Sabine Roth

Die Wälder von NanGaia


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auf die Bestimmung seines Sohnes gewesen? Und hätte Nantai nicht längst von dieser Botschaft – und von seiner Gabe - erfahren müssen?

       „Wäre dies der Wille der Geister, hätten sie es dich wissen lassen“ versuchte Pohawe, seine Zweifel zu zerstreuen. „Mach dir keine Sorgen. Es war gut, dass Nantai in den Wäldern blieb – oder glaubst du, er wäre in Megalaia ebenso glücklich wie hier?“

       Nein, das glaubte Achak nicht…

       War sein Sohn nicht am Abend zuvor zufrieden wie nie aus Threetrees heimgekehrt, und hatte stolz verkündet, er werde jetzt mit den Älteren unterrichtet?

       Trotzdem könne er gut mit ihnen mithalten, hatte der Junge ein wenig verlegen hinzugefügt …sogar mit der älteren Schwester.

       Und sein Gesicht hatte dabei geleuchtet.

      Auf der Suche

      Zwei Jahre vergingen, in denen die Geburt von zwei Brüdern die größte Veränderung in Nantais Leben bedeutete.

       Die Sommerferien waren zu Ende. Wieder einmal.

       Und wieder einmal blickten Achak und Pohawe dem Jungen staunend hinterher, der sich fröhlich winkend auf den langen Weg zur Schule machte. War dies wirklich derselbe Nantai, der zu Beginn seiner Schulzeit in Threetrees jedes Mal beim Abschied geweint, sich schluchzend an die Mutter gedrückt, und inbrünstig gefleht hatte, bei ihr bleiben zu dürfen?

      Kopfschüttelnd zog Achak seine Frau an sich. Und gab ihr jetzt zum ersten Mal offen Recht. „Es ist gekommen, wie du sagtest, Liebste. Nantai hat seinen Weg in den Wäldern gefunden. Es war gut, dass er nicht nach Megalaia ging“ sagte er mit einem nachdenklichen Lächeln.

       Doch anstatt sich über seine Worte zu freuen, lehnte Pohawe ihren Kopf an Achaks Schulter und seufzte. Das unbeschwert Kindliche in Nantai schien mit jedem Tag rascher verloren zu gehen. Viel früher als bei den anderen Kindern im Dorf. Viel zu früh, in ihren Augen.

       „Bedauerst du etwa, dass Nantai uns mittlerweile so willig verlässt?“ fragte Achak irritiert.

       „Nein, das tue ich nicht.“ Pohawe seufzte erneut. „Aber ich sehe mit Sorge, wie sehr er sich in den vergangenen Wochen gewandelt hat.“

       Auch Achak war diese Veränderung nicht entgangen. Doch er sah sie mit anderen Augen als seine Frau. „Er wird sich noch viel mehr verändern, Pohawe.

       Und schon bald wird er den nächsten Schritt auf seinem Weg zum Manne tun.“ Er lächelte bedeutungsvoll. „Du weißt, wovon ich spreche.“

       Der Herbst nahte - und mit ihm Nantais zwölfter Geburtstag, an dem er sich wie alle Waldbewohner dem ersten Ritus seines jungen Lebens unterzog.

       Pohawe wusste, dass Achak große Erwartungen an dieses Ereignis knüpfte. Denn er hatte durch diesen Ritus von seiner Bestimmung zum Schamanen erfahren – und hoffte nun, dasselbe würde auch seinem Sohn geschehen.

       Während sie selbst diese Möglichkeit tief in ihrem Herzen fürchtete. Viel zu jung erschien ihr Nantai für das große Schicksal, das ihm die Geistwesen prophezeit hatten.

       Nantai hatte wie alle jungen Waldbewohner für den Ritus schulfrei erhalten und kehrte einige Tage zuvor aus Threetrees zurück. Doch zur Verblüffung aller wählte er nicht den üblichen Weg, um sich auf die Zeremonie vorzubereiten. Anstatt sich der Obhut der Eltern anzuvertrauen, wie alle, verließ er seine Familie jeden Morgen, um im Wald zu verschwinden. Erst am Abend kam er wieder, müde, hungrig, und ohne zu sagen, was er erlebt hatte.

       Niemand ahnte, dass er stundenlang unter den Bäumen umhergestreift war, weil es ihm nur auf diese Weise gelang, den für den Ritus so wichtigen inneren Frieden zu finden.

       Doch als er am Morgen seines Geburtstages den Versammlungsplatz betrat, war er ruhig und gelassen - trotz der vielen Menschen, die auf ihn warteten.

       Schritt ohne Angst auf Achak zu, der ihm aufmerksam entgegen sah.

       Es war die Aufgabe des Schamanen, den Ritus durchzuführen, und Achak hatte dies schon viele Male getan. Doch heute war er angespannt wie nie zuvor. Würde nun geschehen, worauf er hoffte? Würde Nantai von seiner Bestimmung erfahren, so wie er selbst damals?

       Lächelnd hielt er dem Sohn eine Schale entgegen. „Bist du bereit?“

       Nantai nickte, nahm die Schale, setzte sie an die Lippen, und leerte sie in kleinen Schlucken. Der Trank würde ihn für die Trance bereit machen, in die der Vater ihn nun versetzte, So, wie es bei dem Ritus seit Urzeiten geschah.

       Was danach folgte, war jedoch ungewiss.

       …Manchmal musste die Zeremonie abgebrochen werden, weil ein Kind in Panik geriet, wenn sein Geist zum ersten Mal den Körper verließ.

       Doch selbst jenen, die dieses Erlebnis genossen, wurde fast immer verwehrt, was Achak einst erlebt hatte.

       Er war bei diesem Ritus zum ersten Mal den Geistwesen begegnet. Damals hatten sie zum ersten Mal mit ihm gesprochen.

       Nantai gab dem Vater die leere Schale zurück.

       Der lächelte wieder. „Jetzt wirst du zum ersten Mal deinen Geist für die andere Welt öffnen, mein Sohn!“

       Und wieder handelte Nantai, wie sie erwarteten. Setzte sich, von freudiger Erwartung und Stolz warm durchflutet, während Achak gegenüber Platz nahm und den Blick fest auf ihn richtete.

       Nun würde es beginnen.

       Doch als der Trank Nantais Denken zu lähmen begann, als der mächtige Geist des Vaters seine Sinne gefangen hielt, verließ ihn die Gelassenheit plötzlich. Panik schoss in ihm hoch, ungestüm und heftig, als er sich instinktiv dagegen wehrte, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren.

       Aber nur für einen winzigen Moment.

       Dann siegte sein Wille über die Angst, und die Panik machte einer neuen Empfindung Platz. Einer, die seine Seele zutiefst berührte. Denn zum ersten Mal erlebte er jetzt, wie sich sein Geist vom Körper löste, der schwer und träge am Boden zurückblieb, während er selbst in eine andere Welt eintauchte - …so fremd und bizarr, dass seine Sinne sie nicht zu erfassen vermochten.

       Fasziniert und verloren zugleich, versuchte er, sie irgendwie zu begreifen…

       und sah plötzlich eine Woge ungeheurer Energie auf sich zu rollen.

       Er fühlte noch, wie sie ihn erfasste…und ihn mit sich riss….wie er tiefer und tiefer fiel.

       Dann fühlte er nichts mehr.

       „Nantai!“

       Pohawes Schrei gellte durch die Luft - und im nächsten Moment sprang sie auf, und rannte zu Achak, der sich besorgt über den Besinnungslosen beugte. Nantais Zusammenbruch war so unerwartet erfolgt, dass er die Trance nicht mehr hatte abbrechen können.

       Doch zu beider Erleichterung begann sich ihr Sohn bereits zu regen, öffnete nur wenig später die Augen - und blickte verwirrt in die sorgenvollen Mienen der Eltern. „Was ist geschehen?“

       Er konnte sich noch das wundersame Gefühl erinnern, als er den eigenen Körper verließ, und an die seltsame Welt, die sich ihm danach aufgetan hatte.

       An mehr jedoch nicht.

       „Du hast das Bewusstsein verloren“ erwiderte Achak.

       Nantai starrte ihn mit großen Augen an. „Warum?“

       „Das hoffte ich von dir zu erfahren.“

       Enttäuscht schüttelte der Junge den Kopf. „Ich weiß es nicht...“ Seine Miene verdüsterte sich abrupt. „Habe ich versagt, Vater? War ich für den Ritus nicht stark genug?“

       Achak schmunzelte. Nein, mit Schwäche oder gar Versagen hatte diese Ohnmacht nichts zu tun, dessen war er sicher. Nantais Reaktion konnte nur mit seiner Gabe zusammenhängen, die sich heute zum ersten Mal gezeigt hatte.

       Aber noch hatte er darüber keine Gewissheit. Noch musste er schweigen.

       „Was immer eben geschah, bedeutet keineswegs, dass du schwach bist, Nantai“ tröstete er. „Aber ich bin sicher, dass die