen war.

       Aber auch die Geistwesen der Wälder hatten viel Kraft verloren. Und sie ließen ihn ziehen, weil er keine Gefahr mehr bedeutete, sodass er der Vernichtung entging. Aber ihr Sieg über das fremde Wesen war teuer erkauft.

       Die Stätte ihres Kampfes war gänzlich verwüstet.

       In der einst fruchtbaren Ebene, die eine Vielzahl an Leben beherbergt hatte, war nun jedes Leben erloschen, herrschten statt seiner nun Düsternis und tödliche Stille. Wo eben noch üppiges Grün gewuchert, wo sich ein endloses Blütenmeer erstreckt hatte, qualmten jetzt überall Haufen aus Asche. Und zwischen ihnen lagen, kaum mehr als solche erkennbar, die verkohlten Überreste von Menschen und Tieren - grausige Zeugen eines grauenvollen, eines alles vernichtenden, und am Ende doch sinnlosen Kampfes.

       Denn trotz ihres Sieges über das Schattenwesen war die Macht der Geistwesen von diesem Tag an gebrochen. Trotz ihres Sieges war dies der Tag, an dem die Herrschaft anderer Kräfte begann - in der Welt, die sich jenseits der Wälder befand.

       Und auch der Schatten war nicht besiegt. Obwohl geschwächt und dem Ende nahe, wusste er doch, dass seine Stunde einst kommen würde.

       Irgendwann.

       In einer fernen Zeit.

      Die Prophezeiung

      Die Luft flirrte noch von der Hitze des Frühsommertages, während sich die letzten der Sonnenstrahlen - leuchtenden Fingern gleich – ihren Weg durch das dichte Laub der Bäume suchten.

       Bald stießen sie auf ein neues Hindernis. Ein Mann saß dort, und verwehrte ihnen den Weg zur Erde hinab. Sodass sie nun, des Suchens endlich müde, diesem Mann ihre Wärme schenkten. So zärtlich, als sei er ihnen seit langem vertraut.

       Er bemerkte sie nicht.

       Tief in Trance versunken, und der Welt entrückt, nahm er nichts von ihr wahr. Und wären nicht die tiefen Atemzüge, bei denen sich sein Brustkorb hob und senkte - man hätte ihn für eine Statue halten können.

       Was ihn wohl an diesen Ort geführt hatte, der fern jeglicher Behausung lag?

       Um die dreißig, weder groß noch klein, und eher drahtig als muskulös, sah er aus wie alle Bewohner der Wälder. Und wie sie, trug auch er an einem heißen Tag wie diesem lediglich Beinkleider aus Leinen.

       Sein Oberkörper hingegen war unbedeckt.

       Seine bronzefarbene Haut glänzte seidig im Abendlicht, ebenso seine Haare, die - blauschwarz schimmernd - an das Gefieder eines Raben erinnerten, und ihm als dichter dunkler Vorhang auf die Schultern fielen.

       Ein gewöhnlicher Waldbewohner war er dennoch nicht.

       Denn seine Miene strahlte eine Würde und Ernsthaftigkeit aus, die nicht seinem Alter entsprach.

       Achak war ein Schamane.

       Einer der Auserwählten, denen die Geistwesen Zugang zu ihrer Welt gewährten.

       Doch heute war er zum ersten Mal nicht gekommen, um für sein Volk zu bitten. Er bangte um das Leben seiner Frau - und um das seines ungeborenen Kindes.

       Dabei waren Pohawe und er vor wenigen Wochen noch so hoffnungsvoll und glücklich gewesen …

       … „die Geistwesen haben unser Flehen endlich erhört, Liebster!“

       Pohawe hatte ihn geweckt. Mit einem wunderschönen Lächeln, an einem wunderschönen Frühlingsmorgen, erfüllt von Blumenduft, und vom Gesang der Vögel. An einem Morgen voller Leben.

       Er hatte sofort gewusst, wovon sie sprach. Dass nun das Kind in ihr wuchs, auf das sie seit der Geburt der Tochter vor vier Jahren hofften.

       „Wann?“ hatte er gefragt, und Pohawe voll Freude an sich gedrückt.

       Aber schon bald war ein dunkler Schatten auf ihr Glück gefallen. Ein rätselhaftes Fieber hatte seine Frau erfasst, sie auf ihr Lager gezwungen, und sie mit jedem Tag mehr geschwächt.

       Als niemand das Fieber lindern konnte, als selbst die alten Rituale versagten, hatte die Hebamme ihn zu sich gerufen.

       „Euer Kind ist verflucht, Schamane - deine Frau wird sterben, wenn sie es austrägt!“ hatte sie den Zaudernden gedrängt. „Pohawe ist bereit, den notwendigen Schritt zu gehen – allerdings nur, wenn du dein Einverständnis erklärst.“

       Es gab Kräuter, die dafür sorgten, dass ein Kind lange vor der Zeit geboren wurde. Sie würden die Mutter retten – das Ungeborene jedoch zum Tod verurteilen.

       Nie würde Achak das Gesicht der Hebamme vergessen, als er sich geweigert hatte, ihrem Rat zu folgen. „Ich werde mein Kind nicht töten!! Nicht, solange es noch einen Funken Hoffnung gibt!“ hatte er ihr entgegen geschleudert, und war aufgebracht zu Pohawe geeilt. Wie hatte sie diese Möglichkeit nur einen Moment lang erwägen können?

       Aber die tiefe Trauer in den Augen seiner Frau hatte seinen Groll rasch schwinden lassen. Er hatte sich zu ihr gesetzt und ihr tröstlich übers dunkle Haar gestrichen.

       „Du weißt, dass ich mein Leben geben würde, um deines zu retten, Liebste. Aber ich möchte unser Kind noch nicht aufgeben!“

       Schluchzend hatte sich Pohawe an ihn geschmiegt. „Ich wünsche mir ebenso sehr wie du, dass unser Kind lebt, Achak. Aber ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Meine Kraft geht zu Ende, und ich habe schreckliche Angst zu sterben.“

       Er hatte ihr versichert, dass es noch Hoffnung gab, dass er zu den Geistwesen gehen, und sie um Hilfe bitten werde.

       „Und wenn sie ihre Hilfe versagen?“ Voller Zweifel hatte Pohawe ihn angeblickt. „Sollst du deine Gabe denn nicht allein für das Wohl deines Volkes nutzen?“

       „Sie werden uns helfen“ hatte er behauptet, auch wenn er sich dessen keineswegs sicher war. „Sie schenkten uns dieses Kind nicht nach all den Jahren, um es uns so rasch wieder zu nehmen!“

       Noch in derselben Stunde war er aufgebrochen, zu dem Ort tief in den Wäldern, an dem er die Geistwesen nahe wusste.

       Drei Tage und Nächte lang hatte er dort gefastet und getanzt, um sie günstig zu stimmen.

       Nun blieb ihm nur noch, zu warten.

       Ein letztes Mal tauchte die Sonne die Welt in flammendes Rot, ehe sie hinter dem Horizont verschwand.

       Wenig später senkte sich die Dunkelheit über den Wald und verdrängte die letzten Reste von Tageslicht. Und mit ihm schwand die Hitze.

       Achak nahm Abkühlung und Finsternis ebenso wenig wahr, wie er zuvor die Hitze wahrgenommen hatte. In sich selbst gefangen, fühlte er nur, dass seine Kräfte erschreckend rasch schwanden.

       Bald würde er die Verbindung zur anderen Weltseite verlieren - und wie es schien, zum ersten Mal ohne Antwort von ihr bleiben.

       Warum sprachen die Geistwesen nicht mit ihm? Zürnten sie ihm, weil er für sich selbst bat, und nicht für sein Volk? Oder hatte die Hebamme Recht? War sein Kind tatsächlich verflucht?

      Das darf nicht sein! Hört mich an! Bitte! Er sandte ihnen einen letzten, verzweifelten Hilferuf. Versuchte ein letztes Mal, das Schicksal des ungeborenen Kindes zu wenden. Bündelte ein letztes Mal die schwindenden Kräfte. Vergeblich. Das Leben in seinen Augen erlosch, als er die Verbindung zur anderen Weltseite verlor. Wie blind starrte er hinaus in die Nacht, ohne etwas zu sehen. Bis die Enttäuschung ihn schließlich einholte, und er in sich zusammensank, das Gesicht in den Händen verborgen. Er wusste nicht mehr, wie lange er dort saß, von Trauer und Schmerz gelähmt, als ein sachter Windhauch ihn streifte. Er hob den Kopf. War dies am Ende, worauf er so verzweifelt gehofft hatte? Oder gaukelte ihm die Verzweiflung diese Wahrnehmung nur vor? Aber dann folgten dem Windhauch die wohl vertrauten, melodischen Klänge, und brachten ihm Gewissheit. Die Geistwesen waren gekommen! Leuchtenden Strömen gleich, woben sie